Er kommt doch wieder, der glühende Europäer?

Der Rumäne auf dem Dach

d'Lëtzebuerger Land vom 12.07.2013

Eben war mein kleines Land noch in der Kristallkugel, die man im Suvenirsbuttik kaufen konnte, neben Fähnchen mit großen, starken, roten Löwen drauf. Es regnete in der Kristallkugel, aber es flossen auch Milch und Honig und Bier und Benzin, und die Alzette floss durch die Hymne. Alle älteren Damen kamen immer gerade vom Coiffeur, vom Einkaufen sowieso, in imposanten Gefährten, die sie selbst in vorgerücktem Alter unbeirrt steuerten. Die Herren trugen über entspannten Bäuchen freundliche Bärte, keinesfalls à la Taliban, und lachten gern lauthals und treuherzig. Der Papi joggte, die Mami shoppte, die Familie frühstückte neben dem Buddha, die Kleinen gingen mit der Schlussprozession. Sie freuten sich darauf. Es gab Rosenkränze, das ist Folklore, das gehört dazu. Autos sprangen einen von den Internetportalen der publizistischen Zentralorgane an. Okay, es regnete ziemlich viel, quasi immer, aber so hatte man sich daran gewöhnt und freute sich über einen Sonnenstrahl, auch wenn er klitzeklein war. Er wird dann umgehend gepostet. Dann gab es ja schon wieder die Päischtcroisière oder Hurghada oder die Côte oder einen Städteflug, um wurmstichige Kunst zu bewundern, oder megacoole Festivals. Es war also gar nicht so schlimm, man konnte ja raus, man war schnell überall, wie die Insassen einander immer wieder versicherten, wenn sie den Blues bekamen, wenn sie so mittendrin im Leben herum standen mit einem Glas in der Hand. Und der Fern war von der Brücke gesprungen.

Es regnet noch immer, der Fern springt immer noch von der Brücke, und die Marie-Josée ist in der Belle Étoile. Die Tochter baut, im Nachbardorf. Der Sohn wird immer noch Prof. Aber so bleibt es nicht, so bleibt es nicht. Wartet nur, der Landesvater tritt zurück, er tritt ab, er lässt uns allein. Mitten in Europa, mit all den hämischen Europäern. Die Amerikaner schauen sich die Hunde an an, die wir posten. Er lässt uns allein, das ist uns ja ein Schöner; er geht, und wir irren durch die Grandes Surfaces, es ist so neblig, und wir haben keine Kreditkarten mehr. Wir fahren mit der Tram über die Selbstmörderbrücke. Das Benzin ist alle, und Dikricher Béier ist ein Fake.

Die Ausländer haben schadenfrohe Sachen über uns geschrieben. Von Bankensterben und Schrumpfungsprozessen, und davon, dass unser Land ein Sanierungsfall sei. Dann erwähnen sie gönnerhaft ein paar Mikrofinanzfonds und Nachhaltigkeitsfonds und ethische Geldanlagen. Sie schreiben über uns, als seien wir bald eine postapokalyptische Aussteigeroase im Roman eines amerikanischen Bestsellerautors, von einer frommen Sekte besiedelt. Sie schreiben über unsern Bombenleger, unsere Geheimdiener, und darüber, dass die Regierung zurücktreten wird. Dass wir aber in unserm Land noch nicht einmal wüssten, wie so etwas geht, Regierungzurücktreten. Unsern Regierungschef verehren sie aber, weil er ein so glühender Europäer ist. Er ist in und für Europa verglüht.

Warum hast du uns denn verlassen, glühender Europäer? Aber er kommt doch bestimmt wieder, oder wie? Wie sonst? Er geht, um wieder zu kommen, dann ist er wieder da, da bei uns. Das wissen doch alle, das wissen wir doch alle. Wir müssen ihn nur ganz lieb darum bitten. Wir müssen ihn nur ganz lieb haben. Der Rumäne ist aufs Dach gestiegen. Der Rumäne ist uns aufs Dach gestiegen. Mirnixdirnix – so einfach geht das aber nicht, Männchen! – ist er in ein Haus gezogen. Er hat es auch schön geputzt und allerhand Nützliches in dem Haus getan, obschon es ihm nicht einmal gehört. Er tauscht nützliche und auch manchmal schöne Dinge gegen andere nützliche oder schöne Dinge, hin und wieder trifft er sich mit Freunden und tauscht sich mit ihnen aus, entwirft Projekte und Konzepte, die er uns geduldig in schönem Englisch erläutert. Für all das braucht er kein Geld.

Ein menschenwürdiges Leben eigentlich. Wenn wir zur Belle Étoile fahren, können wir ihn sehen auf dem Dach. Er winkt uns, und wir winken zurück. Vielleicht wollen wir mit ihm tauschen.

Michèle Thoma
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