Cargolux

Offene Rechnungen

d'Lëtzebuerger Land du 11.10.2013

Als Claude Wiseler vergangenen Freitag nach der Unterredung mit dem Nachhaltigkeitsausschuss über die Verhandlungen zum Verkauf der Cargolux-Anteile das Parlamentsgebäude verließ, beschwerte er sich ein wenig darüber, dass er tags drauf wahlkampfbedingt auf dem Wochenmarkt Orangen verteilen müsse. Er war müde. Aber entspannt. Denn es sah so aus, als hätte er die Situation unter Kontrolle. Mittwochs war die Verhandlungsdelegation aus China zurückgekehrt, im Gepäck das Angebot der Gesellschaft HNCA aus Henan. Das respektiere, was die Zusammenarbeit mit der Luxemburger Frachtgesellschaft betrifft, den Business-Plan, den die Airline nach dem Ausscheiden von Qatar Airways angenommen hatte. Deswegen seien die Befürchtungen des OGBL in Bezug auf die Verlagerung eines Teils der Flotte sowie der Flugzeugwartung unbegründet, hatte Wiseler den Abgeordneten und der Presse mitgeteilt. „Das ist im Business-Plan nicht vorgesehen.“ Noch schnell, bevor es aufgelöst wurde, hatte er das Parlament informiert, um Vorwürfen über ein eventuelles intransparentes Vorgehen vorzubeugen.

Am Montag platzte dann – wenige Tage vor den Parlaments- und einige Wochen vor den Sozialwahlen präzise getimt – die Bombe. RTL veröffentlichte auf seiner Webseite einen undatierten Entwurf für ein commerical cooperation agreement zwischen Cargolux und HNCA, der genau dies vorsah. Cargolux solle nicht weniger als ein Drittel seiner Flotte am Flughafen Zhengzhou ansiedeln. Und zusammen mit HNCA ein Joint-Venture für Wartungsarbeiten in der Hauptstadt der Provinz Henan gründen, das sowohl die Wartungsarbeiten für die Flotte einer noch gemeinsam zu gründenden Airline durchführen soll, wie auch an Cargolux-Flugzeugen.

„Überall Scheiße“, beschrieb daraufhin ein Beobachter die Situation in und um Cargolux sehr treffend. Innerhalb des Unternehmens sei man geschockt über Wiselers Ankündigungen vom Freitag – dass die Verhandlungen so schnell fortschreiten würden, hätte man sich nicht erwartet. Lucien Lux, Zentrumskandidat der LSAP, ließ durch die Presse wissen, das Management sei nicht eingebunden gewesen. Ob man denn aus „Katar“ nichts gelernt habe? Wiseler selbst ist auch nicht mehr so entspannt. Denn nach der Veröffentlichung des draft agreement konnte der Eindruck entstehen, die Erwartungen der Chinesen seien nicht wirklich deckungsgleich mit den Vorgaben des Cargolux-Business-Plan. Und wenn das Management nicht Bescheid wusste, machte er hier etwa einen Alleingang? Über einen „Alleingang“ in Sachen Cargolux aber war vergangenes Jahr sein Parteikollege und CSV-Zentrumskandidat Luc Frieden gestolpert – braute sich hier nun eine Cargolux-Affäre-bis über Nummer drei der CSV-Erbfolge zusammen?

À qui profite le crime? Nicht einmal Claude Wiseler selbst war im Besitz einer Kopie des draft agreement, eines ersten Vorschlags von HNCA von August gewesen, erklärte er am Mittwoch nach stundenlangen Unterredungen mit den Gewerkschaftsvertretern. Nur die Chinesen selbst, die Experten – das Infrastrukturministerium lässt sich von UBS und Clifford Chance beraten –, die Vertreter vom Ministerium und das Management über CEO Richard Forson verfügten darüber. Der Kreis der Verdächtigen ist äußerst klein. Und war, anders als Lu­cien Lux es darstellte, durchaus über den Stand der Verhandlungen informiert. Das lässt sich aus dem Schreiben herauslesen, das Forson zusammen mit Verwaltungsratspräsident Paul Helminger am Montagabend an die Mitarbeiter richtete, um die Truppen nach dem Tumult zu beruhigen. Darin erklärten beide, das Management habe eine „walk­away position“ definiert. Zu deutsch heißt das: Das Management hat im Vorfeld der Verhandlungen vergangene Woche festgelegt, wie weit die Unterhändler in den Gesprächen mit den Chinesen gehen können und wann sie den Verhandlungstisch verlassen sollen. Dabei ging es darum, wie oft und unter welchen Bedingungen Cargolux wöchentlich nach Zhengzhou fliegen soll. Und darum, dass man ein Joint-Venture für eine neue Airline nur eingehen würde, wenn Machbarkeitsstudien zeigen würden, dass sie erfolgreich sein könnte. Berechnungen und Bedingungen, die vom ganzen Management-Team erstellt wurden, wie Wiseler am Mittwoch betonte.

