EU-Haushaltspolitik

Vorkontrolle

d'Lëtzebuerger Land vom 13.05.2010

Mitte vergangenen Monats war eine Delegation des Parlaments zwei Tage lang in Brüssel zu Gast bei der Europäischen Kommission gewesen. Das Interesse der Deputierten galt unter anderem der seit längerem diskutierten Frage, wie die Kammer sich frühzeitig über die legislative Arbeit der Euro­päischen Union informieren kann, um nicht, wie bisher, erst ganz am Ende der Nahrungskette fertige Richtlinien zur Ratifizierung vorgelegt zu bekommen. Allerdings könnte dieses lobenswerte Bemühen vielleicht bald von den Ereignissen überholt sein.

Denn die Kommission ist gerade dabei, den Spieß umzudrehen. Nicht das Parlament soll frühzeitig informiert werden, sondern die Kommission will im Voraus die Beschlüsse des Parlaments billigen – zumindest wenn es um den angeblich wichtigsten, das Haushaltsgesetz geht. Denn nachdem die zuerst als mosaisches Gesetz hochgehaltenen Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrags unter Luxemburger Ratsvorsitz und dem Druck der harten wirtschafts- und sozialpolitischen Realität in den größten EU-Staaten gelockert worden waren, sollen sie nun, als Reaktion auf die hohe Verschuldung kleinerer EU-Staaten, wieder verschärft werden. Dies könnte auch hierzulande weitreichende Konsequenzen haben.

„Künftig müssen die Regierungen ihre Haushaltsentwürfe mit der Euro-Zone abstimmen“, fasste der finnische EU-Kommissar Olli Rehn am Mittwoch seine Vorschläge zusammen. „Die EU-Kommission muss die Haushaltsentwürfe prüfen. Die Euro-Gruppe empfiehlt, falls notwendig, Veränderungen. Erst danach sollen die Budgetentwürfe dann in die nationalen Parlamente gehen.“ In dem Kommissionsentwurf heißt das etwas schwerfällig „Ex-Ante-Dimension haushälterischer und wirtschaftlicher Überwachung“.

Zur Umsetzung der „Ex-Ante-Dimension“ wünscht die Kommission auch, die nationalen Haushaltsentwürfe bereits Anfang des Jahres vorgelegt zu bekommen. Hierzulande war erst vor wenigen Jahren das Gegenteil getan worden: Nachdem die Haushaltspolitiker das Platzen der Internet-Blase überhört hatten, beschlossen Regierung und Parlament, den Abschluss des Haushaltsentwurfs vom Sommer in den Herbst zu verlegen und den traditionellen Kredit für späte Änderungsanträge abzuschaffen, um so bis zuletzt auf konjunkturelle Veränderungen reagieren zu können.

Mit der neuen Prozedur will die Kommission verständlicherweise eine stärkere Harmonisierung der Steuer- und Ausgabenpolitik der Euro-Länder erzwingen, um weitere griechische, portugiesische und andere Verschuldungskrisen in der Währungsunion zu vermeiden. Doch die Prozedur würde darauf hinauslaufen, dass das Parlament faktisch von der Europäischen Kommis­sion gesagt bekäme, wie es abzustimmen hätte. Da das Votum über den Staatshaushalt aber historisch das Herzstück des Parlamentarismus ist, käme dies einer Entmachtung der durch allgemeine Wahlen und Souveränitätsrechte legitimierten nationalen Parlamente gleich.

So dass sich die Frage stellt, wie weit eine solche Vorkontrolle überhaupt juristisch zu rechtfertigen und politisch durchzusetzen ist. Und in Zeiten, da sie ohnehin oft als soziale und politische Bedrohung empfunden wird, dürfte der euro­päischen Integration nicht unbedingt damit gedient sein, wenn sie als erneute Zuspitzung des Widerspruchs zwischen Demokratie und Technokratie erscheint. Die Regierung hatte sich schon im Januar vorwerfen lassen müssen, die Aktualisierung des Stabilitätsprogramms zu missbrauchen, um vollendete Tatsachen für die Tripartite schaffen.

Romain Hilgert
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