Die grüne Partei navigiert durch schlechte Presse rund um das Naturschutzgesetz. Die CSV versucht politisch zu punkten. Ministerin Joëlle Welfring beschwichtigt

Grüne Baustelle

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2022

Im Juli warf der Verwaltungsgerichtshof dem Umweltministerium vor, gegen die Verfassung zu verstoßen. Die Richter bemängelten, das Naturschutzgesetz gehe unverhältnismäßig gegen Grundfreiheiten vor, wie den Schutz des Eigentums. Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen, der beim Luxemburger Wort für einen Leitartikel mit der Überschrift „Ein Urteil mit Schlagkraft“ und die rhetorische Frage sorgte: „Ist das Naturschutzpolitik im Sinne von Déi Gréng und ihren Wählern?“ RTL titelte seinerseits mit einem Zitat des Anwalts Georges Krieger: „D᾽Naturschutzgesetz sollt de Leit vun Ufank un Handschellen uleeën“.

Was war passiert? Im August 2019 reichte ein Ehepaar einen Antrag beim Umweltministerium ein; vorgesehen war, an ihrem Haus in einer Grünzone an der Mosel unter anderem das Dach um einen Meter zu heben. Das Ministerium lehnte den Antrag jedoch ab: Es handele sich um eine Vergrößerung des Gebäudes, nicht nur um eine Renovierung – und eine Erhöhung des Raumvolumens sei laut Naturschutzgesetz verboten. Für Wohnsitze in Grünzonen sei lediglich der Umbau innerhalb bereits errichteter Mauern erlaubt. Das Paar klagte daraufhin gegen das Umweltministerium und bekam vom Verwaltungsgericht recht, somit wurde der Entscheid des Ministeriums aufgehoben. Den Eigentümern solle eine Instandhaltung ihres Wohnsitzes ermöglicht werden, so der Beschluss des Richters. Nun ging das Ministerium in Berufung, doch es scheiterte ein weiteres Mal vor Gericht, denn der Verwaltungsgerichtshof validierte das Urteil aus erster Instanz.

Auch die Oppositionspartei CSV sah in dem Zusammenhang die Gelegenheit, um bei den Wählern als Wohlwollende aufzufallen und Druck auf die Regierung und insbesondere die grüne Partei auszuüben. Am Montag zitierte sie die Ministerin Joëlle Welfring vor die Umweltkommission und wollte wissen, welche Anpassungen das Ministerium am Naturschutzgesetz vornehmen wolle. Seit Jahren kritisiert Fraktionspräsidentin Martine Hansen das Gesetz, und am Dienstag wiederholte sie gegenüber dem Land, welche Punkte ihr besonders missfallen: „Uns ist wichtig, dass die Behörden nicht mehr willkürlich handeln können. Im Artikel 7.1. beispielsweise steht, falls ein Gebäude nicht in die Landschaft passt, kann das Ministerium mit Vorschriften gegensteuern. Aber dabei ist der Spielraum für völlig subjektive Deutung groß. Zudem kam der Artikel fast nie zur Anwendung, nur in der Gaardenhaischen-Affäre wurde er zugunsten von Roberto Traversini aus der Schublade gezogen.“ Außerdem sei der CSV das Gesetz nicht ausreichend transparent: „Eigentümer werden nicht zwangsläufig über Schutzzonen-Ausweisungen informiert. Das sollte aber der Fall sein“, bemängelt Martine Hansen. Mehrmals behauptet die Abgeordnete, es fehle an „gesundem Menschenverstand“. „Es ist Quatsch, dass in Innenräumen jeder Mauerabriss genehmigt werden muss. Heute Morgen hatte ich eine Person am Telefon, die wollte ein Elternhaus renovieren. In dem Altbau befinden sich kleine Fenster, weil man so früher die Raumtemperatur hoch halten konnte; nun wird ihr verweigert, die Fenster zu vergrößern“, moniert Hansen. Hierbei bliebe unklar, was nachhaltig sei: „Braucht derjenige, der größere Fenster einbaut, nicht auch weniger durch Strom erzeugtes Licht?“

