Was für ein Erfolg! Kaum hat Georges Hausemer seinen eigenen Verlag gegründet, landet er mit der ersten Veröffentlichung bereits den größten Verkaufshit des Sommers unter den einheimischen Bucherzeugnissen und belegt Platz eins der nationalen Bestenliste.
Eine Überraschung ist das vielleicht nicht. Wie die Bestenliste Monat für Monat vorführt, hat auf dem luxemburgischen Buchmarkt Erfolg, wer sich an mindestens einer dieser drei Sparten orientiert: Krimis, Kochbücher und Nationalkitsch. Auf Letztere hat es Hausemer offenbar mit geradezu enzyklopädischem Anspruch abgesehen. In loser Anlehnung an Schotts Sammelsurium (Schott’s Almanac), die erfolgreiche britische Buchreihe, die regelmäßig mit einem Kompendium kurioser und tendenziell nutzloser Fakten aufwartet, verheißt der Titel, der so lang ist, dass kein Autorname mehr auf den Buchdeckel gepasst hat: Was Sie schon immer alles über Luxemburg wissen wollten, aber bisher nie zu fragen wagten (und über Island schon gar nicht).
Die Unterstellung einer gewissen Ängstlichkeit des potentiellen Lesers mag ein wenig übertrieben scheinen. Was sollte einen Luxemburg-Interessierten davon abhalten, sich nach der Anzahl von Filialen irgendwelcher Fastfoodketten oder nach dem Durchschnitt an Sonnenstunden zu erkundigen? Weswegen sollte er sich zu fragen fürchten, wie viele Drogentote oder Selbstmörder Luxemburg jährlich verzeichnet? Auch die Frage, wie viele und welche Luxemburger Heilige es gibt, erscheint zwar nicht unbedingt dringlich, aber wohl noch weniger verwegen.
Sei es drum! Die Informationen, die sich der Leser andernfalls mit Google und Wikipedia mühsam selbst zusammenklauben müsste, falls er denn wirklich auf die Idee käme, sich beispielsweise zu fragen, in welchen Songtexten Luxemburg erwähnt wird oder wieviel Altglas die Luxemburger im Laufe eines Jahres anhäufen, sind hier fein säuberlich in knapp zwei Dutzend Kategorien aufgeteilt, passgenaue Versatzstücke für leichte Konversation oder Gelegenheitsreden. Wer spontan wissen will, wie viele Schlägereien (4) und Wespenstiche (75) die Polizei 2011 auf der „Schueberfouer“ verzeichnete, kann das schnell in Erfahrung bringen. Unter luxemburgischer Flagge fuhren 2010 außerdem angeblich 71 Kreuzfahrtschiffe (vgl. S. 158). Wer hätte das gedacht?
Eine Luxemburger Version von Schotts Sammelsurium ist Alles über Luxemburg trotz seiner beachtlichen Ansammlung an teils wissenswerten, teils abstrusen Daten dennoch nicht. Mit der bloßen Auswahl und Reproduktion von Statistiken und Details gibt sich der Verfasser jedenfalls nicht zufrieden. So fehlt zwar sein Name auf dem Cover, doch der Autor ist überall mit am Werk: indem er alle paar Seiten eine Scheingegnerschaft Luxemburgs zu Island anstrengt, indem er kommentiert, wertet, uminterpretiert, giftet, feixt und mutmaßt. Einmal spricht er dem Leser etwa „Mut“ zu, „die politische und wirtschaftliche Geschichte des Großherzogtums auch an den jeweiligen Ausländeranteilen in bestimmten Jahren abzulesen“ (S. 31), ein anderes Mal gibt er als Eröffnungsdatum für das (mittlerweile eröffnete) Festungsmuseum das Jahr 2823 an.
Die Interpretation von Sachlagen wird in vielen Fällen gleich mitgeliefert. Von einer „traurigen Situation“ (S. 24) ist dann die Rede, Ergebnisse werden für „erstaunlich“ (S. 150) befunden und die Lektüre luxemburgischer Autoren für lohnend (S. 123). Möglich, dass die Entscheidung, als eine Art auktorialer Erzähler durch die Informationshäppchen zu führen und zu allem seinen Senf hinzuzufügen der Unterhaltung des Lesers dient.
Allerdings wird dieses Vorgehen spätestens dann bedenklich, wenn es die Privatmeinungen des Autors unter dem Deckmantel der Präsentation einer rein sachlichen Faktenlage durchscheinen lässt, umso mehr, als das Weglassen eines Autornamens die Loslösung des Buchinhalts von privaten Standpunkten vorspiegelt. So ätzt Hausemer beispielsweise gegen die „Staatsdiener im Ländchen“ (S. 249), die auch in Krisenzeiten nicht zurückstecken müssten. Er führt den Jagdunfall eines ehemaligen Vorsitzenden des Jägerverbandes als „einfach zu schön [...] um unter den Tisch zu fallen“ in der Kategorie „Tiere“ an. In seiner Einleitung zu kuriosen Anzeigen und Polizeieinsätzen (S. 96) schreibt er: „Normalweise bräuchte es heutzutage in Luxemburg aber auch nur noch wegen der allerwenigsten Delikte eine Todesstrafe.“ Staatsbeamte und Jäger muss natürlich niemand mögen, aber vielleicht wagt ein neugieriger Leser zu fragen, was denn mit dem allgemeinen Lohnniveau passiert, wenn der Staat seinen Beamten weniger Geld gibt, unter welchen Bedingungen Schussverletzungen als „schön“ gelten können und für welche Delikte es die Todesstrafe „bräuchte“. (Das steht da freilich nicht.)
Christian Mosar
Kategorien: Luxemburgensia
Ausgabe: 21.09.2012