Was wiederum bedeutet: Wer immer das draft agreement an die Medien gegeben hat, musste eigentlich wissen, dass der Inhalt nicht aktuell sein konnte, weil es danach Verhandlungen gegeben hatte. Weshalb es also weitergeben? Um Wiseler und seine Unterhändler bloßzustellen? Um die Chinesen in ihren Delokalisierungsabsichten zu entlarven? Schwer zu sagen, denn im Kontext Cargolux gibt es viel ungewaschene Wäsche, wie eine kleine Auflistung der offenen Rechnungen zeigt. Angefangen bei Marc Hoffmann, der als Präsident des Verwaltungsrats abtreten musste, nachdem Qatar Airways ins Kapital der Cargolux kam. Auch Lucien Lux hat ein paar Rechnungen zu begleichen, nicht zuletzt, weil sein Protegé Frank Reimen von den Kataris und Albert Wildgen, der wiederum seinen Posten als Verwaltungsratschef räumen musste, als die Kataris gingen, vom CEO-Stuhl gemobbt wurde. Luc Frieden ist sicher sauer, dass man ihn allein für das Katar-Debakel verantwortlich macht. Dass Richard Forson, der ehemalige starke Mann der Kataris immer noch CEO ist, haben weder das restliche Management noch die Mitarbeiter Minister Claude Wiseler verziehen. Sie finden, Forson sei nicht glaubwürdig. Forson hat vor allem Bewunderer in Arbeitgeberkreisen, weil er durch die Aufkündigung des Tarifabkommens ein Exempel fürs ganze Land statuieren wollte. Was ihm die Gewerkschaften nie vergeben werden, obwohl man in Sachen Tarifvertrag im Endeffekt gut zusammengearbeitet hat. Da sind die parastaatlichen Aktionäre, die wütend sind, weil die Privat-Aktionäre BIP und Luxavantage bei der Katar-Transaktion einen höheren Preis pro Aktie kassierten als sie, und sie diesen Frühling auch noch den Anteil des Staates bei der Kapitalerhöhung zahlen mussten. Noch immer ist nicht geklärt, was genau der Geheimdienst im Betrieb gemacht hat. Rivalitäten zwischen den verschiedenen Ministerien, die mit Cargolux zu tun haben, gibt es schon seit Jahren – Wirtschaftsminister Etienne Schneider wurde wie alle anderen Regierungsmitglieder über die Verhandlungen informiert. Ex-Finanzchef David Arendt hat sich, nachdem er nicht CEO wurde, zum Freeport abgesetzt. Und nicht zuletzt gingen der ehemalige CEO Ulrich Ogiermann und Vertriebschef Robert Van de Weg für die Preisabsprachen, welche die Firma eingestanden hatte, in die USA ins Gefängnis. Ogiermann ging danach zu Qatar Airways. Robert van de Weg ist der Held der Cargolux-Belegschaft.

Von dieser gemütlichen Atmosphäre abgesehen, geht es aber vielleicht darum, einen Verkauf der Anteile überhaupt zu verhindern. Denn ob dies überhaupt notwendig sei, die Frage stellten am Mittwoch zum wiederholten Male die Vertreter des OGBL, und auch Claude Wiseler fand es notwendig, darauf einzugehen. Wieder, denn die Diskussion ist nicht neu und hängt eigentlich mit der Frage zusammen, ob eine Airline wie Cargolux, die ausschließlich Fracht transportiert, in der Zukunft eine Daseinsberechtigung hat. Im Großen und Ganzen kann man zwei Fraktionen unterscheiden. Diejenigen, die ans Geschäftsmodell der Cargolux glauben und daran, dass sie gut in dem ist, was sie macht. Und diejenigen, die Zweifel daran haben. Erstere argumentieren in etwa wie folgt: Hätte Cargolux in den vergangenen Jahren nicht über 300 Millionen Dollar für Bußgelder und Anwaltskosten ausgeben müssen, ginge es der Airline gut. Dass es auch im Moment nicht mit den Gewinnen klappt, liegt an der schwierigen Konjunktur und an den Überkapazitäten im Markt – sitzt man dieses Tief erst einmal aus, wird Cargolux wieder richtig Geld verdienen. Mann kennt das Geschäft, schließlich macht man das seit Jahrzehnten erfolgreich.

