Die kleine Zeitzeugin

Ferien. Oma auf Standby

d'Lëtzebuerger Land du 11.08.2023

Großmutter, ein nimmermüder Quell von Großmut, ein Born der Güte, da rinnen schon die Zähren wenn das Wort erklingt, so ausgestorben ist es. Passt irgendwie nicht mehr in die Zeit, eine Dosis Güte, so was kann von keiner Therapeutin verordnet werden. Güte ist z.B. gratis. Bei Omas gibt es so was, gratis, oder? Bei Omas ist alles gratis. Omas sind gratis.

Ist das nicht unser Bild von der Großmutter, Selbstlosigkeit, Aufopferung, die die immer da ist, für alle, greifen Sie zu! Sie ist nicht in einer Karibik oder auf einer Kreuzfahrt mit quietschfidelen Freundinnen. Und wenn, dann nur zwischendurch, zwischen ihren Einsätzen, weil Oma ist selbstverständlich ja auch von heute, eine zeitgenössische Frau, und manchmal braucht sie auch was anderes. Ein paar Dünen mehr als die im Sandkasten um die Ecke. Etwas mehr Horizont als das Gitter um das Kinderrutschbahngetto. Und dann zwar auch nur mit viel Erklärungen, Ausreden, so kommt es ihr beinahe vor, und das schlechte Gewissen kommt ihr auch bekannt vor. Das kriegt frau mit der Mutterschaft gleich dazu geliefert. Bei der Großmutterschaft ist das nicht viel anders. Vielleicht sogar schlimmer.

Weil sie weiß, wie das ist eine Mutter zu sein. Heißt in vielen Dingen mutterseelenallein. Und weil sie ihre Kinder unterstützen will. Weil auch bei ihr eine Großmutter aktiv war. Vielleicht hat sie an diese Unterstützung wenig großartige Erinnerungen, aber die Kinder haben sie.

Die Oma! Welch eine Lichtgestalt! Das war noch eine echte Oma. Sie kochte, und zwar mit Liebe. Ihr Rezept hieß Liebe. Und Zucker. Bei der Oma war das Leben süß, das Sofa weich und der Fernseher eingeschaltet. Terrormaßnahmen à la Apfelessen und Frische Luft waren dieser Oma vollkommen unbekannt, sie war, so empfanden es die Kinder, auf ihrer Seite. Vielleicht will sie ihre Kinder unterstützen, weil bei ihr keine Großmutter präsent war. Es war ein Mangel. Der alte Mensch fehlte. Seine Weitsicht, seine Nachsicht, seine Weisheit wie sie sich das vorstellte gab es nicht. Und Hilfe schon gar keine. Und v.a., diese bedingungslose Liebe, wie sie bei Großeltern sichtbar aus allen Poren strömt, die gab es nicht. Für so eine ist sie jetzt zuständig.

Vielleicht hat diese Großmutter nicht gearbeitet, wie das so landläufig heißt. D.h. sie hat nur unbezahlt gearbeitet, Care Arbeit heißt das jetzt, einen Haushalt geschmissen und nicht gleich hingeschmissen und geschaut, dass aus Kindern Leute werden. Glückliche Menschen war vielleicht gar der Ehrgeiz. Vielleicht hat sie gearbeitet, wie man das nennt, d.h. sie hat für ihr Tun Geld bekommen, echtes Geld, und später sogar eine richtige Pension, und jetzt, wo ihre Töchter oder Schwiegertöchter arbeiten, weiß sie wie schwer das ist. Das hinzukriegen, Kind und Job.

Besonders in den Ferien. In den endlos langen Ferien, in denen Eltern ausgeklügelte Strategien entwerfen um sie einigermaßen zu bewältigen. Weil immer sollen die Kinder auch nicht schmoren in Betreuungsstätten, mit den letzten Hinterbliebenen des Sommers. Der letzte Abgeholte! Und die Großeltern, ja, einige Großväter sind auch präsent, werden Care Arbeit leisten, wie das jetzt heißt, und sie werden nicht aufmucken. Weil das wäre lieblos. Und ist es nicht schön, mit den Kids zu sein? Was ist das für ein leeres Altweiberleben, was die unbekinderten Freundinnen führen? Dauernd Kultur und Natur und Reisen, und dazwischen Boreouts, sind ihre Burnouts nicht gesellschaftlich wertvoller? Leistet sie, die Großmutter, nicht Arbeit für die Gesellschaft? Würde diese Gesellschaft ohne sie überhaupt funktionieren?

Die das zwar gar nicht checkt, die Arbeit der Großmütter wird genauso übersehen und volkswirtschaftlich ausgebeutet wie einst die Arbeit der Mütter, die als selbstverständlich und naturgegeben galt. Und wird sie nicht sogar von den Müttern übersehen, die struggeln, um sich feministisch zu befreien, der Gesellschaft vorwerfen sie im Stich zu lassen, aber dann selbstverständlich auf die stille Reserve der Großmütter zurückgreifen? Auf die Verfügbaren. Die machen es für die Kinder. Die haben ja erst recht keine Lobby.

Michèle Thoma
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