Düfte

Papierleidenschaft

d'Lëtzebuerger Land du 09.06.2011

Heute loben wir das expandierende Universum der Düfte. Paper passion heißt ein neues Parfüm, das der berühmte Verleger Gerhard Steidl komponiert hat. Zunächst hieß es, der noch berühmtere Parfümjongleur Karl Lagerfeld habe die Vermarktung des Produkts übernommen. Doch der Meister ließ die voreilige Meldung dementieren. Paper passion sei einzig und allein im Duftgärtlein des Herrn Steidl gediehen. Womit wir beim Kern der guten Nachricht angelangt wären: ein Büchermensch lanciert eine revolutionäre fragrance, die nach altem Papier riecht.

Wer sich mit Paper passion einreibt, verbreitet sofort eine Ausdunstung, als hätte er mindestens drei Monate am Stück in den Katakomben einer Bibliothek verbracht. Er stinkt nach antiken Wälzern, ganz so, als wäre er integral in die staubigen Konvolute hineingekrochen. Der Prestigegewinn ist beträchtlich. Man hält den derart Parfümierten für einen Geistesriesen, einen unermüdlichen Forscher, der praktisch Tag und Nacht im Altpapier zu Hause ist. Und das Bestechendste an Herrn Steidls genialer Idee ist, dass allein das neue Parfüm jeden Aufenthalt in Bibliotheken oder Buchhandlungen überflüssig macht. Man muss sich nicht mehr in Bücher stürzen, wenn man mittels vaporisateur ohnehin in Nullkommanix den scharfen Geruch von Büchern in die Umwelt entlässt.

Dass ein Verleger, der ja vom Bücherverkauf lebt, auf diese Weise das Buch in die virtuelle Sphäre verbannt, mag auf den ersten Blick erstaunen. Viel wichtiger ist wahrscheinlich, dass Herr Steidl mit seinem Kunststück den Parfümmarkt regelrecht aufreißt. Wer sagt denn, ein betörendes Parfüm müsse unbedingt an Blüten aller Arten erinnern? Warum nicht das breite Spektrum der lebensechten Gerüche verarbeiten? Wer immer schon Arzt werden wollte, aber leider nur ein Scharlatan geblieben ist, kann immer noch auf das Parfüm OP-Bloc zurückgreifen. Es genügt, heftig nach Penicillin zu stinken. Schon ist der gesellschaftliche Rang gerettet.

Nehmen wir den Fall eines Europabaumeisters, der überall für seine Baumeisterfähigkeiten gefeiert und mit Preisen überhäuft wird, aber sich leider noch nie im Leben auch nur den kleinen Finger auf Baustellen schmutzig gemacht hätte. Was fehlt dem Mann? Richtig. Die Duftnote Heavy Mörtel. Sofort hat er die olfaktorische Ausstrahlung einer Betonmischmaschine. Vielleicht erfindet ein cleverer Kosmetikhändler ja komplementär eine Seife, die deutliche Motorölspuren auf Nase, Stirn und Kinn zaubert. Der doppelte Trick erlaubt dem bislang virtuellen Baumeister, als Schwergewicht seiner Zunft aufzukreuzen. Man wird ihm sofort glauben und ihn nicht länger für einen überforderten Scheinheiligen halten.

In den diffusen politischen Gefilden wäre ein bisschen markanter Duft bisweilen bitter nötig. Herr DSK zum Beispiel sollte beherzt auf das neue Parfüm EjaCool zurückgreifen, bei Bedarf auch auf die würzigere Variante Spermato Zoo, aus Gründen der Selbstrettung sozusagen. Die Parfümhülle hätte nämlich einen bedeutenden Vorteil. In den Hotelrezeptionen würden sofort die Alarmglocken schrillen. Achtung, hier kommt der sprungbereite Besamungskaskadeur, jetzt müssen wir unser Personal dringend selektiv einteilen. Jetzt dürfen keine ahnungslosen Zimmermädchen mehr ausschwärmen, jetzt sollen die feministisch geschulten, karatebegabten housekeeping girls an die Front. DSK, „Doppelter Salto Kopfüber“, und schon wäre der Schlamassel vermieden. Hätte der Mann die Segnungen der Parfümindustrie erstgenommen, wäre er vermutlich immer noch IWF-Direktor.

Jetzt haben wir uns leider in einen Winkel verirrt, wo das penetrant Parfümierte zugleich eine pestilenzielle Zumutung ist. Haben Sie das Pressefoto gesehen, das Herrn DSK auf dem Weg zum Gericht zeigt, wo er unumwunden auf „nicht schuldig“ plädierte? Dieses Foto ist ein Bild des Grauens. Die Bildunterschrift könnte lauten „Hier kommt das Geld“. Ein unschuldiger Mann, gestützt von einer noch unschuldigeren Frau, die beide nur eines signalisieren: Wir sind die Reichen, ihr seid die Blöden. Platz da, hier marschiert die teure Unschuld! Parfümmäßig gesprochen ist der ganze Aufzug leider ein bisschen problematisch. Pecunia non olet. Das ist jammerschade. Gäbe es nämlich ein typisches Geldparfüm, würde dieses millionenschwere Pärchen so durchdringend duften, dass sogar noch das Zeitungspapier vom Geruch infiziert wäre.

Aber was nicht ist, kann noch werden. Was Herr Steidl rundkriegt, bringen die Finanzhaie schon lange fertig. Wir schätzen mal, dass schon in allernächster Zukunft die Duftnote Money Honey den Markt überschwemmt. Die Frage ist nur: Wie zum Teufel duftet eigentlich Geld? Welche Essenzen müssten da vermischt werden? Zur Zeit wäre das Herzblut ausgebeuteter Völker die Basis des Rezepts. Aber Blut trägt sich nicht gut auf der Haut. Man müsste es also verdünnen und ausbleichen. Mit Panzerbenzin vielleicht. Oder mit Tränen der Wut. Die gibt es reichlich auf dem ganzen Planeten. Zumindest einen guten Namen hat das kommende Parfüm schon: Not Guilty.

Guy Rewenig
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