Es ist nicht das erste Mal, dass Trubel um eine Dach-Anhebung entstand. 2016 wollten eine 95-jährige Witwe und ihre Tochter in der Nähe von Ettelbrück einen behindertengerechten Aufzug in einem bestehenden Einfamilienhaus montieren, hierfür müsste das Dach teilweise angehoben und saniert werden. Zudem sollte eine zweite Wohnung in den Mauern nach einer grundlegenden Renovierung entstehen. Die Naturverwaltung stoppte zunächst die bereits ohne Erlaubnis begonnenen Arbeiten in der Grünzone. Nur aktive Landbauarbeiter könnten solch umfängliche Bauarbeiten in einer Grünzone vornehmen, die Witwe sei aber nicht mehr als Landwirtin tätig. Zwar wollte das Umweltministerium den Aufzug genehmigen, aber kaum weiterführende Sanierungen. Erst als die Richter des Verwaltungsgerichtshofes die Betroffene persönlich besuchten und an die Würde einer behinderten Person appellierten, lagen umfänglichere Umbauarbeiten wieder auf dem Tisch.

Sowohl die CSV, als auch die Luxemburger-Wort-Journalistin Michèle Gantenbein und RTL-Journalistin Monique Kater kritisieren überdies die Prozeduren, die 2018 in Kraft traten und dem Richter lediglich einen Recours en annulation vorschreiben. Kater wetterte am Dienstag in einem Kommentar im RTL Radio: „Nicht mehr der Richter hat das letzte Wort bei Genehmigungen in Grünzonen, mee d‘Politik am Héichhaus.“ Falls eine Person vor Gericht recht bekomme, könne sie ihr Vorhaben nicht fortsetzen, sondern müsse die Genehmigungen neu beantragen. „Fréier war dat anescht: Wann d‘Geriicht sot, dass de Ministère hei näischt ze verbidden hätt, hat een anengems all d᾽Geneemegungen.“ Und wirft der Regierung hinterher: „Dofir dëse Message un d‘Politik: Vergiesst net, wien iech gewielt huet a virun allem, firwat dir gewielt sidd! Net fir ären Ego.“

Zentrale Informanten in Wort und RTL-Beiträgen arbeiten für die Kanzlei Krieger&Associés. In einem Interview mit Paperjam sagte deren Gründer Georges Krieger einst, ein Universitätsprofessor habe seinen Studierenden mitgeteilt: „Es sind eure Kunden, die euch zu dem Anwalt machen, der ihr seid, nicht die Universität.“ Seit Jahren ist Krieger der Vorsitzende der Union der Hausbesitzer und seit über 30 Jahren konzentriert sich das Geschäft seiner Kanzlei auf das Immobilienrecht. Unter anderem verteidigt er Eigentumsbesitzer, denen die Vergrößerung oder der Umbau ihres Wohnsitzes in einer Grünzone verweigert wird. Dabei wirft er dem Umweltministerium vor, „schlechte Politik“ zu betreiben – womöglich nicht ganz uneigennützig, denn seine Sichtweise schöpft aus der der Eigentumsbesitzenden.

Als Chefredakteur Roy Grotz vergangenen Samstag von François Bausch im RTL-Background wissen wollte, ob das Urteil vom Juli dem Image der Grünen schadet, verwies der grüne Vizepremier – nicht zu Unrecht – auf den Neuanfang mit Joëlle Welfring nach dem Rücktritt von Carole Dieschbourg: „Gleeft mer es, d᾽Mme Welfring huet ganz vill Sachverstand. Si ass eng Fra, déi wierklech upéckt an Dir wäert gesinn, et wäert nogebessert ginn.“ Dann berief er sich auf höhere Werte, um das Vertrauen der Hörer für sich zu gewinnen und konterte: „Das Urteil schadet vor allem dem Naturschutz“ und weniger der grünen Partei. Der Berichterstatter des Naturschutzgesetzes und grünes Parteimitglied, François Benoy, versucht mit dem gleichen Appell zu bezirzen und sagt gegenüber dem Land: „Ein starkes Naturschutzgesetz ist wichtig, weil unser Grundwasser, unsere Böden und die Biodiversität in einem schlechten Zustand sind, deshalb müssen wir nach dem Prinzip verfahren, dass die Grünzone eine Zone destinée à rester libre bleiben soll“. Dass 27 Prozent der Landesfläche als Naturschutzzone registriert wurden, sei eine Leistung. Wieviele Einfamilienhäuser und Betriebe sich in einer Grünzone befinden, konnte bis Redaktionsschluss allerdings nicht ermittelt werden.

