Deutschland

Beobachtet

d'Lëtzebuerger Land vom 05.02.2021

Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Das ist einer dieser Sinnsprüche, mit dem sich die Alternative für Deutschland (AfD) derzeit auseinandersetzen muss. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – quasi der Inlandsgeheimdienst Deutschlands – hat ein etwa 1 000-seitiges Gutachten erstellt, das die fortschreitende Radikalisierung und die extremistische Ausprägungen der Partei beschreibt. Derzeit wird dieses Dokument im Bundesinnenministerium geprüft, ob die dort zusammengetragenen Belege dafür ausreichen, dass ein Verwaltungsgericht die Einstufung der Partei als rechtsextremer Verdachtsfall bestätigt. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Partei, die bei dieser Einstufung mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden kann.

Das erklärt den derzeitigen Kampf der AfD gegen den Verfassungsschutz. Gründe für diese Einstufung gibt es nach Meinung der Verfassungsschützer einige: Im März letzten Jahres wurde der AfD-„Flügel“ um Björn Höcke als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ bewertet. AfD-Chef Jörg Meuthen drängte darauf hin die Gruppe zur Selbstauflösung. Was willfährig geschah. Der Verfassungsschutz hält dies jedoch für ein Täuschungsmanöver und schaut genau hin, ob bei parteiinternen Personalwahlen Vertreter des „Flügels“ in Schlüsselpositionen gelangen, was bei den Landesvorstandswahlen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt der Fall war. Vom BfV wurde auch der AfD-Parteitag von Kalkar im Dezember letzten Jahres ausgewertet. Dort war der „Flügel“ in einem „Contra-Meuthen“-Lager aufgegangen, zu dem auch Parteichef Tino Chrupalla und Fraktionschefin Alice Weidel gehören. Das Lager unterlag bei Abstimmungen jeweils nur knapp. Inzwischen gebe es ein strategisches Patt zwischen dem „Flügel“ und dem Lager um Meuthen, der zumindest dem Anschein nach gegen extreme Kräfte vorgeht. Wenn auch Weidel und Chrupalla nicht direkt zum „Flügel“ zählen, haben beide keine Probleme damit, mit ihm zu paktieren. Gerade dies Paktieren ist dem Verfassungsschutz eine Beobachtung wert.

Ausschlaggebend dafür ist die Ideologie der Partei, die sich aus Islamfeindlichkeit, Geschichtsrevisionismus, völkischem Denken und Verschwörungstheorien speist. So argumentierte beispielsweise Fraktionschefin Weidel völkisch, wenn sie in einer Bundestagsrede gegen „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ wettert und Bundeskanzlerin Angela Merkel vorwirft, sie wolle sich „das Volk selbst zusammenstellen“. Auf diesen Verschwörungsmythos vom Bevölkerungsaustausch beziehen sich viele AfD-Vertreter und sprechen offen von „Umvolkung“. Dieser Mythos ist in der rechtsextremen Szene weitverbreitet und fand sich auch bei Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch einen Anschlag auf zwei Moscheen verübte.

Hinzu kommt die sehr gute Vernetzung der AfD in die rechtsextremistische Szene, sei es die „Neue Rechte“, die völkische „Identitäre Bewegung“ oder Kader der Nationalistischen Partei Deutschlands (NPD). So zitiert der Hamburger Verfassungsschutz ein dem „Flügel“ zuzurechnendes AfD-Mitglied, das in Internetforen und -Plattformen verkündet, dass „der gewaltsame Kampf gegen den demokratischen Staat und seine Repräsentanten nicht ausgeschlossen“ ist. In Hinblick auf die derzeit geltenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-Pandemie: „Die Zeit des friedlichen Widerstands ist vorbei.“ Und: „Wenn Ihr einen Gegner habt, der eine Maschinenpistole hat, bringt es nichts, mit Pfeil und Bogen dagegen zu arbeiten.“

Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen und unterhält einen eigenen Verfassungsschutz – entweder als selbständiges Landesamt oder als entsprechende Abteilung im jeweiligen Landesinnenministerium. So auch das Land Berlin. Vor rund vier Wochen wurde hier ein 43-seitiges internes Papier zur Verfassungstreue der AfD Berlin mit einem Begleitschreiben aus den Reihen des Berliner Verfassungsschutzes an die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gesandt. Das auf den 11. Dezember 2020 datierte Zwischengutachten sieht keinen Anlass dafür, die AfD als einen Verdachtsfall für den Verfassungsschutz zu bewerten. Die Partei sei vielmehr eine verfassungstreue und demokratische Partei mit einer liberal-bürgerlichen Anhängerschaft. Wörtlich heißt es: „Zur Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung bedarf es immer einer Aktivität zur Beseitigung oder zu einer Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung in einer Richtung der mit den Grundprinzipien der fdGO (freiheitlich demokratischen Grundordnung) nicht zu vereinbarenden Grundordnung. Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssen von einem direkten Vorsatz begleitet sein (…) Dieser Vorsatz kann der AfD Berlin nicht nachgewiesen werden.“ Schließlich: „In der Gesamtschau der gesammelten Erkenntnisse zur AfD Berlin sind keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die die Schwelle zum Verdachtsfall überschreiten:“

Gefundenes Fressen nicht nur für die Berliner AfD, die das Dokument an die Hauptstadtpresse weiterleitete mit dem Hinweis, dass der Bericht auf politischen Druck hin verschärft werden sollte, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) distanzierte sich umgehend von diesem Papier. Es sei lediglich eine unabgestimmte Arbeitsfassung. Zudem enthalte es wissenschaftliche, methodische und handwerkliche Fehler. Augenfällig ist an dem Bericht, dass etwa die außerparlamentarischen Aktivitäten der AfD nicht beleuchtet werden, vor allem in Hinblick auf Eskalationen von Anti-Corona-Demonstrationen. Darüber hinaus werden der Einfluss des „Flügels“ auf die Berliner AfD nur knapp dargestellt und der Einfluss der NPD auf die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus überhaupt nicht untersucht. Geisel zog personelle Konsequenzen und stellte den zuständigen Referatsleiter frei. Interne Ermittlungen sollen nun klären, wie das Papier an die AfD gelangen konnte, da es als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)“ eingestuft war.

Der Schaden ist immens. Der Verfassungsschutz sollte eigentlich geräuschlos und unauffällig Informationen gegen extremistische Bestrebungen sammeln über eine mitunter von Extremisten dominierte Partei, die gegen ihre flächendeckende Beobachtung kämpft und nun Argumentationshilfe aus einer vermeintlich undichten Stelle ausgerechnet aus der Sicherheitsbehörde bekommt, die jetzt liefern soll. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sollten die Berliner Vorkommnisse Anlass genug sein, endlich eine Studie zum Extremismus in Behörden, Ämtern und bei sonstigen Stellen auf den Weg zu bringen.

Martin Theobald
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