Die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer soll EU-weit harmonisiert und die Steuern zwischen den Staaten umverteilt werden. Luxemburg dürfte nicht zu den Gewinnern der GKKB zählen

Zurück in die untere Gewichtsklasse

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2016

Die Kampagne der EU-Kommission zur Vorlage der Richtlinien zur Einführung der Gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) war groß. Reden, Tweets, Factsheets und Werbefilme mit allerhand Professoren, Firmenchefs und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen, die nur eine Botschaft unters Publikum bringen sollten: Die GKKB ist gut für Sie.

Dass sich Brüssel so viel Mühe gibt, hat einen guten Grund. Die Kommission versucht, ein altes, gescheitertes Produkt unters Volk zu bringen. 2011 hatte die Kommission bereits einen Vorschlag für eine GKKB vorgelegt. Aber die Mitgliedstaaten spielten nicht mit. Der Vorschlag von damals sammelte irgendwo im Getriebe des europäischen Gesetzgebungsprozesses Staub an.

Bis Jean-Claude Juncker EU-Kommissionpräsident wurde, und Tage später von Luxleaks eingeholt wurde. Daraufhin drehte der Wind und das politische Klima wurde günstiger für die GKKB. Juncker stand unter Zugzwang. Wenn seine Kommission nicht hart durchgreifen würde, um die Steueroptimierung multinationaler Konzerne einzudämmen, durch die den europäischen Staaten geschätzte Milliardenbeträge an Steuereinnahmen durch die Lappen gingen, würde es immer heißen, es sei seine Schuld. Die des ehemaligen Luxemburger Staats- und Finanzministers, während dessen Amtszeit in der Rue de la Congrégation die Luxleaks-Rulings beschlossen wurden. Juncker zögerte nicht lange, die Verantwortung für das Debakel mit den Mitgliedstaaten zu teilen, die die Einführung der GKKB bis dahin verhindert hatten. Er versprach eine Neuauflage. Mit der GKKB sollen die Schlupflöcher in den nationalen Steuergesetzen geschlossen werden, die multinationale Konzerne nutzen, um Steuern zu sparen. Aber nicht nur das. Die besteuerten Konzerngewinne sollen auch unter den EU-Ländern umverteilt werden.

Die GKKB riskiert für Luxemburg nicht gut zu werden und überhaupt unterschiedlich viel Freude in den Steuerbehörden der EU-Mitgliedsstaaten auszulösen. Zumindest wenn man der Studie der EU-Kommission glaubt, die die Richtlinienvorschläge begleitet und analysiert, wie sich die GKKB auf das Steueraufkommen auswirken wird. Demnach wäre Luxemburg das Land, das durch die GKKB im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einigem Abstand am meisten Einnahmen bei der Körperschaftsteuer verlieren würde: 1,01 Prozent. Am BIP von 2015 gemessen wären das 517 Millionen Euro. Das Körperschaftsteueraufkommen in der EU insgesamt ginge um 0,27 Prozent zurück.

Etwas mehr als eine halbe Milliarde weniger Steuern jährlich in Luxemburg? Die Summe ist, im Vergleich zum mutmaßlichen, mehrstelligen Milliardenschaden, von dem auch die EU-Kommission in den vergangenen zwei Jahren immer wieder redete, wenn es um die Steueroptimierung ging, bescheiden. Soll das etwa alles sein, das der um den Globus gebrandmarkte Schmarotzerstaat Nummer eins den anderen EU-Ländern geklaut haben soll? Sollen die Luxleaks-Angeklagten Antoine Deltour und Raphael Halet dafür ins Gefängnis gehen? Und überhaupt: Das Anti-Optimierungsinstrument GKKB soll einen Rückgang des Steueraufkommens in der EU insgesamt bewirken? Sollten im Ergebnis der ganzen Bemühungen, die Steueroptimierung zu beenden, die Konzerne nicht mehr, anstatt weniger Steuern zahlen? Weil diese Zahlen riskieren, im Lager der Steueroptimierungsgegner und in der Öffentlichkeit insgesamt den Enthusiasmus für die GKKB ein wenig zu dämpfen, heißt es in der Folgenabschätzung vorbeugend, das angewandte Modell könne die positive Wirkung auf das Steueraufkommen insgesamt durch die zu erwartende rückläufige Steueroptimierung nicht vollständig messen.

