Heute loben wir die Wahlfreiheit. Was bewirkt ein Aufkleber Vegetarier? Stéi derzou! auf der Hinterfront von ein paar Linienbussen? Gar nichts. Es wäre schlicht unvorstellbar, dass die Fleischindustrie mitsamt all ihren Metzgereien und bekennenden Fleischfressern auf die Busunternehmer losgeht und von einem unzulässigen Affront spricht. Das haben die Fleischpropagandisten gar nicht nötig. Sie sind sich der Fleischeslust ihrer Anhänger sicher. Und sie wissen: Die Vegetarier sind sogar eine Art Kontrastfolie, die alle fleischfressenden Wesen in ihrer Neigung nur bestätigen kann. Der Vegetarier wäre dann der Enthaltsame, der Fleischmolch der Lustbetonte. Wieso also sollte den Vegetariern das Recht abgesprochen werden, die fleischlose Gemüsevariante vorzuziehen?
Die Aufkleber könnten natürlich auch eine andere Botschaft tragen, zum Beispiel: Net reliéis? Stéi derzou! Die Grundkonstellation ist genau die gleiche. Ich stehe dazu, etwas nicht zu sein, was ein anderer ist. Nun könnte dieser andere ja, wenn er schlau ist, einfach dagegen halten: Das ist aus meiner Sicht ja eigentlich ein Manko. Da hat einer etwas nicht, was ich habe. Ich kann mir einen Mehrwert zuschreiben, und dem anderen fehlt was. Wäre Religion tatsächlich etwas so Tolles und Unverzichtbares, bräuchte der religiöse Mensch die armen, nichtreligiösen Zeitgenossen ja nur zu bedauern. Weil es ihnen an der grandiosen, religiösen Erfahrung mangelt.
Was aber geschieht? Die Religiösen wollen es gar nicht dulden, dass einer nicht religiös sein will. Absurder geht’s nicht. Stellen Sie sich vor, Sie sind leidenschaftlicher Sportfischer, und der Fußballverband erhebt öffentlich Protest gegen Ihren Zeitvertreib. Nach der Vorgabe: hier war Fußball immer ein Breitensport, jeder hat hier immer Fußball gespielt, und wenn wir ihm die Lizenz aufzwingen mussten, jetzt aber mal dallidalli, Schluss mit dem blöden Angelzeug und marsch aufs Fußballfeld! Da würde doch jeder sich an den Kopf greifen und fragen: Sind die Fußballer jetzt dem absolutistischen Größenwahn verfallen?
Jedes Jahr um Ostern wird im Luxemburger Wort ein Gespenst namens Kanonikus Heiderscheid ans Tageslicht geholt, damit es in einem österlichen Leitartikel behaupte: Allein der Glaube kann eine Antwort auf die Sinnfrage des Lebens geben. Das klingt wahrlich gespenstisch. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder sich selbst aussuchen soll, wie der Sinn seines Lebens aussehen könnte, ist ein solcher Satz geradezu demokratiefeindlich. Was uns zur Frage führt: Hat die fundamental antidemokratische Firma des Kanonikus überhaupt etwas verloren in einer Demokratie? Müssen wir als Steuerzahler wirklich die totalitären Phantastereien dieser religiösen Herren finanzieren? Man darf diesen Gottesfanatikern ja nicht einmal sagen: Ich will einfach mit deinem Gott nichts zu tun haben. Das reicht schon aus, um pathetisch vor der nächsten Christenverfolgung zu warnen. Und den Busunternehmern mit Exkommunikation zu drohen. Und nicht religiösen Bürgern quasi Staatsverrat anzulasten.
Es ist schon ein echtes Kreuz mit dieser Firma. Ständig behaupten ihre Exponenten, ohne Religion käme keine Gesellschaft aus. Diese dreiste Behauptung erinnert an einen Autofahrer, der einen Unfall nach dem andern baut und trotzdem stur verkündet: Ich bin der beste Chauffeur aller Kontinente, auf mich könnt ihr gar nicht verzichten, an mir müsst ihr euch für ewige Zeiten ein Beispiel nehmen, ich allein kann euch den Sinn der Straßenverkehrsordnung erklären, mein ramponiertes Gefährt braucht keinerlei Kontrollstation!
Wohin es führt, wenn einer nicht religiös ist und dazu steht, hat vor kurzem die Bistumszeitung Luxemburger Wort eindrucksvoll bewiesen. Als der Journalist Romain Durlet starb, veröffentlichten die meisten Zeitungen einen kurzen Nachruf mit seinen wesentlichen Lebensdaten. Nur das Luxemburger Wort erdreistete sich, die Biographie des Verstorbenen vorsätzlich zu verstümmeln. Dass Durlet ein engagierter Laizist und Vorsitzender der Libre Pensée war, hatte die Redaktion kurzerhand aus dem Lebenslauf gestrichen.
Genau dies ist immer noch der ideologische Kern dieser Tageszeitung, sobald der religiöse Fundamentalismus auf dem Spiel steht: Was nicht sein darf, wird nicht erwähnt. Was uns stört, wird geschwärzt. Was uns nicht in den Kram passt, kommt nicht zur Sprache. Da nimmt die Redaktion gewissenlos auch eine kleine Leichenschändung in Kauf. Die Ehre des Toten wird sozusagen im Weihwasserkessel ertränkt. Was muss das für eine schwache, verunsicherte, von Minderwertigkeitsgefühlen geplagte Truppe sein, die sich nur noch mit Zensur zu wehren weiß und das Argumentieren nicht mal ins Auge fasst. „Wenn es ernst wird, muss man lügen“, predigt der reli-giöse Herr Juncker. Die katholische Tageszeitung setzt sein Rezept mit unerschütterlicher Konsequenz in die Praxis um. Für ihre Wahrheit und ihr Recht. So können nur Leute zu Werk gehen, die an ihre eigenen Werte längst nicht mehr glauben.