das große durcheinander

Zerbrechliche Idyllen

d'Lëtzebuerger Land vom 07.09.2012

Den Verlag hat er gewechselt, aber seiner poetischen Welt ist er treu geblieben: In das große durcheinander (welche Substantivierung er vornehmen will, bleibt dem Leser überlassen) erweitert Jean-Paul Jacobs einen poetischen Zyklus, den er mit Jenes Gedicht & Mit nichts (2005) angefangen und mit Glanz und Elend der Poesie (2009) sowie Die Perücke des Zephyrvogels (2011) fortgeführt hatte. Der Dichter lässt also wieder eine exquisite Traum- und Märchentruppe in allerlei Irrungen und Wirrungen geraten, in der Heidi, „große fürstin des sarganserlandes“ und „der kleine honorige herr/ in seinem lackfräckchen/ und mit seiner ausgestopften/ rosafarbenen ratte“, der „an schrecklichen orten/ herumschnüffelt“, vielleicht nicht einmal die wunderlichsten Erscheinungen abgeben. Auch dass neben Melpomene und Euterpe noch allerlei anderen Damen und Musen, – Florence, Rahel, Constance oder Agathe –, raffinierte Komplimente zu Füßen gelegt werden, gehört zu den unerschütterlichen Gepflogenheiten des poetischen Universums, das der Dichter Buch für Buch mit neuen wundersamen und kuriosen, halb historischen, halb imaginierten Figuren bevölkert.

Über die direkte Anrede der mit sagenhaften Wimpern, Blusen und Nasen ausstaffierten Frauenzimmer werden die Grundzüge des poetischen Entwurfs sichtbar, den Jacobs in den gar nicht einmal so seltenen Momenten durchscheinen lässt, in denen sich Risse in den zauberhaften Szenerien seiner Texte auftun. So verabredet er sich mit Claude Monet und seinem „alte[n] rokokobrüderchen“ Paul Verlaine zu einem Kneipenabend, bei dem die Kathedrale von Rouen zwar erwünscht ist, aber die unbedingten Maximen gelten: „kein wort über poesie!“ und „kein wort über malerei“. Die Baumträger mit den langen Bärten sollen derweil lieber „zu einem bukolischen dessert“ eingeladen werden als zu einem „podiumsgespräch/ über alte und neue poesie“. Auskunft geben will der Dichter nicht. Auch von moralisierenden Eingaben hält er wenig, denn „der dichter ist kein moralist“. Oder wie es an anderer Stelle heißt: „wir weinen nicht/ wir lachen nicht/ wir winken durch“. Die Texte von Jean-Paul Jacobs wollen entzücken und bezaubern; sie wollen die Welt verschönern, nicht erklären und verbessern.

Doch oh je! Sich an diese Vorgabe zu halten, ist gar nicht so leicht. Hin und wieder juckt es den Poeten, die Wahrheit zu sagen, zum Beispiel den Vögeln, dass ihr Singsang in frühen Sommermorgenstunden den Schlaf des Dichters empfindlich stört. Dabei sind die Vögel die wahrhaft harmlosesten Störfaktoren poetischer Träumereien. Das spielerische „durcheinander“ seiner Gedichte kann den Leser (und oh je, auch den Dichter) nur kurz von dem wirklichen, dem großen „durcheinander“ der sogenannten wirklichen Welt ablenken. Da mögen sich die durch die Poesie wandelnden Damen parfümiert und der Misere enthoben fühlen; der Dichter weiß es besser: „aber der ganze schlamassel/ rundum/ selbst eulen müssen wir/ klagen hören“ (vgl. die parfümerie und der tod, S. 24).

Mehr als in den anderen Gedichtbänden der letzten Jahre rückt dieses „ganze schlamassel“, ein großes durcheinander, „das die natur in stücke reißt“, dem Dichter auf die Pelle. Zwar werden scherzhaft die „croissantschnorrer“ zu „den schlimmsten“ erklärt und die „dunkle seite der poesie“ in einem Teufel ausgemacht, der sich Herzen dadurch erobert, in Brüsseler Spitzen zu tanzen, doch vermutlich liegt die eigentliche dunkle Seite der Poesie völlig außerhalb, in kriegerischen und chaotischen Weltzuständen und einer damit einhergehenden allgemeinen Verrohung, der mit Poesie nicht beizukommen ist. Das Gedicht bleibt „chouchou und bijou“, ein Blumenstrauß oder diamantenbesetzte Manschettenknöpfe, ein herrliches Soufflé, eine alles in allem folgenlose Dreingabe.

Anders als zum Beispiel seine Vorgänger in der Dichtung der Renaissance und des Barock, kokettiert dieser Dichter nicht länger mit seiner Fähigkeit, seine Angebeteten, die ja letztlich als Platzhalter dienen für den idealen, den wohlgesonnenen und schönheitsbedürftigen Leser, für alle Zeiten im Gedicht zu verewigen: Von den „skizzen des dichters“ weiß man nur noch, dass sie „mitsamt den samthandschuhen“, die er beim Schreiben trug, verloren gegangen sein sollen.

Statt sich als Garant für Unvergänglichkeit zu gerieren, erhebt Jacobs’ Poesie lediglich den Anspruch, das „große durcheinander“ in der Welt für kurze Zeit, – für die Dauer eines Traums oder eines Aufenthalts „in professor gotthardt kuehls/ grünbläulich schimmernde[m] gartenzimmer“ –, auf Abstand zu halten. Die zerbrechlichen Idyllen dieser Dichtung schützen den Leser vielleicht nicht vor den Zugriffen der Welt, aber vielleicht können sie ihn ein wenig trösten.


Jean-Paul Jacobs: das große durcheinander. Mit Zeichnungen von Matthias Pelzer. 155 S. Éditions Ultimomondo, Nospelt 2012. ISBN 978-2-919933-76-1.
Elise Schmit
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