Die Kleine Zeitzeugin

Farah Diba und Winnetou

d'Lëtzebuerger Land vom 09.09.2022

Ende der Fünfziger trugen die Damen, die durch die Groussgaass promenierten, einen strammen wohlgeformten Turm auf ihrem Kopf. Er verlieh ihren diversen Antlitzen etwas Majestätisches. Kein Wunder, war er doch dem Haarkonstrukt nachempfunden, das die Gemahlin des Schahs von Persien auf ihrem Schädel balancierte. Diese Gemahlin, die dem Schah endlich die ersehnten Kinder schenkte, nachdem er die diesbezüglich inkompetente Soraya verstoßen hatte. Deren Bild in Frau im Spiegel, Frau mit Herz, auf den Titelseiten von Quick und Bunte prangte, eine Ikone, hätte man später gesagt. Mit ihren immer feucht wirkenden Rehaugen, den warmherzigen Lippen, der gutmütigen Nase und diesem Ausdruck, als sei sie von einer immerwährenden Liebe befallen.

Aber, dämmert es mir sechzig Jahre später, diese durch ganz Europa wandelnden Türme waren doch gar nicht auf dem Mist unserer Mütter, Groß- und Urgroßmütter gewachsen? Huchschluck! Sie hatten sie sich kulturell angeeignet… sie hatten kulturelle Aneignung begangen! Aber dann schon die Erkenntnis und damit – Uff! – die posthume Entlastung der unzähligen Farah Dibas: Die Schahbanu gehörte keiner unterdrückten Minderheit an und sie war wahrscheinlich nicht mal eine, außer höchstens, grübel, von ihrem royalen Gespons. Aber dafür leuchtete sie doch zu sehr? Also war die Turmepidemie, die Hausfrauen und Sekretärinnen und Damen von Geld demokratisch heimsuchte, auch nicht verwerflich. Und übrigens, welcher Kultur entstammte der Turm eigentlich? Für den Ayatollah auf keinen Fall der richtigen.

Ist das kompliziert. Wer hat das Patent wofür? Zum Beispiel für auf den Schädeln von Bleichgesichtern gezüchtete Zöpfe? Die haben diese weder rechtmäßig erworben noch legitim geerbt. Durch Schweiß, Blut und Tränen. Durch Unterdrückung. Es kann nicht irgendeine sein. Nicht weil die Mami zu lange gestillt hat oder die Partnerin toxisch ist. Hautfarbe gilt, sie ist das Unterscheidungsmerkmal.

Der Anschlag auf Winnetou hat den alten bleichen Männern einen Schlag ins Herz versetzt, Herzblut fließt. Lasst die Finger von unserm Winnetou! Die letzten Mohikaner rüsten auf zum letzten Gefecht. Mit Argumenten hochgerüstete Philosophen und von ahnungslosen jungen Kolleg/innen sich unterdrückt fühlende Journalisten ergreifen das Kriegsbeil gegen woke Weicheier/innen. Politiker werfen sich in die Mannesbrust, bekennen sich zum Weinen des Mannes. Strache und Söder outen sich, es ist parteiübergreifend, Sigmar Gabriel und Claudia Roth (Mädchenquote, endlich!) vergossen einst bittere Tränen, als Winnetou sich in die Ewigen Jagdgründe zurückzog. Gabriel verdonnert die Nachkommen nun gar zum familiären Winnetou-Schauen.

Der sei in Wirklichkeit ein Preuße, lese ich in einem deutschen Medium. Sowohl die Besessenheit als auch jetzt der Bann scheinen ein deutsches Syndrom zu sein. In Tschechien startet gerade ein Film mit einem Öko-Krieger-Winnetou, der ausschaut, als seien Böhmische Knödel mit Schweinebraten seine Leibspeise. Und die Angehörigen der First Nation haben sowieso andere Probleme, komischkomisch, von unserm Wildwesthelden haben die meisten nie gehört.

Als würde dieses Problem nicht sowieso aussterben. Wer liest Karl May noch? Außer Doktoranden mit Schwerpunkt Rezeption des Edlen Wilden? Hab schon seit Dekaden keine Karl-May-Leseratten mehr gesehen und anders als meine Brüder und mein Vater desertierte ich alsbaldigst. Zu meinen Zwölf Makkabäern, Fünf Freunden, zu Nesthäkchen. Der zweite Versuch vor wenigen Jahren nach einer Karl-May-Erbschaft scheiterte ebenfalls. Der feuchte Schwiegermuttertraum, der schöne, gute Pierre und die schöne, gute Marie am Silbernen See bezirzten aber auch mich. Ich mutierte zur Schulhof-Nscho-tschi-Fanin.

Psychologen erklären den waidwunden Aufbrüll germanischen reifen Mannestums als eine Reaktion auf einen Angriff auf die eigene Kindheit. Die sitzt bekanntlich tief.

Wie nenne ich jetzt den so unwürdig geheißenen Stausee? Native-American-See? Er war immer mein Indianer/innensee. Mein Lieblingskindheitsindianer war der würdige Hakennasige mit dem majestätischen Federschmuck auf einer vermutlich längst ausgestorbenen Zigarrenschachtel. Er schaute aus wie mein Vater.

Michèle Thoma
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