Vom Präsidenten des Regierungs-Collegiums Théodore de la Fontaine 1848 bis Premierminister Jean-Claude Juncker 2013 ist die Geschichte der parlamentarischen Demokratie auch eine Geschichte der Regierungskrisen. Was die Krisen über die unterschiedlichen Protagonisten und Anlässe einte, war, dass der Anlass selten der Auslöser war; dass die Regierungen ihren Sturz als Rücktritt beschönigten; die Öffentlichkeit so lange wie möglich im Unklaren ließen und rechtlich unklare Lagen nutzen wollten, um weiterzumachen, als ob nichts geschehen wäre. Kleine Presseschau:
« Nos lecteurs savent que le discours du Trône avait fait mention de modifications à apporter à nos institutions, et qu’une loi de révision avait été proposée a la Chambre.
Le projet de réponse à l’adresse, élaboré par la commission, avait franchement répondu en condamnant la loi présentée par le gouvernement.
Cette adresse, combattue par le ministère, a été acceptée par la Chambre, sans modification aucune, et à l’énorme majorité de 31 voix contre 15 avec 3 voix d’abstention. De ces 15 voix, le ministère n’en eut pas conservé trois, si le projet de révision avait été seul en discussion.
Nous n’avons pas besoin de dire que ce résultat constate pour le ministère un échec dont il comprend sans doute toute la portée et la signification.
Jamais question plus grave ne pouvait être soumise à une Chambre et jamais échec plus grave ne pouvait arriver à un ministère.
M. Simons, pour faire vivre le gouvernement encore pendant quelques jours, avait proposé un amendement qui, tout en critiquant indirectement le projet de révision, adoucissait de beaucoup les expressions de blâme que le projet d’adresse renfermait. Cet amendement a été repoussé par la Chambre. »
Courrier du Grand-Duché de Luxembourg,26 octobre 1856
« Le public ne sait toujours rien de l’état de la crise qui semble avoir été provoquée par le vote du § 7 de l’adresse. Le ministère a-t-il remis ou remettra-t-il ses portefeuilles entre les mains du Prince, ou bien la Chambre sera-t-elle dissoute? Voilà les questions que depuis vendredi chacun se pose, sans que jusqu’ici rien soit venu éclairer le public sur l’éventualité qui serait destinée à se transformer en réalité. Mais un fait qui prouve que l’éducation constitutionnelle a pénétré jusque dans les masses, c’est qu’on ne rencontre personne qui doute un seul moment de la possibilité d’une solution qui ne serait pas l’une des deux plus haut indiquées.
Les membres de la Chambre aussi, sans doute dans l’attente de la décision imminente à intervenir, sont retournés dans leurs foyers, dans la prévision d’une dissolution soit des Etats, soit du ministère.
Il n’y a que le journal ministériel qui reste impassible et qui semble ignorer jusqu’à l’existence de la crise. […]
Dès lors nous ne croyons pas qu’il faille s’arrêter à la possibilité d’une dissolution. Dans un pays vraiment constitutionnel, il est certain que la crise ministérielle eut éclaté à l’issue de la séance où le vote d’un § 7 quelconque aurait été émis. Mais nous ne savons toujours pas au juste, quel est le système politique qui nous régit. D’ailleurs, l’honorable baron de Tornaco est un homme à ressources, et Dieu sait si, sans dissoudre la Chambre et s’en se démettre de ses hautes fonctions, il ne trouvera pas la pierre philosophale. »
Courrier du Grand-Duché de Luxembourg,20 novembre 1867
„Die Demission des Herrn Baron von Blochausen scheint nun doch wirklich erfolgt zu sein. Weder offiziell, noch officiös ist der inländischen Presse davon Mittheilung geworden. Wir dürften eigentlich aus diesem Grunde den Nachrichten des Auslandes, deren Quelle wir nicht kennen, keinen Glauben schenken. Allein die inländische Presse muß es sich wohl schon gefallen lassen, ihre innere Geschichte aus ausländischen Quellen kennen zu lernen; und so scheint es denn doch wahr zu sein, daß Herr von Blochausen seine Entlassung gegeben hat. Der Präsident des Staatsrathes, Herr Servais, soll nach dem Haag berufen worden sein. Bestimmteres weiß man über diese Mission ebensowenig, wie über die Gründe, warum Herr von Blochausen, nachdem doch die Kammer ihm ihre Befriedigung votirt hat, zurücktritt. Der unparteiische Beobachter des Auslandes dürfte sich nur vor eine Alternative gestellt sehen:
Entweder hat Herr Staatsminister selbst die Vertrauenserklärung die Kammer in der Prinz-Heinrich-Frage für werthlos gehalten – oder Herr Staatsminister konnte es nicht verwinden, daß sein einseitiges Vorgehen in der Verstaatlichungs-Angelegenheit der Prinz-Heinrich-Bahnen den Beifall seiner Kollegen im Ministerium nicht gefunden hatte. Denn das läßt sich doch wohl nicht annehmen, daß durch die jüngsten Ereignisse ein Mißklang die innigen Beziehungen der höchsten Stelle zu unserm bisherigen Ministerpräsidenten gestört hätte.“
Luxemburger Wort, 13. Januar 1885
„Gestern kam es in der Kammer zur Entscheidung, zur Erlösung, wenn auch noch nicht zur Lösung der Ministerkrisis. Denn eine richtige Ministerkrisis hat eingesetzt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Die Kammersitzung vom 10. November gehörte zu den großen Sitzungen, wie unsere parlamentarische Geschichte deren wenige aufweist. [...]
