ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Trockenschwimmen

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2022

„Siri, ist der Mindestlohn steuerfrei?“ – „D’Kafkraaft vu grad deenen och sozial méi schwaache Stéit ass e Sujet, dee mir ganz no um Häerz läit.“

„Siri, welche Länder haben eine Sondersteuer auf Extraprofiten?“ – „Ech soe merci fir déi vill exzellent Iddiën.“

Vergangene Woche führte das Parlament eine steuerpolitische Orientierungsdebatte. Finanzministerin Yuriko Backes spielte die elektronische Sprachassistentin. Sie beherrschte sogar die synthetische Satzmelodie.

Der Haushalts- und Finanzausschuss hatte zwei Berichterstatter bestimmt. So machte die Mehrheit die Opposition zu Komplizen. Das gelang besser als erwartet. „Schaffe muss sech lounen. Dofir Steiererliichterungen elo“, tönte die CSV. Dann stimmte sie für die Motion der Regierungsmehrheit. Die Motion listet alle Leistungen der Regierung auf. Ansonsten verspricht sie bloß, zu untersuchen, zu beobachten, zu studieren und zu analysieren.

Die Berichterstatter André Bauler (DP) und Gilles Roth (CSV) wurden für ihre Kompetenz ausgewählt. Will heißen für ihre rechtsliberalen, unternehmerfreundlichen Standpunkte: Sachzwänge, Wettbewerbsfähigkeit, Maßhalten. Ihr Bericht zählte vor allem die verschiedenen Steuerarten auf. Das tat der Wirtschafts- und Sozialrat schon gründlicher. Die nach der Lohnsteuer zweitgrößte Steuer kam in dem Bericht nicht vor: DP, LSAP und Grüne hatten die TVA gleich nach ihrem Amtsantritt erhöht.

Ein Jahr vor den Wahlen wollte die Regierung die Besteuerung der Lohnabhängigen und Kleinbürger „modernisieren“. Die besitzenden Klassen wagte man nicht zu stören. Die Abschaffung der Steuerklassen steht im Koalitionsabkommen. Sie sollte zur Individualisierung der Einkommensbesteuerung führen. Das interessierte besonders die liberale Klientel.

Dann kamen die Covid-Seuche und der Wirtschaftskrieg mit Russland. Nun fehlt es am Geld. Die Individualisierung verlangt Ausgleichs- und Übergangszahlungen. Sie sollen einen Aufstand wütender Hausfrauen und Brotverdiener verhindern.

Die DP sorgte dafür, dass auch LSAP und Grüne keine Erfolge beanspruchen können. Sie hatten sich die Forderungen der Berufskammern und Lobbys wohlwollend angehört. Bis das Steueramt die Ausfälle schätzte: Alles unbezahlbar!

Aus einer Steuerreform wurde eine Steuerdebatte. Die LSAP hatte sie beantragt. Sie wollte keine Steuerreform. Sie wollte ihr Wahlprogramm für nächstes Jahr vorlesen.

Von den regierenden und regierungswilligen Parteien rüttelte keine an den Bagatellsteuern auf den Profiten von Investitionsfonds und Briefkastenfirmen, an dem Steuerdumping auf fossilen Energieträgern. Steueroase und Tanktourismus gehören zur Morphologie des Landes wie der Öslinger Schiefer und der Luxemburger Sandstein.

„Wäre Geld da“, wollten die Parteien etwas für Internetgiganten und für Start-ups tun, für Mindestlohnbezieher und für „Talente“. Nur die Grundstücks- und Ertragshausbesitzer sollen bestraft werden. Weil sie die Arbeitskraft verteuern. Viele, die einst die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation verlangten, wollen sie nun deckeln wie den Index.

Die Regierung will sich kostengünstig sozial geben. Sie will im Haushaltsgesetz für nächstes Jahr „eppes fir d’Monoparentale maachen“. Laut Steueramt wäre selbst eine Verdoppelung des „crédit d’impôt monoparental“ die billigste aller Steuersenkungen. Die Liberalen halten die Alleinerziehenden für die letzten Armen nach dem Platzverweis. In der alleinerziehenden Mutter sehen sie kein Opfer wirtschaftlicher Verhältnisse, sondern eines privaten Schicksalsschlags. Sie fühlen ihr Weltbild bestätigt.

Die DP ging als Siegerin aus der Orientierungsdebatte hervor. Ihre Finanzministerin hielt den Kassenstand bis zum Ende der Debatte zurück. Am Montag hieß es, der Zentralstaat verbuchte im ersten Halbjahr 1,1 Milliarden Euro Überschuss.

Romain Hilgert
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