„Zäit fir een neien Ufank“ lautet der Titel des CSV-Wahlprogramms. Neu ist aber weder ihr Personal noch ihre Politik

Pferd bleibt Pferd, Spatz bleibt Spatz

CSV-Konvent am 8. Juli 2023
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 25.08.2023

Regierung „Blau-Rot-Grün hat ausgedient. Sie liefern keine Ergebnisse. Sie bringen Stillstand. Deshalb wollen wir den Wechsel. Wir wollen eine neue Politik. Wir wollen eine andere Politik. Für ein modernes Luxemburg. Für die Menschen. Für den Zusammenhalt. Die CSV steht für Mut und Neuanfang. Wir sind bereit für Regierungsverantwortung“, schreibt die CSV in der Einleitung zu ihrem Wahlprogramm und verspricht „mehr Lebensqualität“. Einen personellen Neuanfang hat die Partei in den vergangenen Jahren gewagt. Erst mit Frank Engel als Parteipräsident, doch der war der Fraktion zu forsch, deshalb hat sie ihn verjagt. Dann übernahm Claude Wiseler den Parteivorsitz und umgab sich mit jüngeren Menschen. Als Spitzenkandidaten holte er jedoch Luc Frieden zurück, der seine zehn Prioritäten für die Nationalwahlen am 8. Oktober bereits mehrmals vorgestellt hat. Seit vergangener Woche liegt das komplette Programm vor.

Bereit für Regierungsverantwortung war die CSV schon immer. 2013 mussten Jean-Claude Juncker und Luc Frieden sie abgeben; wegen des Geheimdienstskandals und weil die Luxemburger/innen genug hatten vom CSV-Staat. Claude Wiseler wollte sie 2018 zurückerobern, doch sein „Plang fir Lëtzebuerg“ konnte die Wähler/innen nicht überzeugen.

Das diesjährige Wahlprogramm heißt „Zäit fir een neien Ufank“ und soll die Erzählung, die die CSV für ihre Rückkehr in die Regierung entworfen hat, mit Inhalten füllen. Ein Neuanfang ist es in erster Linie für ihren Spitzenkandidaten, der nach seinem Rückzug aus der Politik 2014 und seinem Stelldichein in der Bankenindustrie sein politisches Comeback plant. Tatsächlich dürfte das Versprechen eines „Neuanfangs“ eher ein Zurück zu traditionellen Verhältnissen werden – wenn das Wahlresultat es erlaubt: Eine Koalition mit der DP oder der LSAP, mit denen die CSV abwechselnd rund 70 Jahre lang fast ununterbrochen regiert hatte.

Wagt die CSV programmatisch einen Neuanfang? Eigentlich nicht. Ihr Konzept ist altbekannt: Mit niedrigen Steuern für Reiche und Unternehmen das Wachstum ankurbeln, und hoffen, dass dabei genug für den Staat abfällt, damit er neue Straßen und Schulen bauen, Schulden decken und das Sozialsystem finanzieren kann. „Trickle Down“ oder „Horse and Sparrow“ wird diese Theorie genannt.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, will die CSV die Unternehmenssteuern weiter senken, sie an das Niveau der EU-Länder in direkter Konkurrenz mit Luxemburg und den OECD-Durchschnitt angleichen. In Luxemburg liegt der Betriebssteuersatz derzeit bei 24,9 Prozent (Körperschaftsteuer inklusive Gewerbesteuer in der Stadt Luxemburg); niedriger als in den Nachbarländern und in den Niederlanden, doch höher als in Irland, Skandinavien sowie den baltischen und vielen osteuropäischen Staaten. In den vergangenen Jahrzehnten wurde ein wahres Dumping praktiziert, an dem auch Luxemburg sich beteiligt hat. Tatsächlich liegt der nominelle Unternehmenssteuersatz in Luxemburg schon jetzt nur knapp über dem OECD-Durchschnitt von 23,1 Prozent. Wegen bereits bestehenden Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöchern (Schachtelprivilegien), zahlen viele Unternehmen in Wirklichkeit jedoch kaum Steuern.

