Krisensteuern

Wer für die Krise zahlen muss

d'Lëtzebuerger Land vom 10.06.2010

Nachdem die Regierung die Tripartite-Verhandlungen abgebrochen hatte, kündigte sie in der Erklärung zur Lage der Nation am 5. Mai Steuererhöhungen an, mit denen die Staatsfinanzen saniert werden sollen. Diese Steuererhöhungen machen nur einen Teil der Sanierungsmaßnahmen aus, zu denen auch Kürzungen der laufenden Ausgaben und Investitio­nen sowie eine höhere Schuldenaufnahme gehören.

Über den Anteil der Steuer­erhöhun­gen an der Gesamtanstrengung war heftig diskutiert worden. Wäh­rend verschiedene Unter­­neh­mer­organisa­tio­nen und die DP Steuererhöhun­gen ablehnten, drängten Gewerkschaften und LSAP darauf, dass nicht nur gespart wird. Denn mit Steuer­erhöhungen können Bezieher höherer Einkommen stärker belasten werden.

Auffallend an den geplanten Steuererhöhungen ist jedoch, dass sie fast ausschließlich die Erwerbstätigen treffen. Während die Privathaushalte 210 Millionen Euro aufbringen sollen, tragen die Unternehmen über eine Erhöhung der Solidaritätssteuer 12 Millionen bei. Die Unternehmer wiesen während der Tripartite-Verhandlungen darauf hin, dass ihnen in Krisenzeiten keine weitere Belastung zuzumuten sei. Denn sie müssen nächsten Monat eine zusätzliche Index-Tranche sowie zum Jahresende eine Erhöhung des Mindestlohns und der Krankenkassenbeiträge tragen.

Auffallend an den geplanten Steuererhöhungen ist aber auch, dass sie einseitig auf den direkten Steuern fußen. Ganz im Gegenteil zu den Krisenmaßnahmen, die das Parlament in der Stahlkrise am 30. Juni 1983 gestimmt hatte. Damals beschaffte sich der Staat – mit Ausnahme der Solidaritätssteuer zur Speisung des Arbeitslosenfonds – die notwendigen Mittel durch Erhöhungen der indirekten Steuern. Über die Hälfte davon kam aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Der Mehrwertsteuerregelsatz war von zehn auf 12 Prozent heraufgesetzt worden, die reduzierten Sätze um je einen Prozentpunkt auf drei beziehungsweise sechs Prozent.

Daneben hatte die Regierungsmehrheit die Alkoholsteuer um 70 Franken pro Hektoliter erhöht. Die Akzisen wurden auf zwei Prozent und 0,013 Franken pro Zigarette erhöht. Auf dem Benzin wurden die Akzisen um 0,5 Franken und auf dem Diesel um 1,56 Franken je Liter heraufgesetzt. Die Gesprächseinheiten im Inlandstelefonverkehr wurden von drei auf fünf Franken verteuert.

Heute ist eine Erhöhung indirekter Steuern kein Thema, auch wenn die CSV bei den Vorbereitungen zum Haushaltsgesetz Ende vergangenen Jahres kurz eine Mehrwertsteuererhöhung erwogen hatte. Immerhin hatten die Parteien im Wahlkampf und die Koalition in ihrer Regierungserklärung weitgehend auf die üblichen Bekenntnisse zu niedrigen TVA-Sätzen verzichtet, da auf eine EU-weite Mehrwertsteuererhöhung spekuliert wurde, durch die auch die Finanzprobleme in Luxemburg gelindert würden. Eine TVA-Erhöhung hätte aber zu einem Anstieg der Inflationsrate und damit einer Verschärfung des Streits um die automatische Indexanpassung geführt – 1983 hatte das Parlament gleich eine Indexmanipulation mitgestimmt. Diese Bedenken gelten auch für Akzisenerhöhungen, die in der Vergangenheit sehr beliebt waren, um Luxemburger Haushaltsprobleme von Tanktouristen lösen zu lassen. Eine einseitige Mehrwertsteuererhöhung hätte zudem die Einnahmen aus dem elektronischen Handel gefährdet.

Deshalb soll nun eine Krisenabgabe von 0,8 Prozent die größte Summe, 80 Millionen Euro jährlich, einbringen. Sie soll während zwei Jahren, 2011 und 2012, auf allen Gehältern, Renten, Mieten, Dividenden und anderen Einkommensarten von natürlichen Personen erhoben werden. Ausgenommen sind Einkommen bis zur Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Die Krisenabgabe stellt im Grund eine Erhöhung der Abgabe zur Pflegeversicherung von 1,0 auf 1,8 Prozent dar – nur dass es keine Zwecksteuer ist, die für die Pflegeversicherung erhoben wird, sondern sie die Staatskasse speist. Entsprechend dürfte sie auch nicht als Einkommenssteuer angesehen oder als Betriebsausgaben abgesetzt werden können.

