Wenn Alexander Weigand sich nicht an seinem Schreibtisch oder im Genetiklabor im Forschungszentrum des Naturhistorischen Museums aufhält, dringt der Zoologe gerne in Höhlen vor. Oder er untersucht „Grundwasserkörper“. Das sind in Luxemburg meist Kammern, Klüfte und Poren im Sandstein, Buntsandstein oder Muschelkalk, manchmal aber überschneiden Grundwasserkörper sich auch mit Höhlen: „Es gibt ein paar wasserführende Höhlen in Luxemburg“, sagt Weigand. Er erforscht, was für Tiere in Höhlen und Grundwasserkörpern leben. Besonders interessiert ihn eine kleine Krebsgattung: Niphargus lebt nur in Höhlen und Grundwasserkörpern, hat keine Augen und ist ganz weiß, weil es in seinem Lebensraum kein Licht gibt. Er kann zwei Zentimeter groß werden und ernährt sich von kleineren Tieren. Um seine Beute packen zu können, besitzt er spezielle Greifarme.
Etwa 40 Naturhöhlen sind in Luxemburg bisher bekannt. Öffentlich zugänglich ist keine. Die längste ist mit 4,5 Kilometern die Méischtrefer Hiel. Die Grotte de Sainte-Barbe hält Weigand für besonders spektakulär: Ein Höhlenforscher muss sich dort insgesamt fünfzig Meter tief abseilen; das geschieht über mehrere kürzere Schächte. Neben den, wenn man so will, echten Höhlen, interessieren den Zoologen aber auch menschengemachte unterirdische Hohlräume, ehemalige Bergwerkstollen zum Beispiel. Als 2013 der erste Atlas der Luxemburger Höhlentiere1 herauskam, hatte dafür eine Gruppe um Dieter Weber, einen wissenschaftlichen Mitarbeiter des Naturmusée, zwischen 2007 und 2011 auch die unterirdischen Kasematten in Luxemburg-Stadt inspiziert sowie ausgediente Eisenbahntunnel. Zusammengenommen 82 Naturhöhlen oder unterirdische Hohlräume, sofern sie mindestens 50 Meter lang waren. Gefunden wurden dabei insgesamt 512 Tierarten, 201 davon zum ersten Mal in Luxemburg und 180 mit klarem Höhlenbezug.
Damit habe hierzulande die systematische Höhlenfauna-Forschung begonnen, sagt Weigand. Wobei: Auch in Deutschland und Frankreich sei das eine noch recht junge Disziplin. Vorreiter seien Länder in Ost- und Südosteuropa, wo es viele und große Höhlen gibt. Mittlerweile aber hält die Europäische Kommission die EU-Staaten dazu an, ihre Höhlen als Lebensraum zu erforschen. So kam Weigand zu seinem jüngsten Projekt: Im Auftrag des Umweltministeriums bis 2026 eine Wissensgrundlage über die hiesige Höhlenfauna aufzubauen. Der staatliche Umweltfonds finanziert die Unternehmung. Beteiligt ist neben dem Naturmusée auch der Groupe spaléologique luxembourgeois.
Das für die Wissenschaft besonders Interessante daran: Höhlenfauna ist sehr vielfältig, schon weil jede Höhle ein Lebensraum für sich ist. Mit den Grundwasserkörpern verhält es sich ähnlich: Sie sind zum Teil seit hunderttausenden von Jahren in sich abgeschlossen. Ökologisch, wenn es um Lebensräume geht, gebe es drei Gruppen von Höhlentieren, sagt Weigand. „Eutroglobionten“ wie Niphargus können ausschließlich in Höhlen und Grundwasserkörpern leben. „Eutroglophile“ sind an Höhlen angepasst, wie der von Dieter Weber 2011 in Luxemburg entdeckte Hundertfüßer, aber vermögen auch in ähnlichen Lebensräumen außerhalb von Höhlen zu existieren. „Subtroglophile“ schließlich suchen Höhlen zeitweilig auf, wie die Gemeine Stechmücke etwa, die in Höhlen überwintert.
Alexander Weigand mit seinem besonderen Interesse an Niphargus hat gemeinsam mit Dieter Weber versucht, in Luxemburg so viele Vertreter dieser Gattung wie nur möglich aufzuspüren. „Einer davon ist von Großbritannien über West- und Mitteleuropa bis nach Polen anzutreffen. In Luxemburg fanden wir ihn auch“, sagt Weigand. „Doch bei genauerem Hinschauen stellte sich heraus, dass diese Art genetisch viele Einzelarten umfasst.“ Einige davon sollen in den kommenden Jahren wissenschaftlich beschrieben werden.
Genetische Expertise ist Alexander Weigands Spezialität. Damit versucht er auch Synergien zu anderen Bereichen herzustellen. Gemeinsam mit dem Institut für Gewässerökologie in Landau entwickelt er zurzeit einen Ansatz, um aus genetischen Analysen am Grundwasser darauf schließen zu können, welchen Tierarten ein Grundwasserkörper als Lebensraum dient. Jeweils mehrere Liter filtriertes Wasser wird dazu mit PCR-Analysen getestet. Die so genannte Umwelt-DNA, die sich dabei nachweisen lässt, enthält verschiedene genetische „Barcodes“. Die werden anschließend mit taxonomischen Datenbanken verglichen, um die in der Grundwasserprobe vorhandenen Arten zu identifizieren.
„Mit solchen genetisch ermittelten Artenlisten“, sagt Weigand, „könnten sich längerfristige Aussagen über die Güte von Grundwasser machen lassen. Denn kommt eine Art in einem Lebensraum vor, unterlag der vorher schon bestimmten ökologischen Bedingungen.“ So eine Betrachtungsweise könne die EU-Grundwasservorschriften ergänzen, die bislang nur Bestimmungen darüber enthalten, welche Grundwassermenge anzustreben ist und wie es chemisch beschaffen sein soll. Die Betrachtung der Arten dagegen könne zum Beispiel Aussagen über die Belastung von Grundwasserkörpern mit Pestiziden vertiefen: „Dringen sie in Grundwasserkörper ein, können die dort lebenden Arten unter Druck geraten.“
Für das Naturhistorische Museum, sagt Weigand, sei die Beschäftigung mit solchen Fragen strategisch wichtig: „Im Begriff Biodiversität geht es neben der Vielfalt der Arten und der Vielfalt der Lebensräume auch um die Vielfalt innerhalb der Arten. Wir möchten verstehen, wie Arten genetisch aufgestellt sind, um sich zum Beispiel im Zuge des Klimawandels anzupassen.“