Als ehemalige Direktorin der Ackerbausschule achtet Martine Hansen im Kontext des Naturschutzgesetzes auf die Interessen des Landbaus und diese würden ihr zufolge chronisch benachteiligt: „Die landwirtschaftlichen Aktivitäten sind viel zu eng definiert. Es wird behauptet, Landwirte sollen sich weitere Standbeine aufbauen, aber das ist kaum umsetzbar. Ein Beispiel: Falls Bauern eine Hundepension an ihren Stall angliedern wollen, ist das explizit nicht erlaubt. Dabei wissen wir, dass die Nachfrage nach Hundepensionen steigt.“ Als weiteren Fall erwähnt die CSV-Politikerin aus dem Nord-Bezirk einen Bauer, der eine Trocknungsanlage für Gras errichten wollte, um dieses zu Isolations-Material weiterzuverarbeiten. „Hier ging es hin und her mit der Genehmigung“. Auch die Wort-Journalistin Michèle Gantenbein trat Anfang September in den Dienst der etablierten Landwirtschaft und titelte „Nur verwerflich oder bereits illegal? Umweltministerin verzögert Genehmigungsprozedur von Bauprojekten in der Landwirtschaft“, und beanstandete vor allem neu eingeführte Umweltverträglichkeitsstudien, die aufgrund der Vielfalt der Parameter nicht leicht durchzuführen sind.

Von Seiten der Grünen werden die Vorwürfe beschwichtigt: „Es stimmt nicht, dass der Landbau durch das Naturschutzgesetz willkürlich eingeschränkt wird, es ist sogar für Nebenerwerbstätige möglich hier zu imkern, Gemüse anzubauen und Tiere zu halten. Das Naturschutzgesetz ist in dieser Hinsicht flexibel“, erwidert François Benoy. Laut Gesetz sei es möglich einen Aussiedlerhof in einer Grünzone zu bauen, aber das Agrargesetz sehe vor, dass eine gewisse Dimension nicht überschritten wird. Darüber hinaus betonte Umweltministerin Joëlle Welfring Anfang September gegenüber Radio 100,7, man habe die Verordnung zu Impaktstudien bereits gelockert. Und am Montag nach der Sitzung der Umweltkommission äußerte sie gegenüber RTL-Télé, sie nehme das Urteil des Verwaltungsgerichtshof zur Kenntnis und werde auf dessen Basis mit ihrer Behörde das Gesetz anpassen. Man solle aber nicht vergessen, dass nur zwei Artikel von einem Gesetzestext, der über 80 enthält, für Aufregung sorgen.

In der politischen Kampfstimmung wirbelt CSV-Politikerin Hansen derweil gelegentlich die Dimensionen durcheinander: Sie behauptete im Januar, im Ösling würden kleinere Dörfer in der Grünzone liegen, auf Nachfrage meinte sie, es seien wohl eher Weiler. Überdies verliert sich die Paragraphenkennerin im Klein-Klein der Öslinger Bauernschaft und verteidigt deren Partikularinteressen: Bilden Hundepensionen die Landwirtschaft von morgen? Aber vielleicht lässt Oppositionspolitik wenig Raum, um über die grundlegenden Stellschrauben zu debattieren.

Stéphanie Majerus
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