Durch „regelmäßige Anpassungen der Gesetzgebung“ soll der „Finanzplatz mit seinen vielfältigen Aktivitäten“ weiter ausgebaut werden. Mit „regelmäßigen Anpassungen“ meint die CSV weitere Steuervorteile für private und institutionelle Investoren und Spekulanten, insbesondere wenn sie in ESG-Produkte investieren (Environmental, Social und Governance).

Volkspartei Da die CSV den Anspruch hat, eine Volkspartei zu sein, und damit Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und Sozialverbände nicht den Aufstand proben, verspricht sie in ihrem Wahlprogramm selbstverständlich allen Bürger/innen finanzielle Vorteile, ob jung oder alt, arm oder reich, und natürlich denen aus der Mittelschicht. Familien will sie „wieder zur politischen Priorität machen“, vor allem sie sollen weiterhin weniger Steuern zahlen. „Méi Netto vum Brutto“ durch die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation, fordern die Fraktionsvorsitzenden Martine Hansen und Gilles Roth seit Monaten. „Die CSV wird die Steuerwende herbeiführen“, verspricht sie selbstbewusst in ihrem Wahlprogramm. Die Abschaffung der Steuerklassen, wie DP, LSAP und Grüne sie wollen, lehnt die CSV aber vorerst ab. Mittelfristig schließt sie eine Debatte darüber jedoch nicht aus. Bis dahin will sie Kosmetik betreiben. Und um die Wahlen diesmal tatsächlich zu gewinnen, will sie großzügiger sein als 2018. Damals wollte Wiseler in seinem Plang den Eingangssteuersatz von 11 265 auf 12 000 Euro besteuerbares Jahreseinkommen erhöhen. Frieden setzt nun noch eins drauf: Er will den Eingangssteuersatz auf 15 000 Euro erhöhen und zusätzlich die (unteren und mittleren) Steuertranchen von 1 800 beziehungsweise 1 900 auf 2 500 Euro erweitern. Diese Maßnahmen würden vor allem für die Steuerklassen 1 und 1a leichte Verbesserungen bringen, allerdings nicht in dem Maße, wie sie mit deren Abschaffung einhergingen. Alleinstehende und Geschiedene oder Verwitwete würden noch immer mehr als doppelt so viele Steuern zahlen wie Verheiratete oder Gepacste. Die Übergangszeit von der Steuerklasse 2 in die Klasse 1a will die CSV von drei auf sechs Jahre erhöhen, damit Verwitwete und Alleinerziehende, die geschieden wurden, etwas länger Zeit haben, sich einen neuen Partner zu suchen, der ihnen den Verbleib in der Steuerklasse 2 ermöglicht. Damit sich das Kinderkriegen lohnt, will die CSV einen jährlichen Steuerabschlag von 1 000 Euro pro Kind im Alter bis elf Jahre und von 2 000 Euro pro Kind im Alter von zwölf bis 18 Jahre beschließen.

Für die hohen Gehälter ab 45 000 Euro hätten die von der CSV angekündigten Maßnahmen kaum Konsequenzen. Den vergleichsweise günstigen Spitzensteuersatz von 42 auf 43 Prozent geringfügig erhöhen will sie erst ab einem Jahreseinkommen von 500 000 Euro, das sei „maßvoll und sozial gerecht“, heißt es im Programm; eine vorteilhafte Besteuerung von Reichen sei notwendig, um hochqualifizierte Talente anzuziehen, die künftig noch stärker von der teilweise steuerbefreiten prime participative profitieren sollen, die der frühere DP-Finanzminister Pierre Gramegna vor zwei Jahren als Kompensation für die Abschaffung der umstrittenen Stock Options eingeführt hatte. Dazu gehört auch, dass die CSV gegen eine Erbschaftssteuer in direkter Linie und eine Vermögenssteuer ist.