Aber in ihren Unterlagen straft die Kommission sich selbst und alle anderen Lügen, die in der Vergangenheit beklagt haben, Multis wären durch ihre aggressive Steuerplanung besser gestellt als kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nicht grenzüberschreitend agieren und sich keine teure Steuerberatung leisten könnten. Denn dadurch, dass via Konsolidierung auf EU-Ebene Gewinne und Verluste in den verschiedenen nationalen Filialen gegeneinander geltend gemacht werden könnten, würden die Großen mit den KMU gleichgestellt, heißt es in den Erklärungen der Kommission. Es ist diese Eigenschaft der GKKB, auf die sich die europäische Wirtschaftsgemeinschaft am meisten freut, wie der Lufthansa-Manager, der im Youtube-Video der EU-Kommission für die die GKKB wirbt, und die in den Folgenabschätzungen dazu führt, dass das europäische Körperschaftsteueraufkommen insgesamt sinkt.

Mit der GKKB, meint ein Steuerexperte in Luxemburg, geht es nach den Bemühungen der vergangenen Jahre, die unter anderem zum Austausch von Rulings geführt haben, zu sehr viel strengeren Regeln zur Vorbeugung von Missbrauch, ans „Eingemachte“. Den durch die gemeinsame Bemessungsgrundlage würden auch die letzten Nischen, beispielsweise Abschreibungszeiträumen, die Möglichkeit, die Verluste von Filialen abzuschreiben, die Zeitäume, über die vergangene Verluste geltend gemacht werden können, verloren gehen und sich der Wettbewerb um Investitionen zwischen den EU-Ländern folglich immer stärker auf den nominalen Körperschaftssteuersatz konzentrieren.

Bei seiner USA-Reise vor wenigen Wochen soll Finanzminister Pierre Gramegna (DP) dem Fachpublikum erklärt haben, Luxemburg wolle mit seinem Satz nicht auf das irische Niveau von 12,5 Prozent runtergehen. Eher gehe es Richtung 20 Prozent, kommunale Gewerbesteuer inklusive. Dadurch erhalte man sich ein wenig Spielraum, um andere Maßnahmen zu finanzieren. Welche das sein könnten, soll er nicht gesagt haben. Aber mit den Vorschlägen zur GKKB sei fraglich, wie lange diese Strategie halten werde, meint ein Steuerberater. Denn um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse der nominale Satz sinken – zumal Luxemburg Investoren, die ihre Millionen nach Luxemburg brächten, durch die anderswo inexistente Vermögenssteuer vorab Geld abnehme, bevor sie welches verdient hätten. Doch ob die Einnahmen dann noch ausreichen würden, um den Haushalt zu finanzieren? Vielleicht müsse dazu der Steuersatz eigentlich erhöht werden.

Denn das eigentliche Problem mit der GKKB liegt für Luxemburg in der Konsolidierung, beziehungsweise der darauffolgenden Umverteilung auf die EU-Mitgliedstaaten. Wurde bisher oft eine Sportmetapher aus dem Bereich Boxen genutzt, um zu erklären, dass Luxemburg durch seinen Finanzplatz in der internationalen Wirtschaft, aber auch auf der internationalen politischen Bühne gewichtiger auftritt als sich das für einen Staat mit einer halben Million Einwohner eigentlich gehört, weist die GKKB Luxemburg zurück in die Landesgrenzen und damit in eine niedrigere Gewichtsklasse.

