Gesellschaftserneuerer

Fleischers Lust

d'Lëtzebuerger Land du 26.05.2011

Heute loben wir die zupackenden Gesellschaftserneuerer. Warum nur sind wir immer so verschüchtert und risikoscheu? Immer nur untertreiben, minimalistisch denken, nur nicht aus dem Vollen schöpfen, nie einen draufmachen und die Sau rauslassen – soll das ein Vorbild für die nachfolgenden Generationen sein? Wo bleiben die hemmungslosen Draufgänger, die entfesselten Epikuräer? Nehmen wir uns doch mal ein Beispiel an den couragierten Berserkern!

Ein Luxemburger Metzgereibetrieb schlägt seinen Kunden ein Preisspiel mit eingebauter Kalorienbombe vor. Man kann, sofern man die idiotensichere Preisfrage richtig beantwortet, einen gewaltigen Haufen Fleisch gewinnen. Und zwar entpricht die Fleischmenge dem eigenen Körpergewicht. Da Fleischesser in der Regel keine spindeldürren Kostverächter sind, kommt hier ganz schön was auf die Waage, sagen wir mal rund 100 Kilogramm. Was schließen wir aus dieser wunderbaren Idee? Die Wirtschaft hierzulande boomt wieder enorm, vorbei die Zeiten wackeliger Kompetitivität, vorbei das triste Krisengeheul und der entnervende Sparzwang.

100 Kilogramm Fleisch sind ein Segen für jede Familie. Da freuen sich nicht nur die krisengeschüttelte Mami und der von Finanzcrashs zermürbte Papi. Maßlos fressen als zukunfsträchtige Philosophie: da wachsen vor allem auch die lieben Kinderlein über sich hinaus. Man weiß ja, dass gebratenes, gegrilltes oder gekochtes Tierfleisch im menschlichen Körper ungeheure Energien freisetzt. Mit einem soliden Fleischpolster wird die familiäre Brut spielend alle Herausforderungen der neueren Erziehungspraxis bestehen: Hauen und Stechen auf dem Schulhof (Taschenmesser verletzen grundsätzlich nur vegetarisch verkümmerte Rippengestelle), Komasaufen bei der abendlichen Hausaufgabenerledigung (ein gutes Fleischfundament absorbiert ruckzuck das schärfste Gesöff), und falls der Führerscheinkompetenzsockel schon erreicht ist (die erste, wirkliche Qualifikation im reformierten Schulbetrieb), sind die Sprösslinge auch noch in der Lage, die cholesteringestützte Raserei im Straßennetz glänzend zu bestreiten. Sozusagen auf elementar fleischlicher Basis.

Den visionären Metzgereibetrieb, der diese rasante Art der fortschrittlichen Fleischverbreitung erfunden hat, schlagen wir vor für alle verfügbaren nationalen Orden. Man sollte diesen Leuten 100 Kilogramm Medaillen ans Revers heften. Hoch lebe ihr Hackbeil! Sie sorgen übrigens auch dafür, dass die sogenannten konsumierbaren Tiere, also jene gesellschaftsfeindlichen Kühe und Schweine, die ständig mit ihren hingefurzten CO2-Ausstößen unsere Atmosphäre versauen, erfolgreich und nachhaltig dezimiert werden. Je mehr Fleisch wir verdrücken, umso schneller wächst die Ozonschicht wieder zusammen. Oder kürzer gesagt: Fleischfressen ist Umweltschutz.

Der Amerikaner Don Gorske, ein geistiger Verwandter unseres verdienstvollen Metzgereibetriebs, hat in 39 Jahren 25 000 Burger reingeschlagen, also zwei Big Macs pro Tag, und so seinen kostbaren Körper mit rund 12,5 Milliarden Kalorien angereichert. Wir wissen nicht, wieviele Kilogramm Burgerfraß die McDonald’s-Kette kostenlos und ohne Hintergedanken beigesteuert hat, aber das Resultat dieser revolutionären Karriere springt ins Auge: Der Mann lebt immer noch! Wenn das kein Argument ist. Wer also mindestens 39 Jahre lang leben will, muss Burger fressen. Schön regelmäßig und ohne Gewissensbisse. Wer noch länger leben will, sollte sich jeden Monat 100 Kilogramm Fleisch einlegen. Er explodiert nicht nur buchstäblich vor Gesundheit, sondern wird auch noch ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen. Lauter wertvolle Impulse für den gesellschaftlichen Aufschwung.

Mit viel Tamtam hat eine Handelskette soeben in Luxemburg farbiges Klopapier vorgestellt. Die Farben sind so satt und prächtig, dass einen allein beim Anblick dieser innovativen Ware der Drang packt, ins nächste Darmentleerungshäuschen zu hasten. Auch dieses Geschäft entspricht der neuen Philosophie der kraftvollen Gesellschaftserneuerung. Es geht nämlich nicht darum, einfach aus modischem Firlefanz ein bisschen zu kolorieren. Nein, die Klopapierfarbe soll mit der Gesichtsfarbe des gesellschaftlich engagierten, vorbildlichen Fleischfressers harmonieren. Demnächst werden viele strahlend purpurrote, blaue oder grüne (manchmal verstecken sich eben auch ein paar Chemikalien im Fleisch) Visagen unsere diversen Menschenaufläufe beleben. Was liegt also näher, als auch beim Schlussakkord der Fleischorgie farblich im adäquaten Rahmen zu bleiben?

Schwarzes Klopapier ist dem einfallsreichen Händler zufolge die edelste Variante. Die sollten wir uns leisten. Schwarz ist nicht nur die Farbe der Heimat, sondern die repräsentative Farbe unserer Zukunft. Wenn wir schon schwarz sehen, dann aber bitte mit Stil. Ist es nicht erfrischend und außerordentlich motivierend, dass wir uns ab jetzt den Allerwertesten demonstrativ mit dem schwarzen Papierlappen abwischen dürfen? Schwarzarbeit am Arsch. Darin waren wir immer schon Klasse.

Guy Rewenig
© 2024 d’Lëtzebuerger Land