Besteuerung von Unternehmen

Demokratiedefizit

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2016

Trotz der Terminprobleme waren vergangene Woche zur Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Ceta zwischen der Europäischen Union und Kanada ausreichend Globalisierungsgegner zur Stelle, um das Sicherheitspersonal vor dem EU-Ratsgebäude auf Trab zu halten. Einer der Punkte, den Ceta und TTIP-Gegner am Abkommen mit Kanada und dem, das mit den USA verhandelt wird, am meisten stört, sind die Schiedsgerichte, bei denen hochbezahlte Geschäftsanwälte in ihren Konferenzräumen fernab der Öffentlichkeit darüber entscheiden sollen, wessen Interessen durchgesetzt werden: die der Investoren, großen Geldgeber und multinationalen Unternehmen oder die der Staaten, in denen sie investieren wollen. Diese Privatisierung der Justiz empfinden nicht nur Demonstranten, die zum Sturm auf die EU-Gebäude blasen, als eine Aushebelung der nationalen Gerichte und damit der demokratischen Instanzen, also kurzum als Schweinerei.

Aber das ist alles eine Sache der Perspektive. Denn seit Offshore-Leaks, Luxleaks und den Panama-Papieren gibt es ebenfalls einen öffentlichen Konsens darüber, dass multinationale Unternehmen mehr Steuern zahlen sollen, als sie das bisher tun. Eines der Hauptinstrumente gegen die sogenannte aggressive Steuerplanung global agierender Firmen ist die 15 Aktionen umfassende Beps-Initiative der OECD. Aktion Nummer 14 sieht die Schaffung von multilateralen Schiedsgerichten vor, die in den Hinterzimmern von Geschäftsanwälten tranchieren sollen, wenn es Streit um die von multinationalen Firmen eingesetzten Transferpreise gibt. Die Transferpreise sind der Hebel, den die EU-Wettbewerbsbehörden derzeit zur Genugtuung von Globalisierungsgegnern, frustrierten Nutzern von Apple-Geräten und unzufriedenen Starbucks-Kunden einsetzen, um die Steuerbescheide von mehrheitlich US-amerikanischen Multis in der EU zu revidieren. Dass die US-Regierung diese Schiedsgerichte sehr befürwortet, hat sie kürzlich der EU schriftlich mitgeteilt. Kommen sie, hoffen die USA, können die EU-Wettbewerbsbehörden mit ihren Staatsbeihilfeverfahren einpacken. Sie wären nicht mehr zuständig.

Doch das ist der Öffentlichkeit bisher nicht aufgefallen, weil Beps gemeinhin als gute Sache gilt, die dazu beitragen soll, dass nicht nur die Lohnabhängigen und kleine Firmen Steuern zahlen sollen. Aber auch, weil, obwohl sie öffentlich zugänglich sind, außer ein paar Spezialisten, die ihr Geld mit der Steuerberatung multinationaler Unternehmen verdienen, niemand die sehr voluminösen Beps-Beschlüsse gelesen hat, beziehungsweise niemand versteht, was drin steht. Wenn die Materie nur komplex genug ist, braucht es also keine Geheimverhandlungen, damit ein Demokratiedefizit entsteht.

Das lässt sich in Luxemburg, das durch die bei PWC geklauten Steuer-Rulings zu Weltruhm gelangte, besonders gut beobachten. Beps, sowie die Initiativen der EU im Bereich der Unternehmensbesteuerung, dürften weitreichende Folgen auf die Luxemburger Wirtschaft und die Staatsfinanzen haben, denn sie zielen auf die Gruppe, die seit zwei Jahren am meisten Körperschaftsteuer entrichtet: Die Finanzbeteiligungsunternehmen. Zumindest meint oder glaubt man das. Eine ernstzunehmende Folgenanalyse steht bisher aus. Eine ernstzunehmende öffentliche oder politische Debatte ebenfalls. Wenn die Regierung im Parlament bisher erklärt hat, bei Beps und in Sachen Steuertransparenz eine Vorreiterrolle spielen zu wollen, gibt es keinen Widerspruch, weil es nach der großen Schmach von Luxleaks an alternativen Strategien fehlt und die Steuereinnahmen bisher trotzdem weiter gestiegen sind.

Dass das weiter so bleibt und Luxemburg mit einem blauen Auge davon kommt, daran bestehen angesichts der geplanten Steuerharmonisierung in der EU zumindest berechtigte Zweifel. In Anbetracht dieser Entwicklung wäre es gut, wenn sich die Regierung nicht nur auf die Ratschläge derjenigen verlassen müsste, die gleichzeitig gegen Rechnung die Konzerne beraten.

Michèle Sinner
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