Welchem EU-Land welcher Anteil an den in Europa erwirtschafteten Gewinnen eines multinationalen Konzerns zusteht, wird den GKKB-Vorschlägen zufolge aufgrund einer Formel berechnet, die die Mitarbeiterzahl, den Umsatz und die Produktionsanlagen in den verschiedenen Ländern berücksichtigt. Kleine Länder wie Luxemburg aber auch Irland, die Niederlande, Malta oder Zypern ziehen dabei notwendigerweise den Kürzeren. In Irland kam deshalb vergangene Woche bereits ein wenig Panik auf. Beim Versuch, die GKKB 2011 durchzusetzen, hatten sich auch die Briten quergelegt. Doch die wollen die Union nun verlassen, so dass dieses Mal kein „Großer“ mehr hilft, die Interessen der Kleinen zu verteidigen.

Trifft die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage wohl hauptsächlich die Finanzbeteiligungsgesellschaften, die auch Briefkastenfirmen genannten Soparfi, die 2014 in Luxemburg zur gewichtigsten Steuerzahlerkategorie unter den juristischen Personen wurden, von denen aber viele außer ihrer Postleitzahl mit Luxemburg nichts verbindet, riskiert die Konsolidierung auch die Einnahmen der zweitwichtigsten Steuerzahlerkategorie empfindlich zu treffen: die der Banken. Den Banken selbst kann es egal sein – ihre Steuerlast wird dadurch nicht beeinflusst. Die meisten der in Luxemburg angesiedelten Banken sind Filialen großer Gruppen, die von der Richtlinie visiert sind. Und die große Mehrheit ihrer Kunden wohnt nicht in Luxemburg. Daher würden nach der GKKB-Umverteilungsformel die Steuerabgaben der Luxemburger Filialen teilweise in die Heimatländer der Kunden zurückfließen. Im Richtlinienvorschlag heißt es zur Umverteilung des Steueraufkommens von Finanzinstitutionen: „Other financial services shall be considered to be carried out in the member state of the borrower or the person who pays the fees, commissions or other revenue.“

Dass die Finanzbranche noch ziemlich viel Personal beschäftigt und es anständig bezahlt, würde dem Finanzministerium laut GKKB-Formel helfen, Steueranteile zurückzufordern. Teures Personal ist aber gleichzeitig ein Faktor, der es für die Banken nicht unbedingt interessanter macht, ihre Geschäfte von Luxemburg aus zu führen. Da auch die Deutschen nicht alle Autos selbst fahren, die sie herstellen, wird es interessant werden zu sehen, wie sich die Exportmeister in den Verhandlungen positionieren werden. Sie haben im Vergleich zu Luxemburg aber nicht nur den Vorteil, über einen Markt von 80 Millionen Verbrauchern zu verfügen, sondern auch den, dass die Berechnungsformel zur Umverteilung der Steuereinnahmen die Fließbänder der Autohersteller berücksichtigt, die Software der Luxemburger Bankiers aber nicht.

Dass immaterielle Werte bei der GKKB keine Rolle spielen, so ein Steuerberater, gehe an der wirklichen Entwicklung in der Wirtschaft vollkommen vorbei, wo Knowhow und geistiges Eigentum treibende Elemente der Wertschöpfung seien. Die GKKB, meint er, sei auf die Vergangenheit ausgerichtet, nicht auf die Zukunft in der postindustriellen, digitalisierten Wissensgesellschaft, weil aus Angst vor Gewinnverschiebungen Wissen in der GKKB-Umverteilungsformel keinen Wert habe. Damit wirft die GKKB über die kurzfristigeren Folgen auf die Steuereinnahmen und ihre Wirkung auf die öffentlichen Finanzen auch die Frage auf, womit ein kleines Land wie Luxemburg überhaupt noch Geld verdienen darf. Länder wie Malta oder Zypern, meint der Steuerberater, könnten ihre Tourismusbranche ausbauen. Aber Luxemburg war immer schon ein Steuerparadies ohne Palmenstrand...

Michèle Sinner
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