Leitartikel

Die Seuche und das Krankengeld

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2020

Um in der Coronavirus-Krise den Betrieben weiter entgegenzukommen, nahm der Regierungsrat vor einer Woche per großherzoglicher Verordnung eine Ausnahme zum Krankenkassengesetz an: Für im Privatsektor Beschäftigte, die krankgeschrieben werden, zahlt nun die CNS vom ersten Krankheitstag an Krankengeld. Rückwirkend zum 1. April und bis zum letzten Tag jenes Monats, in dem der Notstand wegen der Pandemie aufgehoben wird; vorläufig wohl bis Ende Juni.

Das ist keine Kleinigkeit. Was das Kabinett mal eben beschloss, weil das geht, wenn Notstand herrscht, berührt den Teil des 2009 in Kraft getretenen Statut unique, der politisch besonders umkämpft war. Die Gewerkschaften forderten damals, was nun mir nichts, dir nichts über sie kam – Krankengeld von der Kasse vom ersten Krankheitstag an, so wie das damals für die Arbeiter galt. Die Unternehmerverbände dagegen wollten das Regime der Angestellten verallgemeinern lassen: Ehe die Kasse einspränge, würde der Betrieb den Lohn eine Weile fortzahlen. Was weniger Kassenbeiträge erfordern und den Arbeitgebern erlauben würde, gegen „Blaumacher“ vorzugehen. Am Ende wurde daraus die Lohnfortzahlung bis zum 77. Krankheitstag, danach übernimmt die CNS. Der Betrieb erhält 80 Prozent der Kosten der Lohnfortzahlung von der Mutualité des employeurs rückerstattet, die 2009 neu gegründet wurde.

Man könnte deshalb verwundert sein, dass der OGBL sich am Montag über das Coronavirus-Krankengeldregime beschwerte. Aber es soll nur während der Krise gelten. In Krisenzeiten treten die Vorzüge großer, potenter Strukturen zutage. Die Union des entreprises luxembourgeoises nimmt es vorläufig gerne hin, dass die monatlich bis zu 80 000 bei ihrer Mutualité des employeurs eingehenden Krankenscheine von der CNS übernommen werden. Das erspart der Mutualität Verwaltungsaufwand. Geld spart sie auch, und vor allem die ihr angeschlossenen Betriebe sparen das eine Fünftel der Lohnfortzahlung, das sie sonst tragen.

Eine sinnvolle Krisenmaßnahme ist das vermutlich. Doch die Frage stellt sich, was die Trennung in Langzeitkrankengeld von der CNS und Kurzzeitkrankengeld von der Arbeitgeberkasse generell bringt. Immer wieder erhielt die Mutualität Geld zugeschossen. Sei es von der CNS, wie 2018, sei es vom Staat, der seit vier Jahren garantiert, dass sie nicht defizitär werden kann. Ihr Budget ist mittlerweile zu einem Viertel fiskalisiert.

Eine solche kritische Diskussion zu führen, erfordert politischen Mut. Im Moment ist das zuviel verlangt, aber ob es anders sein wird, wenn der Lockdown aufgehoben ist, bliebe zu beweisen. Längst nicht alle Betriebe interessiert es, Vergleiche zwischen dem eigenen Krankenstand und dem in der Branche anzustellen, um daraus Schlüsse zu ziehen. Arbeits- und Sozialministerium wiederum interessiert es nicht mehr, darüber in einer hochrangigen Arbeitsgruppe mit der UEL zu diskutieren, seit entschieden wurde, dass der Staat die Arbeitgeberkasse finanziell auf Reisegeschwindigkeit hält. Geld zu verteilen, statt politisch tätig werden zu müssen, klappt aber nur solange man Geld zu verteilen hat. Wegen der Seuche wird das nun schwieriger. Vor einer Woche aber war Widerstand des OGBL gegen das Coronavirus-Krankengeld nötig, damit der Sozialminister sich im Kabinett dafür einsetzte, beim großen „Décompte“ nach Krisenende auch den Solidarbeitrag der CNS zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen und bei „eventuellen Defiziten“ Staatsgeld an sie fließen zu lassen. Ursprünglich war das nicht vorgesehen, sondern es sollte Zugang zu den Reserven der CNS geschaffen werden. Was natürlich etwas anderes ist als eine auf längere Sicht orientierte Politik.

Peter Feist
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