„Olympisch“ will Tassilo Wallentin den Wahlkampf zum höchsten Amt in Österreich angehen. Der Rechtsanwalt und ehemalige Kolumnist des Boulevardblattes Kronen-Zeitung ist einer von wahrscheinlich 13 Kandidaten, die am 9. Oktober Bundespräsident Österreichs werden wollen. Oder in einem Fall bleiben, denn das amtierende Staatsoberhaupt Alexander van der Bellen stellt sich, einem Wanderunfall zum Trotz, erneut der Wahl. Dabei darf getrost nur von Bewerbern gesprochen werden, denn unter den Anwärtern findet sich keine einzige Frau, dafür aber eine bemerkenswerte Vielfalt an Charakteren unterschiedlicher politischer oder politikferner Provenienz: vom Yogalehrer über den Abgeordneten der Impfkritiker-Partei MFG (Menschen-Freiheit-Grundrechte) und politisch aktive Unternehmer bis hin zum Gründer der „Bier-Partei“ Marco Pogo.
So sportlich-lässig sich Wallentin auch gibt, so schnell verflüchtigt sich der olympische Gedanke angesichts der Konkurrenz aus ähnlich gelagerter politischer Gedankenwelt. Seinen Konkurrenten von rechts, den Freiheitlichen Kandidaten Walter Rosenkranz zu wählen, davon rät der 50-jährige Jurist nun doch ab. Ein schlagender Burschenschafter als Kandidat, noch dazu „von Kickls Gnaden“, also mit Unterstützung des Chefs der Freiheitlichen Partei Herbert Kickl, der selbst innerhalb seiner Partei zunehmend als Scharfmacher in die Kritik gerät, so einer werde „im 21. Jahrhundert“ keine Präsidentschaftswahl gewinnen.
Woher Wallentin diese Einschätzung nimmt, sagt er nicht, belegt damit aber immerhin, dass er sich selbst in Kontrast zu den Freiheitlichen und als gemäßigten Kandidaten sieht. Dahinter mag durchaus auch Enttäuschung liegen, hat Wallentin doch wenig geheim durchaus einschlägige Gespräche geführt, um trotz fehlender Parteimitgliedschaft als Kandidat für die Freiheitlichen ins Rennen zu gehen. Inhaltlich liegt er, seien Kolumnen folgend, nicht weit von der Anti-Migrationsrhetorik und anderer Positionen der Freiheitlichen.
Lange sah es überhaupt so aus, als sei der erneute Gang in die Hofburg für den Amtsinhaber eine „g’mahte Wiesn“, für Alexander van der Bellen also ohne Anstrengung erreichbar. Dann aber kam eins zum anderen. Die Nachwehen der zeitlich kurzen, aber politisch-juristisch aufarbeitungsintensiven Regierungszeit Sebastian Kurz brachten einen weiteren Skandal zutage: Die Wiener Wochenzeitung Falter berichtete als erstes Medium von einem verheerenden Rohbericht des Rechnungshofes zur Cofag, der Covid-Finanzierungsagentur, die im März 2020 vom Finanzressort unter Leitung von Kurz-Intimus Gernot Blümel eingesetzt worden war.
Deren Zweck sollte sein, die Finanzierung der Corona-Hilfen an die Unternehmen abzuwickeln. Die Cofag hat bis dato insgesamt 17 Milliarden Euro an Ausfallboni, Umsatzersatz und Fixkostenzuschüssen in Form von Hilfen und Garantien an die Unternehmen geleistet. Zu viel, sagt der Rechnungshof in einem ersten Urteil nun, und nicht nur das: die gesamte Existenz der Cofag sei teuer, unnötig und intransparent gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Kompetenz und das Fachwissen der Beamtenschaft im Finanzressort ignoriert und die vorhandenen Daten der Finanzämter nicht genutzt worden seien, um die Hilfen abzuwickeln, und stattdessen über externe Berater für gewaltige Zusatzhonorare eine parallele Struktur aufgebaut worden sei.
Nicht einmal die Entscheidung des Ministers, weshalb, mit welcher Logik, welcher Zielsetzung und auf welcher Grundlage die CoFag gegründet worden sei, ist demnach dokumentiert. Fest steht dagegen, dass eine kleine Gruppe an Beratern und Geschäftsführern, enorm von der CoFag profitiert hat – 21 Millionen Euro sollen gezahlt worden sein, unter den Zuarbeitern für den Cofag-Aufbau finden sich auffällig viele Personen mit Naheverhältnis zur damals Kurz-geprägten Neuen Volkspartei.
Der Skandal bringt nun auch die damals bereits mitregierenden Grünen in Erklärungsnot und färbt auf die Zustimmung zur grünen Regierungsarbeit ab. Aber nicht nur damit hat Präsident van der Bellen beim Votum zur Wiederwahl zu kämpfen. Ganz frisch stecken die Sozialdemokraten in Wien in einem akuten Skandal: die gänzlich unter dem Dach der Stadt Wien geführte „Wien Energie“, die kaum Strom erzeugt, aber als Händler auftritt und zwei Millionen Menschen in der österreichischen Hauptstadt versorgt, hat sich augenscheinlich mit riskanten Spekulationen auf fallende Energiepreise verzockt. Nun sind Milliarden an Sicherheiten von Seiten des Bundes nötig, um den Riesen am Leben zu erhalten.
Was bleibt, neben massiver Verunsicherung der Menschen angesichts der ohnehin drohenden Teuerung, ist ein extremer Vertrauensverlust in die etablierte Politik. Damit gehen die Turbulenzen auf der nationalen politischen Haupt- und der Wiener Nebenbühne auch an Van der Bellen nicht spurlos vorbei und nagen am Image des Amtsinhabers. Ist es dem Volkswirt und langgedienten Parlamentarier vor allem während der Staatskrise nach der Ibiza-Affäre gelungen, als überparteilich orientierte, stets abwägende Persönlichkeit in der nötigen Ruhe und Gelassenheit ausgleichend zu wirken, wird er nun wahlweise „dem System“ oder den in der Regierungsarbeit kritisierten Grünen zugeordnet.
Ob nun mehr oder weniger olympisch, ob nun mehrere Kandidaten von rechts oder weniger: Der Bundespräsidentenwahlkampf wird keine Routineangelegenheit. Es wird ein Gradmesser für Stimmungen und Fronten im Lande werden. Es wird viel Anstrengung nötig sein, um die Auseinandersetzung in kultivierten Bahnen zu halten.