Das geht nun schon seit Monaten so, mindestens seit September. Die ganze Zeit Herbsthimmel. Oder Herbstblumen. Oder Hunde, Hunde unter Himmel im Herbst. Mit Stock im Maul, triefenden Lefzen, gudde Mupp. Wanderschuhe, Astern, Vergilbtes. Oder dampfende Kaffeetassen, die Leute machen neuerdings Fotos, ein Wahnsinn.
Ich rede von Facebook, ja, ich bin immer noch da, bei denen, die von gestern sind, den Schwestern von gestern, Brüdern auch. Vielleicht liegt es also an der Zielgruppe, mit der ich befreundet bin. Vielleicht ist sie mehrheitlich reif, ein bisschen behäbig, weise genug, um durchs Laub zu rascheln, dabei Weises zu nuscheln, zwischendurch eine pinke Wolke schießen.
Aber komisch, die Wolkenweisheit, oder die Langweiligkeit, ist so plötzlich gekommen. Es ist noch nicht lange her, da gingen die Wogen hoch, ein paar zuverlässige Unruhestifter_innen stichelten stachelten immer, ständig gab es ein Debättchen, zumindest, wenn einer grad fad war mit sich selber. Referendum, Historiker, Israel-Palästina, Bettler. Eine predigte, einer zerklärte die Welt, es wurde monologisiert und manchmal sogar was ausgetauscht, Gedanken, möchtegern-, selbst gemachte oder schon benutzte. Hier oder da konnte man ein Pfefferkörnchen dazu geben, seinen Senf, sich liken lassen oder bestreiken.
Ein paar Pfeile flogen immer, manchmal wurde scharf geschossen, während man schon erledigt, erlegt über der Tastatur hing, der Morgen graute einem. Vielleicht wurde man gar entfreundet, weil man das Falsche von sich gegeben hatte, kam vielleicht gar an den Pranger.
Es war was los, wenn schon sonst nichts los war, in einem oder um einen herum.
Ich glaube, es fing mit den Flüchtlingen an. Als sie kamen und dann da waren, nicht nur im Fernsehen, fing es an mit den Hunden, den Blumen, den Steinen im Flussbett, all dem Schönen, beziehungsweise es hörte nicht auf. Facebook wurde immer schöner. Jedenfalls meines. Man konnte sich wirklich wohl fühlen, wenn man noch eine nächtliche Runde dort drehte, da abhing, ein Poesiealbum, Blütenblätter, bons mots.
Während in den Nachtnachrichten die Flüchtlinge froren, draußen vor der Tür. Und immer ratlosere Poltiker_innen ihre Mantras runterbeteten, die das Fernsehvolk schon im Schlaf nachbeten konnte, Zaun ja nein, vielleicht, eher klein, aber oho. Und die Online-Ausgaben der Printmedien die Kommentarfunktion sperrten, da die Kommentare nicht mehr stubenrein waren. Facebook war heil, heil wie die Welt nicht war. Wer will noch einen erschöpften, erniedrigten Menschen posten, dem, wir ahnen es alle, wir wissen es, ein Leidensweg bevorsteht? Wer will noch was sagen dazu, was auch?
Wenn dem ersten gigantischen Schub Herzen irgendwann kein Nachschub mehr folgt, wenn sich ernsthaft gefürchtet wird – aber irgendwann sind auch die besorgten Bürger_innen müde, sie gähnen. Die Flüchtlinge laufen durch Felder in Europa, die Grenzen sind grün, die besorgten Bürger_innen hätten lieber eine graue Grenze, etwas Solides, das ihnen Halt gibt, es geht alles so schnell, so verdammt schnell. Aber sie posten es nicht mehr, sie wollen nicht in die Ecke, sie sind weltoffen, sie lieben den Camembert, den echten natürlich, und sie wissen, wo man Adäquates zu sich nimmt, in der Stadt der Liebe.
Und dann, nachdem das passiert ist, in der Stadt der Liebe, wachen alle wieder auf aus den Himmeln, den Blumen, den Vögeln mit komischen Schnäbeln. Alle sind auf einmal gestreift, aber anders gestreift als vor einem halben Jahr, nicht mehr poetisch regenbogenfarben. Jetzt sind sie Stadt der Liebe, sind Liberté und Égalité und Camembert und singen eine Hymne mit einem verdammt blutigen Text, wie die meisten Hymnen außer unserer, die deswegen ruhig mal lobend erwähnt werden darf, oder liken Imame, die diese berühmte, blutige Hymne singen, vor Blumenaltären.
Und dann. Ich weiß nicht, vielleicht sind meine Gesichtsverlierbuchfreund_innen und ich schon alt und zerbrechlich, die Welt wird uns zu viel, zu groß, zu klein, überall Neue, und immerzu hören wir plötzlich das böse Wort Krieg, es muss am Hörgerät liegen. Jedenfalls glaube ich, ich bin sicher, bald kommen wieder die Blumen, die Vögel. Etwas Lustiges jetzt aber mal.
Und die Rüstigen reisen irgendwohin, wo sie sich noch hin trauen, und sie posten dann Wellen und Wind in Bäumen, die Leute machen neuerdings Fotos, ein Wahnsinn.