Also die Nichts-Zeit, die Zeit ohne alles, ohne Pläne, ohne Termine, die wie Termiten an einer nagen und eine jagen. Es gibt keinen Rahmen und keine Form mehr, der Mensch schwitzt und verschwitzt alles. Er verliert seine Konturen und seine Montur, er löst sich auf, er schmilzt, verschmilzt mit allem. Er kratzt sich am Steiß, es ist sehr heiß, er schleckt ein Eis, er wird zum Dichter, und dann vergisst er auch das.
Der Mensch muss nichts und er will nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Flughafen? Schauder. Strände? Schüttelfrost. Urlaub? Er verkriecht sich hinter seiner Topfpflanze und stellt sich tot, er muss nichts, denkt er trotzig. Eigentlich. Nur sterben, leider, die wesentlichsten Erkenntnisse hatten schon die Kindergartenkinder, diese schlechte Gewohnheit können die Menschen immer noch nicht ablegen. Aber sonst. Er fängt an, sich lebendig zu fühlen, eigenartig lebendig. Sie schaut am Nachmittag Filme in nie gehörten Originalsprachen. Sie buddelt staubbekränzte Bücher aus und steckt ihre Nase hinein. Dann geht sie in ihnen unter. Manchmal gießt sie ein Unkraut auf dem Balkon. Anscheinend kommt ein Orkan. Sie fotografiert Regenbögen. Sie hat keinen Hund. Das ist gut. Sie muss nicht mit dem Hund spazieren gehen.
Sie muss Proviant holen, das schon. Im Supermarkt ist keine Schlange. Im Freibad schon.
Da sind die, die immer in Schlangen stehen, wenn sie den Fernseher jetzt einschalten, empfinden sie eine seltsame Genugtuung. Wenn sie diese Flüchtlinge sehen, diese Insel-Flüchtlinge, blonde hochofenrot umloderte Menschen, und wie die blonden erschöpften Menschen in Hallen und Flughäfen auf dem Boden liegen oder auf eigene Faust, wie es heißt, ihre Flucht organisieren. Dann sieht man wie sie sich auf alten Kuttern quetschen und die Erleichterung auf ihren Gesichtern, wenn der Kutter an einem Festland andockt, und sie wurden nicht mal back gepusht. Das tröstet die Hinterbliebenen des Sommers, denen all das erspart bleibt, wie sie sich versichern, aber dann warnt die Wettervorhersage. Sie sagt, Orkan, Mensch geht in Deckung hinter seiner Topfpflanze und postet schnell noch sein genügsames Glück.
Die Welt ist eine ausgebuchte und besuchte, nachts sieht sie die über ihrem Schädel glühenden Funken, die alle nach Anderswo unterwegs sind. Anscheinend wird der Platz da oben knapp, es gibt jede Menge Himmelsstaus. Gut, dass ihr all das erspart bleibt, beglückwünscht sie sich, anmutige Städtchen, die eben noch nur für die mit den guten Büchern und dem guten Rotwein waren, werden eingenommen und belagert, bis auf den letzten Plastikstuhl vor einer Pizza aus Pappe, bis auf das letzte Zipfelchen des Geheimtipp-Eilands. Anscheinend brechen Badetuchkriege aus, liest sie beklommen, an manchen Stränden sind Badetücher wiederum verboten, weil der Sand knapp wird, überall gibt es Quallen und manchmal schnappt ein Hai auf Durchreise sich einen Touristinnenschenkel. Bodypositive Truppen trotten an Altären vorbei und alle filmen sich selber. Warum sind da auch die andern?, wundern sie sich jedes Jahr wieder. Jedes Jahr werden die anderen mehr. Solche wie sie. Die sich keine eigenen Eilande gönnen können, die immer in Schlangen stehen.
Manchmal hat Mensch Visionen. Fata Morganas. Meer. Gestade. Gischt. Perlen auf Goldhaut. Das kleine zärtliche Schäumen oder so ein Atlantikgetöse, dass man Ruhe! schreien will, aber der Atlantik macht, was er will. Irgendwann ist man betäubt. Delphine, Delphi, Sand, der durch Finger rinnt, Zeit, die verrinnt, unkontrolliert, nicht registriert, einfach so, bis Körperbestandteile Hallo! sagen und Mensch sich aufrappelt und sich irgendwohin schleppt zwecks Instandhaltung der Körperfunktionen. Er schmatzt vor einem Teller mit Tieren mit Tentakeln.
Vielleicht wäre so was doch besser als die Terrasse neben dem Parking? Als zu verglühen beim Rundgang um die grabsteinernen Vorgärten, manchmal kommt ihr eine Insassin mit Rollator entgegen, sie grüßen einander, matt. Sie haben es nicht geschafft. Oder doch? Sie sind die Überlebenden des Sommers.
Dann fällt Mensch in das Sommerloch und bleibt drin liegen. Es riecht nach Tiefsommer, ein bisschen faulig..