Das Wirtschaftswachstum, das durch diese Steuersenkungen entstehen soll, benötigt ein hohes Maß an Fachkräften und Talenten. Überhaupt ist die Politik der CSV sehr personalintensiv. Vor allem beim Staat sollen in vielen Bereichen zusätzliche Bedienstete rekrutiert werden: Polizist/innen, Richter/innen und Magistrat/innen, Lehrer/innen und Erzieher/innen. Das damit einhergehende Bevölkerungswachstum ist auch sehr platzintensiv, was zu Lasten des Wohnungsmarkts, der Mobilität und des Umweltschutzes geht. Um all die Menschen zu logieren, will – ja muss – die CSV „schneller“ und „einfacher“ zusätzliche Wohnungen bauen. Dafür will sie Steueranreize für Investoren schaffen, die Genehmigungsfristen verkürzen („20 Prozent manner Bürokratie“) und das Naturschutzgesetz überarbeiten: Die Naturschutz-Kompetenzen des Umweltministeriums will sie „auf die Grünzone“ beschränken, innerhalb des bestehenden Bauperimeters keine Kompensationen mehr vorsehen und die Reform des Denkmalschutzgesetzes der grünen Kulturministerin Sam Tanson wieder (teilweise) rückgängig machen. Die Einschränkung von Flächenversiegelung „in manchen Gemeinden“ will die CSV nicht unterstützen.

Schon 2018 versprach Claude Wiseler in seinem Plang „qualitatives Wachstum“, ohne genau zu wissen, was er damit meinte. Sein Nachfolger spricht nun von „nachhaltigem und inklusivem“ Wachstum (das Substantiv Nachhaltigkeit und das Adjektiv nachhaltig kommen insgesamt 48 Mal auf den 111 Seiten vor): „ein Wachstum von Wohlstand und Wohlbefinden, mit Augenmaß, wirtschaftlich und demographisch“. Auch Luc Frieden weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Das hat zur Folge, dass die CSV in ihrem Wahlprogramm auf Worthülsen zurückgreifen muss, wenn es um wachstumsverwandte Themen geht. Im Kapitel über Landesplanung heißt es beispielsweise: „Wir wollen eine Landesplanung des gesunden Menschenverstandes, eine Landesplanung, die der Wirklichkeit Rechnung trägt, eine Landesplanung, die unser Land fit für die Zukunft macht.“ In dem ganzen Abschnitt findet sich kaum ein konkreter Vorschlag – außer dem, dass man wieder an das IVL-Konzept anknüpfen möchte, das der damalige CSV-Innenminister Michel Wolter vor rund 20 Jahren auf den Weg gebracht hatte. Und dass das räumliche Wachstum sich vor allem auf die sogenannte Nord-Süd-Achse (Nordstad-Alzettetal-Luxemburg-Esch/Alzette) konzentrieren soll. In der Mobilität will die CSV alle Verkehrsteilnehmer/innen zufriedenstellen: Größere und pünktlichere Züge und Busse, Ausbau der Tram, breitere Autobahnen und neue Umgehungsstraßen, bessere Radwege – nur an die Fußgänger hat sie nicht gedacht.

Dreieck Im Zentrum des CSV-Programms steht das „Nachhaltigkeits-Dreieck“, in dem sich „Wirtschaft, Umwelt und Soziales im Gleichgewicht“ halten. Ein gleichseitiges Dreieck ist es nicht, sondern ein unregelmäßiges, bei dem die Wirtschaft die längste Seite stellt, vor dem Sozialen und schließlich der Umwelt. Umweltauflagen werden in allen Bereichen der Wirtschaft geopfert, sei es im Wohnungs- und Straßenbau, in Wirtschaft und Industrie und vor allem in der Landwirtschaft. Beim Natur- und Wasserschutz oder dem Erhalt der Artenvielfalt bleibt das CSV-Programm größtenteils bei inhaltsleeren Bekenntnissen. Gleiches gilt für den Klimaschutz, der ebenfalls der Wirtschaft und der Landwirtschaft untergeordnet werden soll. 2018 waren die Ausführungen zum Klimaschutz noch konsequenter. Der „schnellstmögliche“ Atomausstieg wurde inzwischen aus dem Wahlprogramm gestrichen; seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat die Position der CSV sich in dieser Angelegenheit bekanntlich geändert. Das Thema Tanktourismus wird nach wie vor geflissentlich ignoriert. Stattdessen kommt dem Wasserstoff nun eine „besondere Bedeutung“ zu: Wasserstoff-Tankstellen will die CSV auf den Autobahnen und Landstraßen mit starkem Lastwagen- und Berufsverkehr bauen.

