ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Energiewende in Bissen

d'Lëtzebuerger Land du 02.09.2022

Die erste Legislaturperiode von DP, LSAP und Grünen war die der Modernisierer. Ihr Held war der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Er kündigte extravagante Projekte an wie den Asteroidenbergbau und eine Serverfarm von Google.

Sein Nachfolger Franz Fayot warb am 4. Mai vor dem Parlament für die Serverfarm: Sie sei ein „strategesche Projet“ für die „Digitaliséierung“ und die „Daten-Économie“ im Land.

Der Staat hatte für Google ein Gelände von 33 Hektar in Bissen erstritten. Serverfarmen ab einer Fläche von 0,1 Hektar und ab 5 000 Servercomputer gelten als Hyperscale-Datenzentren.

Über Serverfarmen bedient Google Milliarden Kunden in aller Welt. Es verkauft ihnen mittels Werbung oder gegen Gebühren seinen Internet-Index Google Search, seine Emails von Gmail, seine Straßenkarten von Google Maps, Videospiele, Youtube-Videos und Cloud-Speicherplatz.

Die Firma wird von den Gründern Larry Page und Sergey Brin kontrolliert. Forbes schätzt ihr Privatvermögen auf jeweils 100 Milliarden Dollar. Das Luxemburger Staatsbudget macht 20 Milliarden
Dollar aus.

Etienne Schneider erklärte am 13. Juli 2019 bei RTL, was Google nach Bissen zog: die international „kompetitiv Energiepräisser. An Energie ass eigentlech dat, wat am meeschten do consoméiert gëtt, an also och dee gréisste Käschtepunkt fir esou en Datenzenter“.

Bei einer Bürgerversammlung am 20. November 2019 in Bissen bezifferte Google-Sprecher Fabien Vieau den Energiebedarf auf anfangs sieben, später zwölf Prozent des nationalen Stromverbrauchs.

Der Wirtschaftskrieg mit Russland macht Energie knapp und teuer. Der Staat geriete in Bedrängnis, müsste er heute das Google versprochene Strom-Ruling honorieren. Enovos-Sprecher Claude Simon kündigte am 12. August bei RTL eine Strompreiserhöhung um 35 Prozent für nächstes Jahr an – zumindest für die Privathaushalte. Für den Herbst hat die Regierung eine Kampagne zum Energiesparen angekündigt: Die Haushalte sollen den Standby-Modus ihres Fernsehers ausschalten. Google will so viel Strom verbrauchen wie 210 000 Haushalte.

Serverfarmen benötigen auch Strom für Ventilatoren und Pumpen zur Kühlung der Tausenden von Computern. Das Mouvement écologique verbreitete im Februar vorigen Jahres, dass der Wasserverbrauch von Google in Bissen „etwa 5-10% der nationalen Trinkwasserversorgung ausmachen könne“. Google-Sprecher Fabien Vieau wünschte: „La solution priviligiée, ce serait une connexion à l’Alzette.“

200 Jahre gewerbsmäßige Verfeuerung der natürlichen Lebensgrundlage führen zu historischen Dürren. „Depuis le mois de mars 2022, les niveaux des cours d’eau sont passés à la moitié de ceux observés entre 2002 et 2020. Au cours du mois de juillet, les niveaux des cours d’eau de l’Oesling sont déjà passés à un quart par rapport aux normales“, meldete das Wasserwirtschaftsamt am 10. August. Es empfahl, fünf Minuten zu duschen, statt die Badewanne zu füllen. Wenn die Alzette nicht genug Wasser führt, soll Google mit Trinkwasser der Sebes kühlen dürfen.

Das geplante Hyperscale-Datenzentrum zerstört die Illusion, dass Digitalisierung entmaterialisiert und virtualisiert. Dass das Internet in einer empyreischen „Cloud“ schwebt, ohne Berührung mit der materiellen Welt. Es ist das „strategesche Projet“, das die grüne, nachhaltige Warenproduktion, Lohnarbeit und Konkurrenzwirtschaft bloßstellt: die moralisierende Austeritätsökologie für die Unterklassen, den umweltbewussten Überkonsum durch die Mittelschichten, die ungehemmten neuen Anlagechancen für die besitzenden Klassen.

In der Sommerdürre und Energiekrise gewinnen viele Leute den Eindruck, dass die natürlichen Ressourcen und Senken derzeit vor ihren Augen erschöpft werden. DP, LSAP und Grüne hatten Google eingeladen, sich ein letztes Mal großzügig zu bedienen. Das lange Schweigen legt den Verdacht nahe, dass Google auf das Angebot verzichten kann.

Romain Hilgert
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