Die anderen sehen die Sache in etwa so: Seit Beginn der Krise 2008 wird jedes Frachtstück, wenn möglich, auf ein Schiff gepackt, weil der Seetransport deutlich günstiger ist als der Lufttransport. Und auch innerhalb des verbleibenden Luftfrachtsegments gibt es Verschiebungen. Immer mehr Fracht wird im belly space, im Bauch von Großraumpassagierflugzeugen transportiert. Die werden immer größer und der Warentransport im belly space ist günstiger als auf Frachtmaschinen, weil die Kosten für den Flug von den Passagieren bezahlt werden. Deswegen wird es konjunktur-unabhängig schwer bleiben für die Cargolux, sich als Nur-Frachtgesellschaft zu behaupten. Außerdem hat Cargolux auch in der Vergangenheit immer wieder Kapitalspritzen gebraucht.

Mit dem Stichwort Kapitalspritze wird diese Problematik nun konkret. Nach dem Business-Plan, der nach dem Abschied der Kataris und nach der Oliver-Wyman-Studie angenommen wurde, braucht die Cargolux Anfang 2014 eine Kapitalerhöhung von 175 Millionen Dollar. Könnte man das ohne neuen Partner? Manche meinen: Ja. Weil das Geschäft besser laufe als geplant und die Cargolux deswegen nicht ganz so viel Geld brauche, wie im Business-Plan vorgesehen. Iata-Statitiken vom August zufolge liegt Cargolux auf Platz acht der Frachtgesellschaften weltweit und konnte ihren Marktanteil binnen eines Jahres von 2,9 auf 3,4 Prozent erhöhen. Bei den transportierten Tonnen war das ein Zuwachs von 16 Prozent. Der Staat könne eine solche niedrigere Kapitalerhöhung durchaus mitmachen, mit den EU-Wettbewerbsbehörden könne man das diskutieren.

Im Infrastrukturministerium glaubt man das nicht. Claude Wiseler machte am Mittwoch deutlich, dass die Kommission ihm wegen der Cargolux im Nacken sitze, und warnte davor, das Risiko eines Verfahrens wegen illegaler Staatsbeihilfen sei „enorm groß“ und dadurch auch das einer forcierten Restrukturierung. Ein solches Unternehmen würde dann niemand mehr kaufen wollen. Seiner Ansicht nach führt um die Kapitalerhöhung kein Weg herum. Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Denn noch ist die Flottenerneuerung der Cargolux nicht abgeschlossen. Vier neue Flugzeuge erwartet man noch. Und die wollen finanziert werden. Eine Übung, die in den vergangenen Jahren immer schwieriger wurde. Wegen der Kassenlage der Cargolux. Und wegen der Kritik am Garantie-System der US-Exportbank Exim in den USA selbst – weil sie die Partikularinteressen einiger Konzerne vor die der Steuerzahler stelle. Im Fokus stand vor allem Flugzeugkonstrukteur Boeing, deren Verkäufe – auch an Cargolux – die Exim finanzieren hilft. Deswegen braucht Cargolux unbedingt einen Partner, der die Kapitalerhöhung mitmacht, glaubt man im Infrastrukturministe­rium. Dieses Versprechen habe man den Chinesen von HNCA abgerungen. Und deswegen müssten sich nun auch die anderen Aktionäre dazu engagieren, so Wiseler zur Prozedur.

Doch vor der Frage, ob HNCA ein gutes Angebot gemacht hat, steht die, welche Angebote es noch gegeben hat. Nachdem fünf Interessenten in den vergangenen Wochen im Datenraum der Cargolux waren, haben drei von ihnen bindende Angebote abgegeben, so Claude Wiseler vergangenen Freitag. HNCA, die Chinesen von HNA, die sich dafür mit der Luxemburger Investmentgesellschaft Saphir Capital Partners zusammengetan haben, wie Patrick Hansen bestätigt, der ansonsten nicht kommentieren will. Und – das ergibt sich aus der aktuellen Lage – ein US-Investmentfonds, der keine kommerziellen Synergien zu bieten hat. Wohl auch deswegen ist HNCAs Angebot so schnell als das Interessantere ausgewählt worden: Die Chancen standen fünzig zu fünzig, weil man einen reinen Finanzinvestor als Partner eingentlich ausgeschlossen hat. Obwohl Claude Wiseler am Mittwoch betonte, alle Bieter seien noch im Rennen, und falls es mit HNCA nichts werde – nach den Wahlen soll der Cargolux-Verwaltungsrat zusammenkommen, um darüber zu diskutieren – werde man wieder mit ihnen verhandeln.

