DIE KLEINE ZEITZEUGIN

Die ewige Mutter

d'Lëtzebuerger Land du 16.06.2023

Ein Konsumkapitalismusfest, nein, das muss doch nicht sein! Ein Geschenk, so RTL asketisch, muss auch nicht sein. Viele Mütter, so RTL wissend, freuen sich schon darauf, mit ihren Lieben zusammen zu sitzen. Mütter, wie man sie trotz interessanter neuer Vorschläge immer noch ausdauernd nennt, sind bekanntlich dankbare Wesen. Bescheiden, genügsam, ein paar Pralinen eventuell, an der Tankstelle noch schnell ein paar Blumen, und schon rinnen die Zähren. Und wenn es dann noch etwas Verschrumpeltes aus dem Kindergarten gibt, für dich, Mama!, gibt es gar kein Entrinnen mehr. Gar keinen Sarkasmus mehr, selbst die letzten Widerständlerinnen werden schwach, selbst antike Anti-Muttertags-Aktivistinnen schmelzen dahin. Es ist doch immer wieder schön.

Dabei wissen viele gar nicht mehr richtig was so eine Mutter ist, das ist doch so ein archaisches Monster, oder? Kein Wunder, dass das ein Auslaufexemplar ist, es passt einfach nicht mehr in diese Welt, diese Zeit, nie hätte eine KI sich so was einfallen lassen. Mit Loch, und produziert Schreiendes, Schleimbeschmiertes. Voller Defizite. Depressiv auch noch, jetzt sind diese Mütter wie man sie immer noch nennt angeblich auch noch häufig depressiv. Statt appetitlich zu glückstrahlen wenn ein Säugling sie aussaugt. Die schönste Zeit im Leben! Sie haben doch gerade Leben geschenkt! Für das es null Garantie gibt, immer noch nicht. Dass daraus was wird, aber so ein geschenktes Leben kann man nicht mal zurückschicken, geschenkt ist geschenkt.

Und dann schauen sie fremd auf den Fremdling, der ihnen nicht geheuer ist, vielleicht sind sie ja das Ungeheuer, aber dann sagen die Psychologinnen nein. Es sind die Hormone. Und sie müssen auch keine glücklichen Mütter sein, sagen die Psychologinnen, sie dürfen auch unglückliche sein, das ist auch OK. Und schon wird ein Buch geboren, das Regretting Motherhood heißt und allerletzte Tabus bricht, wie es heißt.

Auf was können wir uns dann noch verlassen, schluchzen wir Überlebenden, wenn nicht mal mehr auf die Mütter? Darauf dass sie uns lieben, liebten, lieben werden, bis zum letzten Schnaufer, egal wie wir uns aufführen, sie bleiben immer Fans, es ist Liebe auf den ersten Blick und schon davor? Bestimmt gehörten unsere zu jenen die versonnen über den Mutterleib streichen mit seligen Kuhaugen? Spenderinnen unerschöpflich überbordender Mutterliebe, Born der ewigen Güte, das Einzige, auf das Verlass ist in einer Gesellschaft, die ihre emotionalen Einsätze präzise kalkuliert. Liebe total und gratis und immerwährend, O Mamm léif Mamm, immer für die Kinder da. Einfach so. Weil sie eben solche sind. Mütter.

Welch ein Trugschluss! hören wir jetzt immer öfter und es wird aufgeräumt mit dem Heiligenbild. Immer mehr Autorinnen wagen sich mit Mutterhorrorstorys raus, in denen sie ihre Gewühle schildern. Wobei, wer sagt Horrorstorys? Ist lediglich Realismus. Sind lediglich Beschreibungen des Alltags allein gelassener Frauen und Kinder. Die Autorinnen schrecken nicht mehr vor dem Blut zurück, nicht mal vor dem eigenen, Menstruation ist ein Thema, das allgegenwärtige Blut der Frauen ist ein Thema, das war es schon in den Siebzigern, aber schnell rümpfte die patriarchal dominierte Literaturkritik die Nase, hielt sie sich angewidert zu. Frauenzeug! Unterleibszeug, aber mega-unsexy! Annie Ernaux hat mit der sachlich-präzisen Schilderung einer Abtreibung das Schweigen, den Bann gebrochen. Immer mehr junge Autorinnen wagen sich vor auf das Schlachtfeld des weiblichen Körpers, schrecken nicht zurück vor dem was sich abspielt in der Uterus-Unterwelt. Alltäglich, so zwischendurch.

Mütter Liebesmonster. Oder was? Jetzt müssen nicht mehr die ungenügenden Mütter auf die Couch, sondern wir alle. Denn wo kriegen wir jetzt die ewige Liebe her? Gratis total nonstop. So schrecklich wie die Entthronung von Gotti ist das. So schrecklich wie ein plötzlich leerer Himmel. Diese Erkenntnis: Mütter sind Menschen. Was bleibt uns übrig? Als erwachsen zu werden.

Michèle Thoma
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