Welche Botschaft wollten Déi Gréng im Europawahlkampf vor allem transportieren, und wie hat das geklappt? – Um darauf zu antworten, müsste Spitzenkandidatin Tilly Metz raus aus dem Kampagnen-Modus. Doch das schafft sie nicht, obwohl die Grünen an diesem Mittwoch zur Abschluss-Pressekonferenz ihrer Kampagne eingeladen haben. „Wir wollen vermitteln, dass die Klimafrage auch eine Gerechtigkeitsfrage ist und dass die grüne Transition eine Chance ist und kein Verbot!“, sagt Metz aufgeregt und im Präsens. Zwar hätten auch andere Parteien „das Thema entdeckt“, doch am Sonntag sollten die Wähler/innen „dem Original“ ihre Stimme geben. Abschluss ist noch nicht, Reflexion kommt noch später.
Aber für keine Partei steht so viel auf dem Spiel wie für Déi Gréng. Wie nationale Befindlichkeiten ins Europa-Votum hineinwirken können, war 2014 zu sehen: Die 37,66 Stimmen-Prozent, die damals die CSV errang, waren nicht nur 6,3 Prozentpunkte mehr als bei den Europawahlen 2009. Der Zugewinn ging zulasten aller drei Regierungsparteien, die nach den Kammerwahlen sieben Monate zuvor die CSV ein erstes Mal in die Opposition geschickt hatten, aber offenbar nicht genug Wechselwähler an sich binden konnten. Außerdem waren die Europawahlen 2014 der Beginn eines Trends weg von der liberalen Koalition. Mit dem Referendum 2015 über das Ausländerwahlrecht setzte er sich fort und bei den Gemeindewahlen 2017 ein weiteres Mal. Heute fürchten die Grünen eine Serie. Der kleine Verlust bei den Gemeindewahlen im Juni ließ sich noch rationalisieren, der Absturz auf 8,55 Prozent bei den Kammerwahlen im Oktober nicht. Um zu zeigen, dass er ein Ausrutscher war, kämpfen sie so.
Man sieht das ihrem Wahlprogramm an, das mit 56 Seiten Text länger ist als die Programme von CSV, DP und LSAP zusammen. Sie ergehen sich darin in manchen technokratischen Details, wie einheitlichen Abmessungen für das Handgepäck von Flugpassagieren, aber verbinden wie nie zuvor ökologische Programmatik mit sozialer: Klimaneutralität sei nicht denkbar ohne soziale Gerechtigkeit. Produktivitätsgewinne von Unternehmen müssten mehr an die Beschäftigten verteilt werden. Eine europäische Vermögenssteuer müsse her, allerdings nur für „Ultrareiche“, eine EU-Finanztransaktionssteuer auch.
Botschaften wie diese bringen die beiden Spitzenkandidat/innen immer emotionaler an, ob in Rundtisch-Debatten oder bei Wahlversammlungen. Tilly Metz ist die Erfahrenere, aber Ko-Spitzenkandidat Fabricio Costa, der 29-jährige Politologe und Attaché der Fraktion, die nur noch eine politische Sensibilität ist, wird immer besser darin, technische Zusammenhänge zu politisieren. Wie am Montagabend dieser Woche bei einer Wahlversammlung in Junglinster, als er mit dem Saal über Energie diskutierte. Unter den vielleicht 30 Anwesenden waren längst nicht nur Parteimitglieder. Tilly Metz wiederum hielt dem Ostbezirk-Publikum einen feurigen Vortrag über die Gemeinsame europäische Agrarpolitik, wie die Grünen sie sich vorstellen. Mit ökologischen Dienstleistungen für die Allgemeinheit, die nicht nur besser honoriert, sondern noch tiefer ins Geschäftsmodell der EU-Landwirtschaft eingebaut werden müssten.
Ex-Minister François Bausch hält sich bei gemeinsamen Auftritten – in Junglinster war er nicht dabei – hinter Metz und Costa eher zurück und gibt den elder statesman. Etwas zu sagen zur EU hat er natürlich, hat im Ministerrat genug gesehen und dachte vor einem Jahr noch, er könne EU-Kommissar werden. Heute ist er einer der wenigen Stimmenfänger auf den Parteilisten, die klar gesagt haben, dass sie ein Mandat in Straßburg antreten würden, fiele ihr Wahlergebnis entsprechend aus. Weil wegen der für Europa kleinen Luxemburger Listen persönliche Stimmen viel stärker ins Gewicht fallen als bei Kammerwahlen, außerdem zwei Stimmen pro Kandidat vergeben werden können, ergibt die Nominierung Prominenter Sinn. Um ihren Sitz zu halten, unternehmen die Grünen alles.