Die zweithöchste Steuereinnahme nach der Krisenabgabe, rund 50 Millio­nen Euro, verspricht sich der Staat durch die Halbierung der Kilometerpauschale. Sie trifft die Erwerbstätigen selbstverständlich um so härter, je länger ihr Arbeitsweg ist, das heißt wohl gezielt die Grenzpendler. Ein berufstätiges Ehepaar, das zweimal den doppelten Mindestlohn verdient, was etwa dem Durchschnittsgehalt entspricht, verliert durch die Halbierung der maximal beanspruchbaren Kilometerpauschale 500 Euro jährlich, mehr als durch die anderen Steuererhöhungen zusammen.

Daneben sollen alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen ab den Mindestlohnbeziehern eine Erhöhung der Solidaritätssteuer zu spüren bekommen, die der Speisung des Beschäftigungsfonds dient. Da durch die zunehmende Arbeitslosigkeit der Beschäftigungsfonds dringend zusätzliche Mittel braucht, war die Tripartite weitgehend mit einer Erhöhung der Solidaritätssteuer einverstanden.

Die Solidaritätssteuer soll für „Normalverdiener“ von 2,5 Prozent auf 4 Prozent erhöht werden. Das kostet einen Junggesellen, der den Mindestlohn verdient, weniger als einen Euro im Monat zusätzlich und einen verheirateten Mindestlohnbezieher anderthalb Euro. Auf dem doppelten Mindestlohn von 3 366 Euro zahlt ein Junggeselle 5,9 Euro monatlich mehr, ein Verheirateter 1,6 Euro. Die Steuererhöhungen belasten wegen der stark familienpolitischen Ausrichtung des Einkommenssteuersystems Alleinstehende stärker als Familien.

Um ihrer mehrfach geäußerten Ankündigung nachzukommen, die „breiten Schultern“ stärker zu belasten, will die Regierung einen zweiten Steuersatz bei der Solidaritätssteuer für Gehaltsempfänger und somit erstmals eine Progressivität einführen. Auf besteuerbaren Gehältern von mehr als 300 000 Euro jährlich wird die Solidaritätssteuer um zusätzliche 2,5 Prozentpunkte, von 3,5 auf 6 Prozent, erhöht.

Mit derselben Absicht will die Regierung laut Premier Jean-Cluade Juncker auch einen „neuen Spitzensteuersatz von 39 Prozent“ schaffen, der auf dem versteuerbaren Einkommensteil über 41 793 Euro erhoben werden soll. Dies stellt innerhalb von 20 Jahren die erste Umkehr der Tendenz zur ständigen Senkung des Spitzensteuersatzes und zur Verringerung des Unterschieds zwischen Eingangs- und Spitzensteuersatz dar. 1990 betrug der Spitzensteuersatz noch 56 Prozent und wurde ab 32 752 Euro erhoben, 1992 wurde er auf 50 Prozent gesenkt, 1998 auf 46 Prozent, 2001 auf 42 Prozent und 2002 auf 38 Prozent. Auslöser dieser Entwicklung waren die hohen Steuereinnahmen des Staates aus den Finanzdienstleistungen, das internationale Steuerdumping und der weltweite Sieg einer liberalen Ideologie, die den Staat und seine Umverteilungsfunktion bekämpfte. Der „neue Spitzensteuersatz“ ist also ziemlich alt, da er zwar als außerordentliche Krisenbelastung der höchsten Einkommen dargestellt wird, er ist aber in Wirklichkeit niedriger, als es der normale Satz vor zehn Jahren war.

Im April hatte die Regierung der Tripartite auch noch einen „Super-Spitzensteuersatz“ von 42 Prozent für versteuerbare Jahreseinkommen über 250 000 Euro vorgeschlagen. Das heißt, ein Spitzensteuersatz, wie er noch 2001 allgemeingültig war und der gerade vier Prozentpunkte über dem aktuellen Satz liegt, sollte auf einer Einkommensstufe erhoben werden, die einen gewaltigen Abstand zur gegenwärtigen Höchststufe darstellt. Die Regierung hatte die Idee dieses „Super-Spitzensteuersatzes“ aber rasch wieder zugunsten der höheren Solidaritätssteuer auf Jahreseinkommen von mehr als 300 000 Euro fallen gelassen. Das fällt im internationalen Vergleich weniger auf als eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und ist politisch leichter rückgängig zu machen, wenn die Arbeitslosigkeit und damit der Finanzierungsbedarf des Beschäftigungsfonds sinken.

Romain Hilgert
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