Pink

Stupid girl

d'Lëtzebuerger Land vom 24.06.2010

Heute loben wir die amerikanische Sängerin Pink. Ihr Lied Stupid girl ist ein ätzender Hohngesang auf jene unrettbaren Geschlechtsgenossinnen, die sich jeder noch so qualvollen Modeerscheinung unterwerfen. „Pretty would you fuck me girl, silly as a lucky girl, pull my head and suck it girl, stupid girl!“ Damit kann Pink die nette Kalifornierin Abby Sunderland nicht gemeint haben. Diese vorbildliche 16-Jährige sollte Schule machen. Sie hat ganz allein die Welt umsegelt. Zwar ist sie irgendwo im Indischen Ozean kläglich gescheitert, zwar hat ihre Reise den Pappenstiel von über einer ­Million Dollar gekostet, womit ihre mittelständische Familie wohl dem Ruin Tür und Tor öffnen muss, doch Abby Sunderland war schlagartig in allen Medien, wochenlang. Ihr Alleingang hat sich also gelohnt. Nichts im Leben ist so erstrebenswert und fundamental, als schlagartig in allen Medien zu sein. Die Medien sind das Leben, daran ist nicht zu rütteln.

Mit aller gebotenen Sanftheit möchten wir hier gleich etwas klarstellen. Moderne Eltern, die im Strom der Jetztzeit schwimmen, sollten ihrer kostbaren Brut jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Wenn also das Girlie sagt: „Jetzt will ich die Welt umsegeln“, sollten die Eltern sogleich vor Rührung und Dankbarkeit vergehen. Sie sollten vor allem nicht auf jene verkappten Störenfriede hören, die Weltumseglungen für einen ausgekochten Blödsinn halten. Dass Eltern ihren wertvollen Früchten irgendetwas verweigern könnten, gehört zur furchtbar rückständigen Pädagogik des vergangenen Jahrhunderts. Das ist passé.

Heute haben wir erkannt: Das Kind ist ein Wesen, dem man nichts abschlagen darf. Man muss es loben, bis ihm ein Pfauenrad am Hintern wächst. Am kindlichen Gemüt darf man nicht kratzen. Was früher Kritik hieß, oder Regel, oder Prinzip, war nichts als autoritäre Anmaßung. Das Kind weiß selber, was ihm am besten bekommt. Alles steckt schon im Kinde drin, von Geburt an. Man muss es nur herauskitzeln. Wenn glückliche Eltern bei ihrem Kind eine Weltumseglung herauskitzeln, dürfen sie sich ruhig vorkommen wie bei einem Sechser im Lotto. Sie sind definitiv auf der gewonnenen Seite.

Seien wir doch mal ernst. Ein einsames Boot ist hundert Mal besser als eine Disco. Das Boot ist eine lärmfreie Behausung, und Drogen lassen sich auch nicht bunkern, weil eine störrische Meereswelle sie jeder Zeit wegschnappen kann. Das Meer ist ein Territorium der Ruhe und Ausgeglichenheit. Kein stinkender Straßenverkehr, kein Massenauflauf, vor allem auch keine Gewerkschaften, die mit Transparenten und Spruchtafeln randalieren. Die kindliche Weltumseglerin hat also Zeit, in aller Ruhe ihre mentalen Fähigkeiten zu entwickeln. Sie darf genau das tun, was wir Kindern unbedingt erlauben und empfehlen sollten: nicht denken, nur stressfrei dahintreiben. Eines ist sicher. Dieses segelnde Kind wird nach seinem langen Ausflug als autodidaktisch geschulte Philosophin heimkehren. Es wird die Welt mit anderen Augen sehen.

Wie wunderbar klug sich Abby Sunderland schon beim Start ihrer Erweckungsreise verhalten hat, können wir an einem wichtigen Detail erkennen. Sie hat es tunlichst vermieden, mit ihrem Segelboot mitten in die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko vorzupreschen. Obwohl es sich ja auch hier um ein beträchtliches Stück Meer handelt, eine potenzielle Segelpiste. Diese Katastrophe ist nichts für begabte Kinder. Immerhin, jetzt müssen wir mal kurz überlegen. Es wäre ja nicht von der Hand zu weisen, dass Abby Sunderland heute, nach ihrer Rückkehr in die ölverschmierte Heimat, ein bisschen promotion im Katastrophengebiet vom Stapel lässt. Ihre Weltumseglung ist ja vorbei, jetzt geht es darum, Boot und Segel und Kind gewinnbringend zu vermarkten. Auf diesem Gebiet sind die Amerikaner noch nie faul gewesen. Im Gegenteil. Sie gelten als Weltmeister der erfolgreich kommerzialisierten Krisen.

Dürfen wir uns hier trotzdem mal grundsätzlich beschweren über das höchst mangelhafte, ja vollauf amateuristische Krisenmanagement im Ölchaos? Wäre die Katastrophe in Luxemburg ausgebrochen, zum Beispiel im schönen Stauseenaturgebiet, hätten wir längst die kulturelle Gegenoffensive lanciert. Die Ölklumpenweitwurfmeisterschaft wäre bereits eine Institution. Zum Entzücken aller Téi vum Séi-Trinker. Und in allen reformierten, zukunftsfrohen Schulklassen würde mit Begeisterung an der pädagogisch verblüffenden Pëtrollsrallye gewerkelt. Liebe Kinder, heute wandern wir mal ins Katastrophengebiet. Ein Schulausflug der anderen Art. Packt alle schön eure eigenhändig gebastelten Strandvögel ein, damir wir sie, individuell und kollektiv, in die Ölbrühe tauchen und später in unserer Kunstaustellung zeigen können. Und dass uns keiner in die schwarze Pest hineinrutscht!

Vielleicht bekommt Abby Sunderland ja deemnächst ihre Oil spill reality show im amerikanischen Fernsehen. Was Pink, die olle Meckertante, dazu singen würde, wagen wir hier lieber nicht aufzulisten. Es wären viele four letter words im Text.

Guy Rewenig
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