Illusionen über den veränderten Kontext machen sie sich nicht. Die Europawahlen 2019 waren für sie eine Verlängerung der Kammerwahlen 2018, wo der Zugewinn von drei Mandaten die Fortsetzung der Regierungskoalition mit DP und LSAP ermöglichte. Beim Europa-Wahlgang sieben Monate später surften die Grünen auf derselben Erfolgswelle. Ihre 18,91 Prozent reichten zwar nicht für einen zweiten Sitz in Straßburg, waren aber das drittbeste Ergebnis nach dem von DP (21,43%) und CSV (21,1%). Die Zahl ihrer Listenstimmen, die Voten für eine Partei aus Prinzip sind, war mit 164 469 die Zweitbeste nach der CSV (179 244). Es war die Zeit der Kundgebungen von Fridays vor Future. Man konnte versucht sein, die Stammwählerschaft der Grünen auf zwölf Prozent oder mehr zu veranschlagen. Dass am Sonntag ähnlich viele aus Prinzip grün wählen wie 2019, glaubt niemand. Dass die Partei sogar in Arbeiterstädten wie Esch/Alzette (20,65%) und Differdingen (20,26%) als die lokal Stärkste abschneidet, auch nicht.
Schon weil die Lage EU-weit ähnlich ist, außer in Dänemark und Lettland vielleicht. In Deutschland könnten die Grünen laut jüngsten Umfragen 14 oder 15 Prozent schaffen, brachten es 2019 aber auf 20 Prozent. In Frankreich war die grüne Partei nie sehr stark, doch mit den fünf Prozent, die ihr nun vorausgesagt werden, wäre sie marginalisiert. In Belgien, wo am Sonntag auch Senatswahlen stattfinden, könnten die Grünen selbst in ihrer Hochburg Region Brüssel laut Umfragen von 21 auf zwölf Prozent abstürzen.
Die Grünen zum Sündenbock für alles zu machen, funktioniert offenbar. Zuspitzungen vielleicht auch. In Deutschland zum Beispiel verglich der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder die Parteivorsitzende der Grünen mit seinem Hund: Der habe „eine Ausbildung, als Schutzhund“. Der zum politischen Beobachter gewordene frühere CSU-Vorsitzende Erwin Huber hält es nicht nur für „strategisch kurzsichtig“, die Grünen „den Kopf hinhalten zu lassen für Dinge, die sie selber nie gemacht oder gefordert haben“, wie er dem Spiegel vorige Woche sagte. Er hält es auch für „gefährlich“, weil für das Gegenteil einer „Gemeinsamkeit der Demokraten“.
In Luxemburg macht nur die ADR Grünen-Bashing. CSV und DP machen Wahlkampf, ihre Regierungsmitglieder machen mit. Wenn DP-Energieminister Lex Delles öffentlichkeitswirksam aus dem Energie- und Klimaplan ein Heizungsverbot herausnehmen lässt, das darin als klares Verbot nie stand. Oder wenn CSV-Umweltminister Serge Wilmes seine grünen Vorgängerinnen auch sechs Monate nach dem Regierungswechsel „Verhinderungs-Ministerinnen“ nennt. Womöglich aber hat der gesunkene Zuspruch für die Grünen noch mehr damit zu tun, dass für die Wähler/innen Themen wie Erderwärmung und Artenschutz derzeit nicht so wichtig sind. Déi Gréng machen sich Mut, weil im letzten Politmonitor von Ilres für RTL und Wort mehr als die Hälfte der Befragten angaben, Klima und Umwelt bereiteten ihnen große Sorgen. Vielleicht aber kommt es darauf an, wie man fragt: Im Eurobarometer vor zwei Wochen nannten die Luxemburger Umfrage-Teilnehmer/innen den Ukrainekrieg und die Einwanderung die wichtigsten Probleme, vor denen die EU stehe; Umwelt und Klima rangierten auf Rang vier. Für Luxemburg wurden der Wohnungsbau und die gestiegenen Preise als die mit Abstand wichtigsten Probleme genannt, Umwelt und Klima an fünfter Stelle.
Weil der Polindex 2024 der Universität zu spät fertig wurde, um veröffentlicht werden zu dürfen (siehe S. 6), liegen neuere Umfragen wie auch Prognosen zum Abschneiden der Parteien am Sonntag nicht vor. Man muss aber kein Prophet sein, um sich auszumalen, dass die wichtigste Entscheidung ausgerechnet zwischen Grünen und ADR fallen dürfte: Die ADR verfehlte 2019 mit 10,03 Prozent einen Sitz. Die Grünen würden, um ihren zu verteidigen, rund zwölf Prozent benötigen wie die LSAP 2019, vielleicht reichen auch schon elf. Doch selbst zehn Prozent und der Verlust des Sitzes wären besser als das Kammerwahl-Ergebnis und ein Anzeichen für einen Aufwärtstrend. Fragt sich bloß, wie strategisch die Wähler/innen stimmen werden, gerade die an Politik interessierten. Den Grünen gar nicht Abgeneigte könnten beschließen, die LSAP zu stärken, die schon einen Sitz hat und „E Green Deal mat engem rouden Häerz“ verspricht. Deshalb bestehen die Grünen so darauf, „das Original“ zu sein.