Binge-watching

Zeit ist Geld

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2020

Seit vergangener Woche wird auf Netflix die vierte Season von La casa de papel (Haus des Geldes), die meistgesehene nicht-englischsprachige Serie, ausgestrahlt. Im Zentrum steht „der Professor“ (Álvaro Morte), der mit einer Gruppe von Komplizen den größten und perfekten Geldraub in der Geschichte Spaniens durchführen wollte. Nun hat er es nicht mehr auf die Banknotendruckerei abgesehen, sondern auf die Goldreserven der spanischen Nationalbank. Da wie hier gilt: Zeit ist Geld. Und das wird hier ganz im Wortsinne verstanden. Wie einst Steve McQueen in The Thomas Crown Affair (Norman Jewison 1968) ist „der Professor“ derjenige, der als Mastermind des Verbrechens im Hintergrund die Fäden zieht und jeden seiner Schritte minutiös geplant hat, um die Polizeibehörden hinzuhalten. In seiner Allmachtsfantasie denkt er, er könne nicht nur über die Polizei, sondern auch über die Zufälligkeiten des Lebens triumphieren ... In gewohnter Serienmanier wird diese Handlung durch allerlei dramatische Konflikte, Rückblenden, sich zunehmend profilierende Nebenfiguren erweitert, wobei sich auch hier die wesentlichen Ausgänge des Konflikts doch sehr schnell abzeichnen. So wird die Beziehung „des Professors“ zur ehemaligen Polizeibeamtin Raquel Murillo (Itziar Ituño) zunehmend problematischer und es drängt sich die klassische Frage in den Vordergrund, ob sich ein professionelles Programm mit einem privaten vereinen lässt.

Als Tochter des Films hat die Serie natürlich auch im Heist-Genre, einem Subgenre des Kriminalfilms, in der meist die perfekte Planung und Durchführung eines Verbrechens behandelt wird, allerlei Vorbilder. So hat man all dies in seiner Formelhaftigkeit schon gesehen: die Figurenzeichnung ist klar und wird auch reihum – leider manchmal sehr aufwendig – durchdekliniert, denn nicht nur die Bankangestellten sind die Gefangenen der Diebe, so stellt sich allmählich heraus, sondern auch die Diebe selbst und die Einsatzleiter des Polizeikommandos sind Gefangene ihrer selbst. Wir lernen ihre Stärken, Schwächen, ihre Vergangenheit und Wünsche kennen.

Gerade die Räuber sind ja eigentlich die Guten, verstehen sich selbst als moderne Robin Hoods, daran lässt die Serie keinen Zweifel. Und dabei funktioniert das Ganze vor allem als kriminalistische Spiegelung hochkomplizierter, mitunter fragiler Liebesbeziehungen. Das was der Professor nämlich nicht kontrollieren kann ist die Liebe. Mithin bewegen wir uns in dieser Neuausgabe auch sehr viel näher an der Sentimentalität, die droht in einen teils kitschig anmutenden Telenovela-Stil abzufallen, der sehr viel Herz-Schmerz-Momente fokussiert, ohne dass diese Einlagen wahre Gravitas oder neue Konfliktsituationen entfalten wollen. Trotz dieser offensichtlichen Anbindungen an den großen Publikumsgeschmack zeigt sich in einigen Momenten dennoch eine Schwerpunktsetzung auf komplexere moralische Fragen, so wird hier nicht nur das gesamte Bankensystem hinterfragt, sondern auch eine exzessive kapitalistische Ideologie. Es wird im Verlaufe der Handlung offenbar, dass „der Professor“ von einer tiefen Resistenzhaltung und vom Wunsch nach Umsturz getrieben wird. Die roten Overalls, das italienische Partisanenlied Bella Ciao und die Dalí-Masken legen davon Zeugnis ab, bleiben aber mehr im Sinne der postmodernen Collage zitathaft.

In Casa de papel geht es nicht nur um ein Netz der Täuschungen, der internen Machtverhältnisse oder Interessenkonflikte; besonders die erste Saison war auch als hochgradige Konstruktion und wendungsreiches Spiel angelegt. Unter diesem Aspekt muss die zweite Saison hinter der ersten zurückbleiben; ja in der ersten Ausgabe, da hat noch der „Professor“ das Geschehen klar über die diversen plot points oder cliffhanger hinweg kontrolliert und dirigiert. So eröffnete Casa de papel eine kluge Piste, die das serielle Erzählen in seiner teils zwanghaft-mechanischen Konstruiertheit bewusst oder unbewusst selbst ausstellte, davon ist nun allerdings nicht mehr viel spürbar.

Marc Trappendreher
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