Der Großherzog wehrt sich gegen die geplante Verfassungsrevision

Lande, Leute, Güter, Renten

d'Lëtzebuerger Land vom 05.08.2011

Dass Luxemburg eine konstitutionelle Monarchie ist, darf seit vergangener Woche bezweifelt werden. Denn auf eine parlamentarische Anfrage von Alex Bodry (LSAP) hin, ob eine Änderung der Thronfolge nicht, wie 1907, durch Gesetz gutgeheißen werden müsse, meinte Premier Jean-[-]Claude Jucker (CSV), dass dies nicht nötig sei: Der Nassauische Erbverein, ein Erbvertrag aus dem Jahr 1783, sei nämlich „eine Art Verfassung bis“, die „in der Hierarchie der Normen gleichwertig mit der Verfassung“ und damit über dem Gesetz stehe.

Diese „Verfassung bis“ hat aber wenig mit einer Verfassung und noch viel weniger mit einem demokratischen Rechtsstaat zu tun. Sie ist ein öffentlich kaum zugänglicher Vertrag1) aus der Feudalzeit, in dem Wilhelm, Carl, Carl Wilhelm und Ludwig von Nassau regelten, wie „Lande, Leute, Güter, Renten, Rechte und Gerechtsame“ in der Familie vererbt, Vormundschaften und Testamente geregelt sowie ihre Witwen und Töchter versorgt werden. Obwohl manche Bestimmungen, etwa über die Folgen staatlicher Schuldenkrisen, aktuell wirken, prägen Rechtsprinzipien aus vordemokratischen Zeiten den Vertrag, von denen „die Successionsordnung des Mannsstammes in al[-]len möglichen Fällen“ nur eines ist.

Nachdem er in einer Thronrede im Oktober 2004 versprochen hatte, die seit 1979 von einer UN-Konvention geforderte „völlige Gleichheit in der Thronfolge auch bei uns einzuführen“, ließ sich der Großherzog noch sieben Jahre Zeit, um mit der Zustimmung eines Familienrats durch drei Satzänderungen im Nassauischen Erbverein Prinzen und Prinzessinnen in der Thronfolge gleichzustellen. Das am 16. September 2010 unterzeichnete Dekret wurde erst am 23. Juni 2011 veröffentlicht, ein Tag nachdem die Regierung ihr für Ende vergangenen Jahres angekündigtes Gutachten über die geplante große Verfassungsrevi[-]sion verabschiedet hatte.

Diese 2009 auf den Instanzenweg gebrachte Revision will die Thronfolge nicht mehr durch den Nassaui[-]schen Erbverein, sondern durch zwei neue Verfassungsartikel regeln, laut denen der Thron unabhängig vom Geschlecht an die jeweils erstgeborenen, direkten und ehelichen Nachfahren des ersten Nassauer Großherzogs Adolf (1817-1905) unter Ausschluss von Adoptivkindern vererbt wird; gibt es keine Nachfahren mehr, entscheidet das Parlament über die Thronbesetzung. Mit der Änderung in letzter Minute des durch die Verfassungsrevision bedeutungslos werdenden Nassaui[-]schen Erbvereins darf der Großherzog nun den Anschein wahren, dass die Initiative von ihm ausgeht.

Doch in Wirklichkeit schmeckt dem Monarchen gar nicht, dass das Parlament ihn seit der Verfassungskrise um die Unterzeichnung des Euthanasiegesetzes Ende 2008 Schritt für Schritt entmachtet und die Gewaltentrennung klarer zieht. So wehrt er sich dagegen, dass die Verfassung künftig die Bestimmungen über das Parlament vor den Bestimmungen über den Großherzog auflisten soll. Er ist dagegen, dass er nach dem Vorrecht auf die Gutheißung der Gesetze mit der bevorstehenden Verfassungsrevision nun auch das Vorrecht auf die Verkündung der Gesetze verlieren soll. Er möchte zudem verhindern, dass das Parlament ihm das Vorrecht entzieht, die Beamten, Offiziere und Richter zu ernennen. Und es missfällt ihm, dass die Gerichtsurteile künftig nicht mehr in seinem Namen vollstreckt werden sollen. Auch wehrt er sich dagegen, dass das Parlament seinem Vorrecht, Straftäter zu begnadigen, einen gesetzlichen Rahmen verleihen will, und Änderungen am Nassauischen Erbverein durch Gesetz ratifiziert werden müssen. Selbst an seinem Münzrecht, welches das Parlament nach Einführung des Euro streichen will, hält er fest. Dafür will er aber, dass die Verfassung auch dem abgedankten Großherzog und dem Erbgroßherzog eine Zivilliste aus der Staatskasse gewährt.

So steht es im Gutachten der Regierung, die darin nicht ihre Ansicht vertritt, sondern sich zum Sprachrohr des Großherzogs macht, weil das Staatsoberhaupt laut Verfassung unverantwortlich ist. Deshalb zielen gleich 16 der insgesamt 38 Änderungsvorschläge der Regierung darauf ab, eine geplante Beschneidung von Vorrechten des Großherzogs zu vereiteln, und zu verhindern, dass seine Funktion mangels demokratischer Legitimation rein symbolisch wird.

Bis zum Ende der Legislaturperiode dürfte sich zeigen, ob das Parlament, das nach den vergangenen Wahlen sogar die 2001 wieder eingeführte Thronrede des Großherzogs abgeschafft hatte, an seinen leicht republikanischen Prinzipien festhält oder zu Zugeständnissen bereit ist, um eine weitere Konfrontation mit dem als starrsinnig geltenden Großherzog zu vermeiden. Während die inoffiziell weitgehend die Ansichten des Parlaments teilende Regierung sich gezwungen fühlt, zu vermitteln, hängt manches von dem mit wachsender Ungeduld erwarteten Gutachten des Staatsrats zur Verfassungsrevision ab.

Doch der Staatsrat dürfte eher dem Parlament beipflichten, da er bisher meist um eine strenge Gewaltentrennung bemüht war. Sollte zudem das von manchen CSV-Abgeordneten gewünschte Referendum über die Verfassungsrevision doch noch stattfinden, könnte es vor allem zu einer Abstimmung über die Vorrechte des Großherzogs werden. Doch das 2009 gescheiterte Referendum und verschiedene Meinungsumfragen hatten gezeigt, dass der katholisch-konservative Monarch nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung hat.

1) Originaltext unter http://www.land.lu/index.php/nassauischer-erbverein-von-1783.html
Romain Hilgert
© 2024 d’Lëtzebuerger Land