Auf unsere Nachkommen wird vermutlich, ziemlich sicher, ziemlich viel zukommen. Unter anderem das, was wir an Infos hinterlassen haben werden, nachdem wir uns diskret in den Staub gemacht und ihnen die Szene überlassen haben.
Wenn man auf Dachböden herumstöbert, Häuser ausräumt in denen die, die gerade noch drin lebten, nicht mehr leben, entdeckt man immer wieder Fotos mit allerhand Menschen drauf. Menschen, die vor einem dran waren. Urgroßtanten in Witwenschwarz, Monokelonkel, eine durch den Nebel der Zeit einen unverwandt anblickende Schar von Verwandten im Sonntagsstaat, feierlich aufgereiht.
Bei diesen Gelegenheiten, oder bei einem seltenen sentimentalen Moment werden Vorfahren aus einem Pappkarton gefischt. Ein Album wird aufgeschlagen und irgend jemand sagt, die hat dein Kinn, der schaut wie der ... Jemand blättert in einem Poesiealbum, es zerfällt beinahe, mit Gedichtlein in einer anderen Schrift, mit einem Veilchen, es ist dünn wie ein Hauch. Dann ist es wieder gut, die Ahnen werden wieder in die Schachtel gestopft.
Auf einem Flohmarkt fällt den Flaneuren ein Fotoalbum von 1970 in die Hände, sie blättern, schau, irre, die Silvesterparty!, aber irgendwie brauchen sie die Silvesterfotos der unbekannten Menschen von 1970 auch nicht dringend.
Unsere Kinder und Kindeskinder und Kindeskinderkinder werden einmal mit wesentlich mehr Bildmaterial konfrontiert werden. Wie viel es von uns geben wird, wenn es uns nicht mehr geben wird! All die Videos, Filmchen, Selfies, die wir angesammelt und aufgestapelt und gehortet und gespeichert haben. All die Sticks und Disketten. Wir kommen aus einem Meer, wir lachen mit einem Glas in der Hand, wir umarmen jemanden, wir umarmen jemand anderen, wir stehen am Rande, wir lachen verzweifelt. Wir tragen ein Hochzeitskleid, einen Bikini, Kinder, die immer größer werden, von Foto zu Foto, von Film zu Film, und dann stehen wir unter Palmen, neben Kulturtrophäen, inmitten permanent pertinent gut gelaunter Menschen. Was man so aufnimmt. Als Beweis, dass es das in unserm Leben gegeben hat, etwas Bemerkenswertes, Sehenswürdiges, als Beweis, dass es uns gegeben hat.
All die Spuren und Spürchen, die wir hinterlassen haben werden, die materiellen und immateriellen. Überall, wo wir uns im großen Netz herumgetrieben haben, wem wir ins Netz gegangen sind, was wir wann gegoogelt haben, was wir geteilt und mitgeteilt haben, wem.
Die Zeithistoriker_innen werden sich auf gigantischen Halden ungelöschter Daten abplagen müssen, überall Zeitkonserven, Plundertüten, aus denen Geschichte quillt, ein von Gigatonnen an musealem Medientrash vollgemüllter Planet.
Die Angehörigen werden erschlagen werden von der Überdosis an Memory-Material. Aber es gibt immer noch eine Steigerung. Für alle die, die einfach keine Ruhe geben können, unbedingt auch noch nach posthumer Selbstdarstellung lechzen, gibt es jetzt noch ausgeklügeltere, subtilere Angebote. Bald wird man nämlich auf Gottesäckern promenieren können, auf denen sich Verstorbene den Besuchern vorstellen und darstellen. In Form interaktionsfähiger Avatare, wie die beeindruckte Zeitzeugin etwas überfordert liest, in den Raum projiziert auch noch, Auskunft über ihre Existenz gebend oebndrein. Die Verwandlung des menschlichen Körpers in einen Datenkörper, wie es ein Wissenschaftler verkündet. Welch eine unattraktive Verkündigung!
War unsere alte da nicht besser?
Dagegen wirkt der von Facebook mittlerweile eingerichtete Gedenkraum richtig gemütlich. Schließlich weiß niemand, wie viele Accounts es von Facebook-User_innen gibt, die längst das Zeitliche gesegnet haben.
Noch altmodischer und rührender wirkt das Souvenir, das man jetzt seinen Liebsten schenken kann. Vorsorglich, also hinterlassen. Einen Edelstein, in den Bestandteile der sterblichen Hülle verwandelt werden. Eine komplizierte Prozedur, man glaubt es sofort. „Diamantbestattung“ heißt das funkelnde, nagelneue Angebot.
Die Liebsten können den lieben Verstorbenen dann am Ringfinger tragen, oder ihn sich um den Hals hängen, oder was ihnen sonst noch einfällt.
Wenigstens nichts Virtuelles.