Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die Industrien, Banken und Verwaltungen so groß geworden, dass auch ihr Schriftverkehr bedeutend zugenommen hatte. Er konnte nicht mehr länger mit Tinte und Feder erledigt werden, sondern musste, wie zuvor die Produktion in den Fabriken, mechanisiert werden. Diese Revolution wurde durch die Erfindung der Schreibmaschine ermöglicht, mit der schneller, leserlicher und in mehreren Durchschlägen geschrieben werden konnte.
Nach 1870 begannen Geschäftsleute und Erfinder in Europa und den USA, intensiv nach der einfach bedienbaren, zuverlässigen, robusten und billigen Schreibmaschine zu suchen. Sie brachten Hunderte von Maschinen mit den unterschiedlichsten Techniken auf den Markt, mit Buchstabenhebeln, -stangen, Schreibköpfen, Tastaturen, Zeigern, Oberanschlag, Unteranschlag, Blindschrift, sichtbarer Schrift, Farbbändern, Farbrollen, Farbkissen, Hydraulik, Elektromotor… In einem gnadenlosen Wettbewerb um Kunden und Patente verschwanden die meisten Modelle wieder rasch vom Markt, die oft skurrilen Maschinen erwiesen sich als Sackgassen der technischen Evolution, bizarre Saurier aus Gusseisen. Manche fanden einige Jahre lang Käufer, bis sich um den Ersten Weltkrieg einige große Firmen mit einer Konstruktionsweise durchsetzten, die sich bis zum Aufkommen des Bürocomputers kaum mehr änderte, die Computertastatur ist noch heute diejenige der Schreibmaschinen von 1874.
Einer dieser verwegenen Geschäftsleute und Erfinder war Charles Bivort, der einzige Schreibmaschinen-Erfinder aus Luxemburg, genauer: aus Oberpallen. Der 1845 geborene Zöllnersohn arbeitete mit 15 Jahren beim Enregistrement, dann einem Notar in Redingen, einem Gerichtsvollzieher und Brauer in Bettborn, bevor er mit 20 nach Paris zog, um sein Glück in der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts zu suchen. „Mêlé à d’importantes entreprises, dont plusieurs, concernant la presse commerciale, la minoterie, la téléphonie, la vélocipédie, l’éclairage, ont fait époque dans ce siècle de progrès“, beschrieb er sich selbst in dem Buch Mon village, das er in späten Jahren über sein Heimatdorf Oberpallen veröffentlichte (Paris,1902, S.20). Dank seines Geschäftssinns wurde der Junge aus Oberpallen reich, lebte in einer Villa in Chelles-sur-Marne bei Paris und leistete sich ein frommes Privatmuseum.
Um das Jahr 1900, als sich in Frankreich die Schreibmaschine verbreitete, interessierte Charles Bivort sich auch für diese Neuerung. Doch „leichzeitig mit der Schreibmaschine setzte sich beinahe in allen Industrieländern die Kurzschrift durch“, berichtet Theo Pirker in Büro und Maschine. Zur Geschichte und Soziologie der Büroarbeit, der Maschinisierung des Büros und der Büroautomation (Basel, Tübingen, 1962, S. 38). „Die Schreibmaschinen-Leute erkannten sehr bald, daß ihnen eine Technik zu Hilfe kam, die den Gebrauch der neuen Maschine noch nützlicher machen sollte. Dies war die alte Methode der Symbolschrift, die als Kurzschrift bekannt war. Vor der Einführung der Schreibmaschine wurde die Kurzschrift nur von einigen Gerichtsreportern und Handelsgehilfen benutzt.“ Danach zogen vermehrt Frauen als Stenografinnen und Sekretärinnen sowie als Maschinenschreiberinnen in die Büros, die Mechanisierung förderte die Hierarchisierung der Büroarbeit nach sozialer Herkunft und Geschlecht.
Um die Arbeit von Stenografinnen und Typistinnen weiter zu rationalisieren, gab es schon vor der Jahrhundertwende Versuche, Schreibmaschinen zum Stenografieren auf den Markt zu bringen. Doch die meisten funktionierten mit einer beschränkten Zahl kryptischer Silbenzeichen oder mit Punkten und Strichen, die für Ungeschulte nicht zu lesen waren. Eine Stenografiermaschine, mit der sich schnell wie das gesprochene Wort in Klarschrift schreiben ließ, versprach, zu einem geschäftlichen Erfolg zu werden. Als Charles Bivort um 1904 seine Sténophile in Frankreich auf den Markt brachte, warb er für sie als „machine à sténographer en clair“.