Darauf bekam Hr. Loutsch das Wort. Ein Bild des Jammers und des Elends. Er begann gleich mit persönlichen Gehäßigkeiten. Als er, seiner Sinne nicht mehr mächtig, Hrn. Müller, der ihm tagszuvor einen mißliebigen Ausdruck an den Kopf geworfen hatte, angriff und ihm vorhielt, er habe ihn tagsvorher Comédien genannt (es gibt deren, die behaupten, Hr. Müller habe da gerufen: et apache! andere haben das Wort nicht gehört) da las Hr. Loutsch vom Blatte herunter: Quand on a un père qui s’est enrichi du sang et de la sueur des ouvriers... Doch er hatte den Satz noch nicht geendet, da stürzte sich Hr. Müller von hinterrücks auf ihn, ergriff ihn am Kragen, drehte sich den Mann um und gab ihm mehrere gutgezielte Fausthiebe auf das Schädeldach. Ein Durcheinander, ein Wirrwarr, der Regierungstisch wurde verschoben, die Mappen fielen zu Boden, die Regierung ging aus dem Leim und Hr. Hemmer hob die Sitzung auf. Das war wahrscheinlich das Ende der Loutsch’schen Ministerherrlichkeit und seiner drei Akolyten.“
Escher Tageblatt, 11. November 1915
„Auf Grund des Kammervotums über die Eisenbahnverträge hat die Regierung Reuter der Großherzogin ihr Entlassungsgesuch eingereicht. Sie hatte so fest mit der Annahme der Verträge gerechnet, daß sie glaubte ohne Gefahr die Vertrauensfrage stellen zu können. Sie hat keine Mehrheit gefunden und war wohl oder übel gezwungen, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Wir haben keine Ursache, der abgehenden Regierung eine Träne nachzuweinen. Sie ist über eine nationale Frage gestürzt, in der sie sich nicht nur mit der Hälfte der Kammer, sondern noch viel mehr mit der Mehrheit des Volkes in Widerspruch gesetzt hatte. Sie hat in den langen Jahren ihrer Herrschaft so ziemlich in allen internationalen Fragen, zum größten Schaden unseres Landes versagt, und innerpolitisch eine Parteiherrschaft geführt, die immer schwerer auf allen unabhängigen Elementen lastete. Herr Reuter hat es immer ehrlich gemeint. Aber zu einem Politiker großen Formats, der sich auch gegen das Ausland zu behaupten weiß, fehlte ihm der feste, unbeugsame Wille. Das zeigte sich zuerst bei den Verhandlungen um den Wirtschaftsvertrag. Herr Reuter, und wir haben es ihm immer zu gutgehalten, war in seiner Kampagne für ein Wirtschaftsbündnis mit Frankreich von absoluter Ehrlichkeit. Aber als dieses Bündnis, das unseren Interessen und Sympathien entsprochen hätte, sich als unmöglich erwies, beging er den Fehler Belgien gegenüber immer mehr nachzugeben, bis dieses schließlich seine Hand nach unserem letzten Nationalreichtum ausstrecken zu können glaubte. Herr Reuter brachte uns auch, aus derselben mangelnden Festigkeit heraus, inbezug auf den Völkerbund in eine Lage, die nicht gerade günstig erscheint.“
Luxemburger Tageblatt, 22. Januar 1925
„Offener Brief der Rechtspartei an den Herrn Staatsminister.
Genau in dem Augenblick, wo Kammer und Land Ihre versprochenen Erklärungen über die schwerwiegenden Probleme erwarteten, die eine berechtigte Unruhe in der öffentlichen Meinung hervorrufen, haben Sie, wider Erwarten, die sofortige Schließung der ordentlichen Kammersession verfügt.
Vor kurzer Zeit waren Interpellationen über Ihre allgemeine Politik und über die Währungsfrage angemeldet worden.
