Die hauptstädtische Braderie ist ein Auslaufmodell. Gucci und Prada verdrängen die Familiengeschäfte mit Wollsocken und Bratpfannen. Sie lassen auch die politischen Parteien altbacken aussehen.
Am Montag hatten die Parteien ihre kleinen Klapptische und Zeltdächer auf dem Paradeplatz aufgeschlagen. Nur Frank Engels Fokus musste abseitsstehen. Die Parteien verteilten Kugelschreiber und Faltblätter. Kommunalpolitiker übten Bürgernähe. Obwohl die Kandidatenlisten noch nicht fertig sind.
Den Parteien fehlten auch die Wahlprogramme. Die Programme sind noch nicht geschrieben. Sie sind aber schon Makulatur. Denn die Kammerwahlen nächstes Jahr sind unberechenbar. Die Gemeindewahlen stehen in ihrem Schatten.
Die zweite Legislaturperiode von DP, LSAP und Grünen bewies, dass eine Regierung ohne CSV kein historischer Unfall ist. Die liberale Koalition wollte die Staatsgeschäfte routiniert wie im CSV-Staat verwalten. Für kurz vor den Wahlen war eine millionenschwere Steuerreform geplant. Sie sollte die individualisierten Herzen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kaufen.
Nach einem Jahr musste sich die Regierung auf Krisenmanagement beschränken. Wie 1975 ihr linksliberales Vorbild. Die Angst vor der Covid-Seuche machte die Aufhebung der bürgerlichen Rechte möglich. Sie setzte schier unbegrenzte Haushaltsmittel frei. Sie setzte die Opposition außer Kraft. Sie machte aus der unbekannten Technokratin Paulette Lenert die beliebteste Politikerin des Landes.
Nahtlos ging die Krise in die nächste über: Der Wirtschaftskrieg mit Russland verknappt und verteuert die Energie. Die für besiegt erklärte Inflation ist zurück. Den Betrieben gehen die Rohstoffe und das Halbzeug aus. Die Wahlen finden während einer Rezession statt. Das große Wahlgeschenk Steuerreform wird unbezahlbar. Stattdessen manipuliert die Regierung den Index.
Im Winter könnten das Erdgas rationiert, die Stromversorgung unterbrochen werden. Das war seit den Siebzigerjahren unvorstellbar. Der Strompreis steigt um die Hälfte, der Gaspreis um das Doppelte. In einem Jahr stieg der Benzinpreis um ein Drittel. Die Mehrkosten machen einen Mindestlohn pro Jahr aus.
Nicht jede wird sich das gefallen lassen. Die Tripartite soll Gilets jaunes und Marches blanches verhindern. Millionenzuschüsse sollen die Haushalte und Unternehmer beruhigen.
Die Wahlen stehen im Zeichen von Angst und Ärger. Die Regierung verspricht Zuschüsse „bis weit in die Mittelschichten hinein“. Damit diese sich wieder schutzsuchend um die Machthaber scharen. Die Angestellten und Beamtinnen stellen die Kernwählerschaft der Parteien dar.
Teile der Arbeiterklasse könnten die Regierung für die Gas- und Stromrechnungen verantwortlich machen. Nach der gescheiterten Tripartite im Frühling könnte der OGBL ihnen auf der Straße Gehör verschaffen. Die Sozialisten versprechen, den Index zu retten, die Grünen die Gasversorgung.
In einer Rezession wird rechts gewählt. Doch der CSV fehlt ein Held. Der glaubhaft verspricht, das Land besser durch die Krisen zu führen als der liberale Xavier Bettel. Bei den Konservativen neigen die einen zum Burgfrieden. Die anderen wollen von Angst und Ärger profitieren.
Die ADR hatte sich rebellierenden Impfgegnern als parlamentarisches Sprachrohr angedient. Nun macht sie die Sanktionen gegen Russland für die Energiekrise verantwortlich. Die Regierung kann das nicht bestreiten. Deshalb gibt sie sich skandalisiert. Je teurer das Heizen wird, umso weniger Leute geben Putin die Schuld.
Der Wahlausgang hängt davon ab, wie sich der Krieg entwickelt, ob die Energieversorgung reicht, wie hart und teuer der Winter wird, ob die Tripartite als Erfolg erscheint. Wie in der Corona-Seuche werden die Versprechen der Parteien auf eine Rückkehr zur „Normalität“ hinauslaufen. Eine Normalität mit Waffenstillstand, Erdgas und automatischem Index.