Die kleine Zeitzeugin

Assange, war da was?

d'Lëtzebuerger Land du 14.07.2023

Assange, das ist doch der pfui kacki kotz gähn. Das ist doch der, der Katzen quält, Kacke an Botschaftswände schmiert und Frauen vergewaltigt. Der größenwahnsinnige Nerd, der in seiner Klause Weltmacht Ärgern spielte. Der Komische, der die USA zum Duell herausforderte. Ein total Irrer. Mit so einem irritierend fies sanftmütigen Blick, auch noch.

Auf Facebook wird es einsam, wenn man ihn postet, zumindest wenn man in einem friedlichen Bläschen nistet. Assange, das ist der den niemand mehr liket. Höchstens Suspekte. Eine Handvoll ahnungsloser Harmloser, die letzten Groupies, mit läppischen Plakaten stehen sie vor Botschaften. Und dann Schwurblerinnen und Verschwörungsfreaks. Die mögen ihn. Klar, er war für Trump. Zumindest gegen Clinton. Dann war er doch für Trump? Oder? Ein russischer Agent. Ein CIA-Agent. Oder beides. Egal, ein Faschist. Ein Antisemit. Und dann das Charakterliche. Narzissmus, Egomanie. Obsession. Jede Menge Syndrome. Und pädophil, ja. Unsympathisch auf jeden Fall. Anscheinend stinkt er.

Assange doesn’t sell. Eine Zeitschrift, die den am Cover hat, kann gleich Konkurs anmelden. Es sei denn. Er wäre. Er würde. Aber selbst dann. Er lockt keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Der tote Hund lockt niemand mehr aus der klimatisierten Komfortzone hervor. Der sterbende Hund schon gar nicht. Ab wann stirbt man, das kann so lange dauern so ein Sterben, das kann lebenslänglich sein, das ist medial nicht zu begleiten.

Letzte Woche hatte er Happy Birthday. Ein paar Medien haben seiner gedacht, so muss man das ja nennen, wenn einer so von der Bildoberfläche verschwunden ist. Auf dem Ground Zero eines europäischen Rechtsstaats, so titanictief begraben, lebendig. So dass der Sonderbeobachter für Folter der Vereinten Nationen von psychologischer Folter redet. Next Stop is USA.

Das Leben geht ja auch weiter, wir haben alle anderes zu tun oder auch nicht zu tun, als Assange zu befreien, wir machen den ganzen Tag Sachen und am Abend ist es Abend. Dann noch nebenbei Klimakriege und Klimakriegsflüchtlinge und ein Krieg der sich in Europa hineinwuchert und in unser Bewusstsein und Unterbewusstsein. Darf Streumunition jetzt ja oder nein? Ist sie moralisch oder unmoralisch, klicken Sie Ja oder Nein! Dann ist es auch noch heiß. Dann nicht auch noch Assange.

Der läuft ja schließlich auch nicht weg. „Nun sehen ihm alle beim Sterben zu,“ schreibt Sibylle Berg. über den, „der als mahnendes Beispiel an der Brücke vor dem Dorf aufgehängt wurde“. Aber eigentlich schaut kaum noch jemand zu, oder hin, wie denn auch, er ist unsichtbar. Er ist langweilig. Irgendwann, wir leben in einer schnelllebigen Zeit, wird der Schatten seiner selbst in unserem prekären Gedächtnis vollkommen verblasst sein.

Manchmal wird er noch erwähnt, in den Medien, wenn er Geburtstag hat oder wieder ein Auslieferungsdatum näher rückt. Hin und wieder wird ein Brief geschrieben und hundert Wichtige unterschreiben, Karl Lauterbach und Elfriede Jelinek und der 101-jährige Georg Stefan Troller z.B., aber keine Tausende. Amnesty bleibt dran, der deutsche PEN, Reporter ohne Grenzen. Die großen starken Medien, NYT, Guardian, El Pais, Der Spiegel, Le Monde, die nach anfänglicher Zusammenarbeit lange auf Abstand waren, raffen sich endlich auf und fordern in einem Offenen Brief die US-Regierung auf, die Verfolgung Julian Assanges wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente einzustellen. Es ist Ende 2022.

Und immer wieder der Philosoph Slavoj Zizek, dessen Gespräche mit Assange auf YouTube zu finden sind. Vergesst Assange! sagt er all denen, denen Assange ein zu mangelhafter Held ist. Es geht nicht um ihn, er ist ein Mensch wie wir alle, sondern um das wofür er steht. Es geht um das Schicksal unseres öffentlichen Raums. Es geht um den entscheidenden Krieg. Den der digitalen Kontrolle über unsere Leben.

Jetzt, während ich das schreibe, kommt die Nachricht, dass dem „Journalisten, Publizisten, Verleger“ Julian Assange der Berliner Konrad-Wolf-Preis verliehen wird. Für „im besten Sinne journalistische Aufklärung“. Assange, sagt Zizek, braucht euch. Aber in einem tieferen Sinne braucht ihr Assange. Er kämpft für euch.

Michèle Thoma
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