Sind die Chinesen von HNCA also ein guter Partner für Cargolux? Am Flughafen Zhengzhou wurde 2012 mit rund 150 000 Tonnen nur ein Viertel der Frachtvolumens vom Findel umgeschlagen, eine Steigerung von 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bis 2025 sollen es drei Millionen Tonnen werden. Die Waren sollen in der Anfang März von der Zentralregierung in Peking abgesegneten Experimentzone für eine flughafenbasierte Ökonomie hergestellt werden. 415 Quadratkilometer groß soll die Zone sein, mit mehreren Runways, Produktionsstandorten und Freizone. Neue Wohnungen sollen entstehen. Die „Aerotropolis“ soll 2025 Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar umschlagen. Von Cargolux wollen sie einerseits Flugverbindungen, andererseits Know-how in Sachen Ausbildung von Piloten, Mechanikern und was den Betrieb sowohl einer Airline, als den eines Logistikzentrums betrifft.

Doch internationale Medien, wie auch die Luxemburger Botschaft in Peking zweifeln an den Plänen. Weil es viel Konkurrenz zwischen den Provinzen gibt – das zeigen auch die konkurrierenden chinesischen Angebote für Cargolux. In einem Schreiben vom September, das dem Land vorliegt, warnt die Botschaft davor, dass sich auch in China das Wachstum verlangsamt und dadurch so manches Projekt an Rentabilität einbüßen könnte. Außerdem gebe es bisher nur einen Produzenten in Zhengzhou: I-Phone-Hersteller Foxconn. Foxconn ist für die rapiden Steigerungen des Frachtvolumens verantwortlich. Ob die Region auch in Zukunft so schnell weiter wachsen werde, sei nicht gewiss, mahnt man in der Luxemburger Botschaft in Peking. Denn um solche regionalen Projekte zu finanzieren, nämen die Provinzen Schulden auf. Nach Pekings Geschmack zu viele – erst kürzlich habe die Zentralbank eingegriffen, um den Aufbau weiterer Schulden durch die Provinzen ein wenig abzubremsen. Vergangenen Freitag meinten dazu Claude Wiseler und sein Mitarbeiter und Unterhändler Tom Weisgerber, bisher hätten die Projektentwickler die eigenen Vorgaben eingehalten und man erkenne einen „wirklichen Willen“, das auch in Zukunft zu tun.

Ähnliche Probleme, einzuschätzen, woher das Geld kommt, oder wie seriös die „gouvernance“ ist, dürften sich bei jedem chinesischen partner stellen, nicht nur bei HNCA. Weshalb umso vorsichtiger abgewogen werden sollte. Das Angebot über die kommerzielle Zusammenarbeit liegt dem Management seit Mittwoch vor. Die Aktionäre sind ebenfalls informiert. Am 25. Oktober trifft der Verwaltungsrat zusammen und auch die Mitbestimmungsgremien im Betrieb sollen informiert werden – erst wenn sie es „schwarz auf weiß“ sehen, dass keine Stellen in Luxemburg gefährdet sind, seien ihre Bedenken ausgeräumt, so die OGBL-Vertreter am Mittwoch. Ob es zu diesem Zeitpunkt eine Regierung gibt, die einem Verkauf an HNCA zustimmen kann? Wenn die Regierungsbildung zu lange andauere, müsse man sehen, wie das juristisch geregelt werden könne, so Wiseler am Mittwoch. Dabei dürfte es auch poltitisch nicht ganz einfach werden. Er will bald eine Entscheidung haben, weil die Zentralregierung in Peking grünes Licht geben muss. Das kann durchaus ein paar Monate dauern. Dass Claude Wiseler in für ihn so ungewohnter Weise aufs Gaspedal drückt, liegt daran, dass er die Kapitalerhöhung von nächstem Frühling im Blick hat.

Michèle Sinner
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