Binge-watching

Raues Birmingham

d'Lëtzebuerger Land vom 01.05.2020

Dieser Thomas Shelby (Cillian Murphy) ist ganz Überlegenheit und Eleganz, wenn er durch die Straßen des Small Heath-Viertels in Birmingham reitet. Das ist ein aus der Zeit gefallener Westerner, der um 1920 geradewegs den Übergang zum Gangsterhelden stiftet. Seine Verbrecherbande, die „Peaky Blinders“, werden zunehmend zu einer unausweichlichen Macht. Als ihnen eine Ladung Maschinengewehre der britischen Armee in die Hände fällt, spitzt sich die Lage zu, denn revolu-
tionsbereite Kommunisten im Land haben ebenso Interesse an den Waffen wie die IRA. Kriegsminister Winston Churchill beauftragt den Polizeiinspektor Chester Campbell (Sam Neill), die verlorene Ladung ausfindig zu machen. Und da ist noch die Undercover-Agentin Grace Burgess (Annabelle Wallis), auf die Thomas längst ein Auge geworfen hat...

Die „Peaky Blinders“, die um 1890 in Birmingham tatsächlich ihr Unwesen trieben, boten die Inspira-tion für den Titel der 2013 gestarteten BBC-Serie, die auch auf Netflix verfügbar ist: Er geht vermutlich auf den Namen der Schiebermützen („peaked caps“) zurück, die die Bandenmitglieder trugen. Als besonderes Vorbild für die Gangsterbande der Serie dienten jedoch die ebenfalls historisch gesicherten Brummagem Boys, die ab 1920 die Kontrolle von gewinnversprechenden Pferderennen übernahmen. Ja: Pferdewetten, Schutzgelderpressung und Raub machen die kriminellen Unternehmungen der Familie Shelby im Birmingham des Jahres 1919 aus. Aber dieser Tommy Shelby – Cillian Murphy spielt ihn mit einer Mischung aus erhabener Coolness und charismatischer Feinfühligkeit – will mehr, will das Geschäft expandieren und setzt damit eine folgenschwere Kette in Gang: Mord, sexuelle Gewalt und Gier brechen sich zunehmend Bahn, die Gruppe stabilisiert sich über diese Ausbrüche niederer menschlicher Triebe.

Dabei werden ebenso die Verbindungen der Unterwelt zu den geistlichen und politischen Autoritäten gefestigt – die Serie spart nicht an Klischees, versucht aber diese mit besonderer Hingebung zur formalen Gestaltung zu überdecken, ja geradezu zu übermalen. Dazu passen dann auch die beinahe schon gemäldehaften Bilder: schmutzige Fabrikgelände, schlammbedeckte Straßen, düstere Rauchschwaden, sprühender Funkenregen. Peaky Blinders verklärt dieses Elendsviertel Small Heath mehr zu einem beinahe mythischen Ort, als es ernsthaft durchdringen zu wollen. Die Serie verweigert jede Reflexion über den Zusammenhang zwischen dem organisierten Verbrechen und den Armutsvierteln oder der Arbeiterschicht, die etwas (zu) sehr ästhetisierend in Szene gesetzt wird.

Ähnliches gilt für die effektvolle Tonspur: Da gibt es die raue, gleichsam industriell-hypnotisierende Titelmelodie von Nick Cave und den Bad Seeds sowie Songs von Tom Waits. Mitunter wirkt das Ganze wie eine rockige Musik-Show.

Auch ist hier das Bild des Polizeiermittlers unerbittlich beschädigt: Dieser Chester Campbell ist kein romantischer Außenseiter mehr, kein melancholischer Idealist, sondern ein zynischer, erbarmungsloser Schurke, dessen Maßnahmen die Grenze der Legalität längst überschritten haben. Am Ende aber ist er – das ist die desillusionierte Haltung von Peaky Blinders – vielmehr noch ein weiteres kleines Rad in der kriminellen Maschinerie, die nicht an Gerechtigkeit orientiert ist. Und am Ende haben wirklich alle Familienmitglieder gewonnen, die korrupte Ordnung der Stadt ist gesichert.

Letztlich geht es aber gar nicht so sehr um das Verbrechen oder die Gewalt dieser raufenden Kleinkriminellen, sondern um die Auseinandersetzung mit einer kaputten Familie, die aber gegen alle Widerstände zusammenhält. Und da ist die Solidarität untereinander die wohl stärkste Waffe in dieser Unterweltorganisation, in der Profitmaximierung und Einfluss die einzigen Richtungsanzeiger sind.

Marc Trappendreher
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