Es gibt also Molenbeek, wer hätte das gedacht. Mitten unter uns, also daneben. Nicht wirklich am Rande, nicht mal, der Brüssel-Mensch oder der internationale braucht nur eine Brücke zu überqueren, einen Fluss. Eine Viertelstunde von der Grand-Place, die golden über die Bildschirme flimmert, das Gold wird von Bewaffneten bewacht.
Und jenseits davon, ein Viertelstündchen weit weg von der goldenen Schatulle entfernt, einen Katzen- oder Menschensprung, einen Hundespaziergang entfernt – eine andere Welt. Sie ist sehr exotisch, Salam Aleikum sagen die Bewohner zueinander, wie in Tausend und einer Nacht. Sehr, sehr jung sind sie auch, so wie in einer dritten oder sonst einer Welt, verdammt viele von ihnen gibt es, die Frauen tragen auf dem Kopf ein Tuch und die Speisekarten sind in Arabisch.
Aber obschon es dort so exotisch ist – was wir ja immer lieben, wie viele Flugmeilen nehmen wir auf uns, um auf einem Eiland in einem Ozean einen Authentischen aufzuspüren –, scheinen die Brüssel-Menschen nicht besonders neugierig zu sein. Einfach mal über die Brücke gehen, Salam Aleikum! Oder eine Station U-Bahn fahren in diese Richtung. Ein bisschen auf dem Markt herum wühlen, zwischen Knoblauchzehen und Gewächsen, für die man keinen Namen parat hat. In Geschäfte hinein platzen mit Regalen voller Familienunterhosengroßpackungen und Moschee-Weckern. Überlegen, dem Opa eine Djellaba mitzunehmen, sie schaut so bequem aus.
Obwohl ja immerzu von Kommunikation die Rede ist und sie angeblich alles ist – pausenlos wird kommuniziert, Trainerinnen und Coaches bläuen den letzten Kommunikationskrüppeln allerhand ein, um sie zu vollwertigen Kommunikatoren zu machen –, scheint die Fähigkeit miteinander zu quatschen, über Gott, die Welt, den Salatkopf, die chinesische Klobürste, kaum entwickelt zu sein. Zum Beispiel am Marktplatz von Molenbeek, der plötzlich ein globaler ist, wer hätte das gedacht.
Aber das scheinen romantische Überlegungen einer Träumerin zu sein, die noch nie über die Brücke gegangen ist, in einem Land, in dem es die besten Pommes frites gibt und die besten Comics, aber vielleicht reicht das ja nicht zum Nation Building. In Molenbeek gibt es nicht einmal ein Einwohnerregister, wie eine Schweizer Zeitung entsetzt meldet. Und Arbeit gibt es auch nicht im Arbeiterviertel. Nicht mal die Bobos, die sonst ein Faible für Gewürze und bunte Menschen haben, sind da, mit ihren veganen Klamotten, ihrem Yogitee, nicht mal die Polizei kommt gern zu Besuch. Gott sei Dank gibt es Gott.
Und dann kommt Besuch, ganz viel auf einmal. Ganz hoher auch noch. Der steht dort, aufgereiht in einer Front, und schaut ernst, sehr, sehr ernst. Die Situation ist ja auch ernst, wo sind wir eigentlich hier?, und mit wem, hier sind so viele, wir kennen sie nicht. Wo kommt diese Welt plötzlich her, wer hat sie bestellt, sie stellt sich auch nicht vor. Die schauen, als würden sie uns nicht trauen. Hatten wir die in Geografie? Wo sind wir hier gelandet? Mama! Ein fremder Planet, überall Aliens! Ein schwarzes Loch, ein blinder Fleck. Parallelwelt, sagen sie. Wir sind doch nur über die Brücke gefahren, eben war alles noch aus Gold.
Alle Blicke richten sich auf Molenbeek, wo Terroristen gedeihen wie andernorts Komponisten oder Ministerinnen, man hält es nicht für möglich. Die Kameras richten sich auf den Menschenzoo, es ist kein Kuschelzoo, leider. Bitte bös’ schauen, möglichst islamistisch. So von Allah besessen, danke, gut so. Die Journalisten gestikulieren, Kinder turnen herum, Jugendliche laufen durchs Bild und zeigen den Mittelfinger, so jung noch und schon. Die Kameras schießen Bilder mit Menschen, die die Achseln zucken oder Worte sagen wie Perspektivlosigkeit.
Ah ja, Perspektivlosigkeit, gutes Wort, müssen wir uns merken.
Da, sehen Sie, da sehen Sie das Haus des Killers, da wohnt die Familie. Der Bruder des Killers zündet am Fenstersims eine Kerze an. Der Killer ist jetzt berühmt, bei Wikipedia ist er einer, der sechste von sechs berühmten Söhnen und Töchtern der Gemeinde. Abdelamid Abaaoud, islamistischer Terrorist.