ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Bruchlandung

d'Lëtzebuerger Land du 29.07.2022

Mitte Juni machten DP, LSAP, Grüne und CSV eine weitere Indexmanipulation zum Gesetz. Einen Monat später erhöhte die Europäische Zentralbank ihre drei Leitzinsfüße. Es war das erste Mal seit elf Jahren. Sie kündigte an, dass dies die erste einer Reihe von Zinserhöhungen sei.

Die Zentralbanken im Euro-Raum haben einen Lohnanstieg für die erwerbstätigen und Geldwertverluste für die besitzenden Klassen zu verhindern. Sie haben für stabile Geschäfte der Privatbanken zu sorgen. Die Europäische Zentralbank erklärte ihre Zinsfußerhöhungen mit der gestiegenen Inflation.

Die hiesigen Banken sind zufrieden. Es ist das Ende der Negativzinsen. Nun können sie wieder solide an den Zinsmargen verdienen. Sie erhöhten schon vor Monaten ihre Kreditzinsen. Sie nannten das: die Entscheidungen der Zentralbank antizipieren. Die Zinsen auf den Spareinlagen der Kunden antizipierten sie bis heute nicht.

Die Europäische Zentralbank folgt der monetaristischen Lehre. Es ist die Lehre der monetär gut versorgten Leute. Die ziehen eine Rezession der Entwertung ihres Geldes vor. Sie nennen das eine „weiche Landung“ der Konjunktur. Die Arbeitslosen landen härter.

Die Lehre duldet nur ein Mittel, um auf einem ungehemmten Markt die Preise zu bremsen: die Reduzierung der Geldmenge durch Zinserhöhungen. Mit teureren Kreditkarten, Autokrediten und Immobiliendarlehen können sich weniger Leute etwas leisten. Wenn die Nachfrage sinkt, soll der Preisanstieg aufhören.

Die Investitionsfonds mögen Zinserhöhungen wenig. Sie verdienen am Preis des fiktiven Kapitals. Den hatte die Zentralbank jahrelang zinslos bezuschusst. Steigende Zinsen verteuern die Kredite. Das schmälert die Profiterwartungen. Diese drücken sich in den Aktienkursen aus.

Zinslos bezuschusste die Zentralbank die Immobilienbranche. Am härtesten treffen Zinserhöhungen jene, die ihre Wohnung oder ihr Eigenheim abzahlen müssen. Die Ertragshausbesitzer können die Mieten erhöhen.

Industrie und Handwerk mögen steigende Preise, wenn es ihre eigenen sind. Ihre Schulden werden nun teurer: Sie müssen ihren Gläubigern einen größeren Mehrwertanteil abgeben. Damit der eigene nicht zu kurz kommt, wollen sie die Reallöhne senken.

Hierfür stimmten DP, LSAP, Grüne und CSV das Gesetz über eine weitere Indexmanipulation. Um den sozialen Frieden zu wahren, zahlt der Staat verschiedenen Einkommensgruppen einen „crédit d’impôt énergie“. Ob ihnen dieser Ausgleich reicht, zeigt sich, wenn er ausgezahlt ist.

Die aktuelle Inflation entsteht nicht durch starke Nachfrage, sondern durch Angebotsschwäche: Die Covid-Seuche behinderte den Nachschub an Rohstoffen und Halbzeug. Im Wirtschaftskrieg mit Russland kostet einmal Volltanken 100 Euro. Die Zentralbank will die Nachfrage auf das Niveau des schwachen Angebots senken. Dafür müsste sie die Zinsen bis weit in die Rezession erhöhen. Im Herbst kommt die Tripartite für weitere Indexmanipulationen zusammen.

Wer traut sich schon, während eines Wirtschaftskriegs zu investieren? Für den Winter kündigt Energieminister Claude Turmes einen „plan de délestage“ an: eine Liste, wer zuerst vom knappen Erdgas abgeschnitten wird. Weil die Dollar-Zinsen höher sind und Krieg ist, steigt der Dollarkurs. Das verteuert Erdöl und Erdgas zusätzlich. Sie werden in Dollar verrechnet.

Im Winter steht die nächste Covid-Welle bevor. Die Impfkampagne hat begonnen. Die Regierung drückt sich an einem Impfzwang vorbei. Sie will keine Marches blanches im Wahlkampf.

Höhere Zinsen schüren die Spekulation gegen die italienische Staatsschuld. Die Europäische Zentralbank will weiter Staatsschuld kaufen und den Euro retten. Als strenge Monetaristin ist ihr das peinlich. Sie nennt es verklausuliert „Transmission Protection Instrument“.

Aus der weichen Landung könnte eine Bruchlandung in einem Perfect storm werden.

Romain Hilgert
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