Um das Tippen zu beschleunigen, verringerte Bivort die Zahl der Tasten auf 20, dazu verschmolz er die ähnlich klingenden Konsonanten B und P, C und K, D und T, V und F, K, Q und noch einmal S zu Doppelzeichen. Mit der linken Hand konnten die Konsonanten, mit der rechten die Vokale und zur Beschleunigung noch einmal L, N, R und S getippt werden. Eine Umschalttaste erlaubte das Schreiben von Ziffern und Interpunktionen. Die Maschine druckte den Text im Unteranschlag auf eine schmale Papierrolle. In jeder Zeile befinden sich zwei bis vier in einer Folge getippte Buchstaben, die sich auch ohne Übung entziffern lassen.
Da Charles Bivort die handwerklichen Fähigkeiten zur Konstruktion der Maschine fehlten, arbeitete er wohl mit heute unbekannten Technikern zusammen. Technikgeschichtlich ist die Sténophile jedoch kaum erforscht. Im Laufe der Jahre brachte Bivort mindestens drei Modelle seiner Maschine heraus, die sich vor allem durch Verbesserungen der Papierführung und des Farbmechanismus unterschieden. Auch eine Braille-Version für Blinde entwickelte er zu einer Zeit, als in Frankreich die Integration der Blinden in das Arbeitswelt gefördert wurde.
Ernst Martin beschreibt die Erfindung in Die Schreibmaschine und ihre Entwicklungsgeschichte (Aachen, 1949, S, 411) als kommerziellen Erfolg: „1906 erschien sie unerwartet als Teilnehmerin bei einem der Wettschreiben der Union des Socétés de Sténographie de France in Lyon. Sie sollte sich mit den Berufsstenographen des Landes messen. Ihr Erscheinen erweckte ein Lächeln. Wozu eine Stenographiermaschine? Zum Erstaunen aller trug sie den ersten Preis davon. Es war eine AG. zur Ausbeute der Bivortschen Maschine gegründet worden. Es wurden Schulen in allen größeren Städten des Landes eröffnet, in welchen Unterricht in der Maschinenstenographie erteilt wurde. […] Auch in vielen kaufmännischen Büros fand sie Aufnahme. Man wunderte sich über die Schnelligkeit, mit welcher Diktate aufgenommen und vielfach von anderen Personen, die vielleicht die Stenographie gar nicht beherrschten, abgeschrieben wurden. Sie war die erste Stenographiermaschine, die fabrikmäßig in erheblichem Umfang hergestellt und man kann sagen, in großer Anzahl abgesetzt wurde. Sie hat sich durchaus bewährt. Es wurden 1913 eine Anzahl Maschinen in Berlin von Alwin Berger mit der Aufschrift Dictograph angefertigt, die für den deutschen Markt und mit einem der deutschen Sprache angepaßten Tastenfeld versehen waren. Dies war ein Mißerfolg.“
Die deutsche Dictograph beruhte auf der Verletzung von Bivorts Patentrecht. Auch sonst verließ das Geschäftsglück den inzwischen Siebzigjährigen, der sich mit Fehlinvestitionen ruinierte. Die technisch überlegene Sténotype Grandjean setzte sich bald mit den Handelsschulen Grandjean gegen Bivorts Sténophile durch.
Schon 1902, als er dabei war, seine Sténophile zu entwickeln, klagte Charles Bivort in Mon Village (S. 8): „La civilisation moderne a transformé la façon de vivre. Le chemin de fer, en abrégeant les distances, le télégraphe et le téléphone, en les supprimant, la lumière électrique, en prolongeant les jours au détriment des nuits, nous obligent à consumer notre existence dans une agitation fiévreuse et continue, qui ne permet plus de jouir de la vie. Les campagnes, sous ce rapport, subissent l’impulsion des villes ; les habitants des moindres bourgs imitent ceux des capitales.“
Mit dieser Sehnsucht nach der Dorfidylle erntete Bivort in Luxemburg größere Anerkennung als mit seiner Stenografiermaschine. Nach einem ersten Beitrag Le village d’Oberpallen in Das Luxemburger Land vom 7.9.1884 und dem 1902 in Paris gedruckten Buch folgten ein von Jacques Steffen (Aufbewahrt!, Mersch, 2017, S. 358) auf 1914 datierter anastatischer Nachdruck. Vom 10. Mai 1928 bis 10. Juni 1929 druckte die Luxemburger Illustrierte das Buch zusammen mit einer detailreichen Lebensbeschreibung erneut ab und nannte den Autor “incontestablement un homme supérieur“. Am 5. März 1920 starb Charles Bivort in Paris.