Das ganze Land erwartete, daß Sie entweder Worte der Beruhigung sprechen, ober doch irgendwelche Mitteilungen über Ihre Absichten und Pläne machen würden.
Statt dessen haben Sie beharrlich geschwiegen.
Sie haben sogar den Vertretern des Volkes das Recht entzogen, Ihnen Fragen zu stellen; Sie haben ihnen die Möglichkeit genommen, der Regierung eine nützliche Beihilfe zu gewähren.
Sie hatten der Kammer Aufklärungen über die von Ihnen angestrebte Lösung der Eisenbahnfrage versprochen.
Während im Betrieb unserer Eisenbahnnetze die Zerfahrenheit täglich wächst, werden wir in völliger Unkenntnis aller Verträge gelassen, die Sie vorbereiten, und deren Abschluß, nach Ihrer Behauptung, unmittelbar bevorsteht.
Sie haben die Kammer urplötzlich geschlossen, ohne uns Ihre Absicht auch nur mit einem Wort anzudeuten. Dadurch haben Sie sich den notwendigen Erklärungen entzogen; Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten. Da wir die Möglichkeil nicht mehr besitzen, auf der Kammertribüne gegen Ihr Verfahren zu protestieren, hallen wir darauf, Ihnen öffentlich zu erklären, daß Ihre Handlungsweise eine Herausforderung der Nationalvertretung bedeutet.
Ihr Gewaltstreich verhindert zugleich die Erledigung mehrerer Gesetzesvorlagen, die sämtlich spruchreif und zum Teil sehr dringlich sind.“
Luxemburger Wort, 5. Juni 1926
„Der am Sonntag, dem 2. Februar abgehaltene Kongreß der Soz. Arbeiterpartei hatte die Weiterbeteiligung an der Regierung der Union Nationale beschlossen.
In Ausführung dieses Beschlusses sprachen am darauffolgenden Mittwoch Präsident M. Rasquin und Vize-Präsident P. Wilwertz bei Herrn Staatsminister Dupong vor und gaben mündlich folgende Erklärung ab. [...]
‚Da wir nun den letzttäglichen Aeußerungen des Luxemburger Wort entnehmen zu können glauben, daß innerhalb der Regierung, resp. innerhalb der christlich-sozialen Volkspartei neben der nunmehr abgeschlossenen Eisenbahnerfrage, noch eine Personenfrage bezgl. des Transportministers besteht, daß daneben innerhalb Ihrer Partei es eine Gruppe zu geben scheint, die die Union Nationale nicht als die den Interessen des Landes am besten dienende Regierungsform ansieht, möchten wir die Stellungnahme der christlich-sozialen Volkspartei zu diesen beiden Fragen geklärt sehen.‘ [...]
Die Vertreter der Arbeiterpartei wurden für Freitag, den 7. Februar zu Herrn Staatsminister Dupong zur Entgegennahme dieser Antwort gebeten. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Herr Staatsminister ‚Ich muß Ihnen gestehen, daß Ich die innerhalb meiner Partei gegen die Haltung des Herrn Bodson in der Eisenbahnerfrage geltend gemachten Bedenken unterschätzt hatte. Meine Partei könnte schlecht verstehen, daß Herr Bodson weiter in der Regierung verbleiben würde.‘„
Escher Tageblatt, 14. Februar 1947
„Die Stühle sind leer auf denen seit 1951 christliche und sozialistische Minister beisammen hockten. Die Stühle, die man für ewige Zeiten besetzt wähnte, so bärenhäutig unerschüttert und unerschütterlich hatte sie die Regierung unter ihren breiten Rücken geklemmt, sind unverhofft leer geworden.
Weder ideologische Gegensätze noch hartnäckige Kämpfe um die Einflußzonen an der Macht hatten die Klebefestigkeit der Regierenden erweichen können. Sie hatten hundert Demütigungen in Kauf genommen, hatten von den Abgeordneten ihrer eigenen Partei von Jahr zu Jahr schwerwiegende Vorwürfe einstecken müssen. Vorwürfe über ihre Armeepolitik. Vorwürfe über ihren wirtschaftspolitischen Immobilismus. Vorwürfe über die Erziehungspolitik. Vorwürfe schließlich über ihren Leichtsinn im Umgang mit den öffentlichen Geldern. [...]
