Martine arbeitete als Küchenmagd in einem gutbürgerlichen Haushalt. Bis die Hausherrin sie entließ. Mit einem abstrusen Vorwurf. Martine durchschaute das Spiel: „Helas l’an dit bien vray, / Qui veut noyer son Chien, l’accuse de la rage“ (Molière, Les Femmes sçavantes, II.5).
Martine hätte auch den Vorwurf gegen den Index durchschaut: Ab und zu steigen die Preise schneller. Dann soll die Tripartite den gesetzlichen Inflationsausgleich manipulieren. Rechte Politiker, Unternehmer, Gewerkschafter und Leitartikler liefern die Begleitmusik. Sie finden den Index plötzlich ungerecht und unsozial. Er habe die Tollwut.
Seit Heiligabend 1977 erlaubt das erste Tripartite-Gesetz Indexmanipulationen. „[Y] compris notamment le plafonnement de celle-ci à partir d’un certain seuil de revenu.“ Die Regelung steht bis heute im Arbeitsgesetzbuch, Artikel 512-12.
Am 6. August 1985 bestellte die CSV/LSAP-Regierung beim Wirtschafts- und Sozialrat ein Gutachten über die „limitation de l’indexation aux revenus inférieurs à un certain plafond“. Der Rat überlegte drei Jahre. Dann verwarf er die Idee.
Am 5. Mai 2010 schlug die CSV/LSAP-Regierung eine „Deckelung“ des Index vor. „Op d’Gehälter vun zweemol de Mindestloun.“ Die CSV taufte die Deckelung Sozialen Index®. Die Gewerkschaften zogen eine traditionelle Indexmanipulation vor.
Nun beschwert sich der Präsident des Unternehmerdachverbands UEL, Michel Reckinger. Eine Index-Tranche sei „pas suffisant pour les plus vulnérables. Le directeur de banque toucherait lui aussi ces 2,5 %“ (Le Quotidien, 17.9.). Die Partei Fokus nennt den Index auf ihrer Web-Seite ungerecht: „Domat geet d’Schéier an de Paie weider ausernaner!“ Die Bankengewerkschaft Aleba verlangte vergangene Woche, „que l’index devrait être échelonné plutôt que gelé ou retardé, en l’adaptant aux différentes tranches salariales“.
Wenn Küchenmagd Martine den gesetzlichen Mindestlohn verdient, verringern 2,5 Prozent Inflation ihren Reallohn um 58 Euro. Wenn Schöngeist Trissotin viermal so viel verdient, kostet ihn die Inflation real 231 Euro. Eine Index-Tranche von 2,5 Prozent gewährt dann Martine nominal 58 Euro, Trissotin 231 Euro. Ihre Reallöhne bleiben unverändert.
Eine Indexanpassung ist keine Lohnerhöhung. Sie verhindert bloß eine reale Lohnsenkung. Nach zehn Jahren und zehn Indexanpassungen haben Martine 648 Euro und Trissotin 2 592 Euro hinzubekommen. Aber Trissotins Lohn ist noch immer genau viermal so hoch wie Martines. Der Einkommensunterschied wächst nur nominal.
Der Index vergrößert die Lohnunterschiede nicht. Er reproduziert sie maßstabgetreu. Die zyklischen Index-Kritiker halten Lohnunterschiede für gerechtfertigt und sozial. Für sie macht erst eine Indexanpassung die Lohnunterschiede ungerecht und unsozial. Dazu verwechseln sie Nominallöhne mit Reallöhnen. Über die Einkommensunterschiede aus Löhnen, Dividenden und Mieten schweigen sie ganz.
An einem Sozialen Index® verdient die Bank von Michel Reckingers Bankdirektor. Weil sie die höheren Gehälter nicht mehr anpassen muss. Handel, Handwerk und Landwirtschaft zahlen oft Niedriglöhne. Die sie voll anpassen sollen.
Küchenmagd Martine lehrt: Der Index wird für tollwütig erklärt, um ihn ersäufen zu können. Im März machte die Tripartite einen ersten Versuch. Die von den Unternehmen im Juli geschuldete Index-Tranche wurde durch einen „crédit d’impôt énergie“ für Klein- bis Mittelverdiener ersetzt.
Die Befürworter eines Sozialen Index® wollen nicht heimlich die Einkommensschere schließen. Mit einer Deckelung, Überkompensierung oder degressiven Tranche wollen sie den Inflationsausgleich für alle abschaffen. Sie wollen ihn auf eine Sozialhilfe für Niedrigverdiener beschränken. Die bald nicht mehr von den Unternehmen, sondern vom Staat gezahlt wird. Davon würden auch Handel, Handwerk und Landwirtschaft profitieren. Umso mehr als sie sich oft gegen Kollektivverträge sträuben.