Die Themen Arbeit und Soziales nehmen im Wahlprogramm der CSV vergleichsweise viel Platz ein. Das lässt darauf schließen, dass der Gewerkschaftsflügel um Marc Spautz und Paul Galles noch einen gewissen Einfluss in der Partei hat. Das Bekenntnis zum Sozialdialog ist eindeutig; auch das zum Index – solange die Betriebe nur eine Tranche pro Jahr ausbezahlen müssen. Arbeitszeitverkürzungen sollen nicht gesetzlich, sondern in den Betrieben beschlossen werden. Insgesamt fehlt es aber auch hier an realen Lösungsvorschlägen, viele Formulierungen bleiben vage und beschränken sich auf die Absicht, nationale Aktionspläne oder Strategien in die Wege zu leiten. „Zero Poverty“ wird als politisches Ziel ausgewiesen, wie es konkret erreicht werden soll, verrät die CSV jedoch nicht.

Gesellschaftspolitisch ist ihr Programm auf die Familie ausgerichtet, die auch „bunt“ sein kann. Bezeichnungen wie LGBT(IQ+), Trans und queer kommen zwar im Wahlprogramm nicht vor, dafür hat die CSV aber „nichtbinäre Geschlechtsidentitäten“ entdeckt, denen sie eine stärkere Akzeptanz und Chancengleichheit gewähren will. Die „Modalitäten bei Geschlechtsumwandlungen“ möchte sie „evaluieren und gegebenenfalls anpassen“. Ob die CSV demnach eine dritte Geschlechtsoption einführen und Zwangsoperationen von Intersex-Kindern verbieten will, geht aus ihrem Wahlprogramm nicht hervor. Techniken zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung will sie auch für „alleinstehende Frauen“ öffnen, die Leihmutterschaft will sie hingegen verbieten.

Wehrhaft Für Eltern mit Kindern im Grundschulalter will sie ein Anrecht auf vier wöchentliche Eltern-Stunden ohne Lohnausgleich einführen. Wenn sie ihre Kinder bis zur Schulpflicht zu Hause erziehen, sollen sie doppeltes Kindergeld erhalten; die „Babyjahre“ will sie von 24 auf 96 Monate erhöhen. Diese Ankündigungen hatten DP-Premierminister Xavier Bettel schon Anfang Juni zu der Kritik verleitet, die CSV wolle die Frauen wieder dazu ermutigen, zu Hause zu bleiben, sich um die Kinder zu kümmern.

Damit die CSV-Politik aufgeht, braucht es einen „wehrhaften Rechtsstaat“, wie es im Wahlprogramm heißt. Mit Überwachen und Strafen will sie die bürgerliche Gesellschaft vor der Bedrohung durch Arme, vor gesellschaftlichem Widerstand und moralischem Verfall beschützen: Mehr Polizist/innen, eine „Gemenge-Police“, sie mit Tasern ausstatten, Bodycams effektiver einsetzen, Videoüberwachung ausweiten, die repressive Drogenpolitik verschärfen, den Platzverweis ausdehnen, die comparution immédiate einführen. Das konstitutionelle Versammlungsrecht will sie mit einem Demonstrationsgesetz einschränken und ein Vermummungsverbot einführen. An den EU-Außengrenzen will sie einen verstärkten Grenzschutz, der „entschlossen gegen illegale Migration vorgeht“. Das Dublin-III-System müsse „solidarisch“ reformiert und Frontex gestärkt werden, um das „unmenschliche Geschäft der Schleuser“ besser zu bekämpfen.

Luc Laboulle
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