Die Korruptionsaffäre um Sandweiler war nur der letzte Tropfen, der den Kelch des unrühmlichen Versagens zum Überlaufen brachte. Die Ermessensüberschreitung des Herrn Bodson, der den mißlungenen Korruptionsversuch an einem seiner Beamten nicht dem Staatsanwalt meldete, hatte von der Abgeordnetenkammer nach einigen Worten der Ermahnung ohne Votum entschuldigt werden können. Andere Vorfälle; die sich in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren angehäuft haben, und die immer wieder, um des lieben Koalitionsfriedens willen verschleiert und vertuscht wurden, konnten nicht länger entschuldigt werden. Darum stürzte die Regierung.“
d’Lëtzebuerger Land, 12. Dezember 1958
„‚Le gouvernement se retire.‘ Mit dieser bündigen Erklärung kündigte Staatsminister Pierre Werner gestern Donnerstag, um neun Uhr abends, in der Abgeordnetenkammer die Demission seiner Regierung an. Eine Abstimmung über die Vertrauensfrage, die der Staatsminister dem Parlament bereits am frühen Nachmittag gestellt hatte, war nun nicht mehr notwendig. Die Regierung zog sich zurück, weil eine weitere Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Mehrheit ihr nicht mehr möglich schien. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kabinett Werner und seiner parlamentarischen Mehrheit war endgültig zerstört. […]
Alle verspätete Präzision, alle Unterordnung der Regierung unter den einseitigen Willen des Parlaments konnte doch nichts mehr fruchten. Allzu lange hatte Armeeminister Fischbach die Abgeordneten an der Nase herumgeführt, allzu verlogen und listig hatte er die Kammer mit vagen Versprechungen hinhalten wollen. Darum konnte am Donnerstag, als der Staatsminister nach 9 Tagen des Zögerns endlich die bindende Verpflichtung einging, den Wehrdienst in sieben Monaten aus der Welt zu schaffen, kein Abgeordneter der Mehrheit des Siegs über das schwarzrote Kabinett mehr froh werden. Selbst die CSV-Vertreter, die zum Vertrauensvotum bereit waren, hatten mehr aus Resignation als aus Begeisterung für eine Regierung gestimmt, die ihren restlichen politischen Kredit in einer einzigen Woche verbraucht hatte.“
d’Lëtzebuerger Land, 25. November 1966
„Die souveräne Selbstauflösung des Parlaments war ein notwendiger Akt der Ehrenrettung, eine späte Besinnung der Volksvertretung auf ihre Würde. Aus der letzten Nachtsitzung, die dieser Selbstauflösung voranging, hätten nur bittere oder ängstliche Schlußfolgerungen für die Demokratie abgeleitet werden können. Erst das Ende rehabilitierte, recht und schlecht.
Die schmutzige Wäsche des Koalitionsrats, die statt eines parlamentarischen Schwanengesangs vor der Öffentlichkeit ausgebreitet wurde, wirkte jedoch abstoßend, und auch der griesgrämige Zwist der großen Koalition war ohne Größe. Daß das abschließende ‚règlement de compte‘ zwischen schwarz und rot dennoch einen reinigenden Einfluß auf die Demokratie ausübte, war nicht Schuld der Akteure, sondern nur das Verdienst des Volks, das am Rundfunk mithörte.
Zum ersten Mal seit Jahren wurden Parlament und Öffentlichkeit sich bewußt, in welche würdelose Welt der Selbstsucht, des Wortbruchs, der Vulgarität und der ‚veulerie‘ unsere Politik durch den Koalitionsrat hineingelockt worden war. Die Sprache dieses Rats, ein Gemisch aus hämischer Ranküne pfiffiger Schlaumeierei, war vor dem 31. Oktober nur an den altehrwürdigen Mauern der Maison de Cassal abgeprallt. Vor dem Plenum des Parlaments wirkte diese Sprache jedoch entweihend, da hier die Tatsache ins Ohr ging, daß der Koalitionston nicht von der Sorge um die Allgemeinheit, sondern von der Besorgnis um die Hausmacht der beiden großen Parteien geprägt worden war.“
d’Lëtzebuerger Land, 8. November 1968
„Aber so schwerwiegend die gegen Jean-Claude Juncker erhobenen Vorwürfe auch sind: Es wäre durchaus vorstellbar, dass CSV und LSAP unter diesem oder jenem Vorwand und gegen alle Anfeindungen der Opposition eine breite Mehrheit im Ermittlungsausschuss und im Parlament gefunden hätten, um die Regierungskoalition zu retten – wenn diese noch ein gemeinsames politisches Ziel zu verfolgen gehabt hätte. [...]
Alles Dinge, die nur langsam mit einer LSAP umzusetzen sind, die sich schwer tut, zur linksliberalen Modernisiererpartei zu werden, und mit einem zu linken und inzwischen abgekämpften Premier Jean-Claude Juncker, dem nur noch zweitbeliebtesten Politiker des Landes. So stürzten die müden Männer, die niemand mehr braucht, die immer wieder beim Zögern erwischt wurden, denen der Wind der Geschichte ins Gesicht blies, sich am Mittwoch selbst.“
d’Lëtzebuerger Land, 12. Juli 2013