Kein Geschrei, keine Uniformen, auf dem Deck entwirren sich Taue, Rucksäcke und junge Matrosinnen. Die Offiziere, die hier einst Befehle bellten, wären wohl fassungslos, wenn sie sehen würden, was aus ihrem Kriegsfischkutter geworden ist. Vielleicht wären sie auch beeindruckt? Immerhin ist die Tres Hombres gerade von ihrer neunten Karibik-Fahrt heil nach Amsterdam zurückgekehrt. Und das allein mit Segeln; bloß ihr Schlauch-Beiboot hat für Hafen-Manöver einen kleinen Außenbordmotor.
Im Navigationsraum bereitet Kapitän Jorne Langelaan, ein relaxt-langhaariger Holländer, die Schiffsübergabe vor. Auf dem Kai redet sich derweil seine Ablösung in Rage, Kapitän Andreas Lackner: „Warum ist das ganze Zeug im Laden so billig? Weil niemand die Umweltkosten zahlt! In Rotterdam ist die billigste Tankstelle Europas: Für die Schiffe wird Giftmüll in Schweröl gemischt, verbrennbar gemacht. Außerhalb der 200-Meilen-Zone wird das verfeuert – und in zwei Tagen ist mit dem Wind alles wieder zurück. An Land ist das schon lange verboten, aber auf See sieht das keiner. Das ist so ein Wahnsinn!“
Jorne Langelaan und Arjen van der Veen, zwei Absolventen der Seefahrtschule Enkhuizen, und Andreas Lackner, ein Greenpeace-Aktivist aus der Steiermark, hatten sich im Jahr 2000 als Matrosen auf dem Dreimaster Europa kennengelernt. Um die Seefahrt emissionsfrei zu machen und wieder Frachtsegler zu betreiben, gründeten sie die Stichting Atlantis Zeilende Handelsvaart. Mittlerweile heißt ihr Unternehmen Fairtransport und ist im Museumshafen Willemsoord untergebracht, der ehemaligen Marine-Werft in Den Helder.
Ihr erstes Schiff fanden die drei Seemänner zufällig in Delft: das Wrack eines deutschen Marine-Boots, anno 1943 in Swinemünde gebaut. Zweieinhalb Jahre lang halfen mehr als 200 Freiwillige beim Umbau zum Friedensschiff. Der alte Dieselmotor wurde rausgerissen, der Kiel erneuert. 20 Tonnen Ballast wurden entfernt, Masten aufgerichtet, gut die Hälfte an Stahl und Holz ersetzt. Schiffsbauer und Handwerker wurden zum Teil mit Schiffsanteilen bezahlt.
Im Jahr 2009 ging die Tres Hombres auf Jungfernfahrt. Seither folgt die 32 Meter lange Brigantine den Winden auf traditionellen Handels- und Piraten-Routen über den Atlantik: Mit bis zu zwölf Knoten (etwa 22 Kilometer pro Stunde) segelt sie im Herbst von Europa über die Kanarischen Inseln in die Karibik, bis zum Sommer dann über die Azoren wieder zurück.
Kaum fuhr die Tres Hombres profitabel, rüstete Fairtransport einen zweiten Frachtsegler aus: die Nordlys, 1873 in Yarmouth als Fischerboot ganz aus Holz gebaut. Diese 25 Meter lange Handelsketsch pendelt nun seit 2015 zwischen den Lofoten und dem Mittelmeer, vor allem mit Wein, Ale, Olivenöl und Stockfisch. An Europas Westküste bringt sie wieder etwas Leben in alte Häfen, die für Container-Riesen zu klein geworden sind. Bei Fairtransport wechseln sich jetzt sechs Kapitäne ab.
Wie früher im „Goldenen Zeitalter“ gehören die Frachtensegler jeweils einer eigenständigen Partenreederij. Bei der Tres Hombres S.A. sind von 400 Anteilen à 1 250 Euro noch zehn frei; bei der von Fairtransport vorfinanzierten Nordlys Shipping Company S.A. gibt es von 500 Anteilen à 1 000 Euro noch 140. Registriert sind die Gesellschaften in Panama. Ihre Schiffe sind auf Tracking-Webseiten unter der Flagge von Vanuatu zu finden; ihr „Heimathafen“ ist Port Vila. „Ohne Motor und mit Holzplanken könnten wir ein Frachtschiff in Europa nicht registrieren“, erläutert Andreas. „Bei uns hat auch nicht jeder seine eigene Kabine mit LCD-Schirm. Wir sind auf See mit Mitseglern – das ist eine ganz andere Ideologie.“
Dass auf den Öko-Frachtern etwa gleich viele Frauen wie Männer segeln, findet Andreas „sehr positiv für Benehmen und Atmosphäre“. Gearbeitet wird im schwedischen Wach-System: in 48 Stunden zwei Tagwachen mit sechs und zwei Nachtwachen mit vier Stunden. Außer dem Kapitän gehören zur Crew der Tres Hombres zwei Steuerleute, ein Bootsmann und zwei Matrosen. Schiffsköchin Judith beschreibt ihren Job so: „Essen machen für 15 Leute, während die kleine Kombüse wie bei einem Erdbeben schwankt, die Zutaten durch die Luft fliegen und es weder Kühlschrank noch fließendes Wasser gibt. Und das drei Mal am Tag.“
In Schlafkojen auf dem Vorschiff können sich acht Trainees pferchen. Sie werden nicht nur fürs Segelsetzen gebraucht: Ihr Lehrgeld macht fast ein Drittel der Einnahmen von Fairtransport aus. Diesen Sommer ist ein Schnupper-Tag bei der Überführung der Tres Hombres nach Den Helder zur Überholung für 70 Euro zu haben, zwei Tage mit der Nordlys von Rostock nach Kopenhagen für 150 Euro. Die ganze Atlantik-Tour, acht Monate ab 31. Oktober, kostet 14 280 Euro. Meist heuern Backpacker-Naturen an, manchmal erfüllt sich aber auch ein Rentner Jugendträume. Es gibt keine Altersgrenze, Vorkenntnisse sind nicht nötig, Bedingung ist jedoch körperliche und geistige Fitness.
Beate hat sich die Fahrt ab der Dominikanischen Republik geleistet. Sie begeistert von der „Freundlichkeit“ und der „Engelsgeduld“ der Crew: „Die steigen in der Nacht bei strömendem Regen und Windstärke fünf auf den wild schwankenden, 22 Meter hohen Mast – und erklären uns herumtapsenden Neulingen, was zu tun ist.“ Bei 13 Segeln mit jeweils drei bis sechs Leinen sind allein für die Segel rund 70 Begriffe zu lernen. Der Trip ohne Komfort und Privatsphäre sei „schon sehr extrem“. Nicht nur für den Anker gibt es keine elektrische Winde: „Beim Laden von Hand kommst du an deine Grenzen, selbst mit starken Leuten.“ Zum Glück sitzt der Hauptkunde direkt am Hafen in Amsterdam: Die Fabrik Chocolatemakers belohnt bei der jährlichen Auslade-Party die Helfer für jeden 70-Kilo-Sack Kakaobohnen mit einem Schokoriegel oder einem Glas Rum.
In den Bauch der Tres Hombres passt so viel Ladung wie in einen großen Container:
40 Tonnen, rund 20 Euro-Paletten. „Am Anfang wollte unserem alten Holzboot niemand Fracht geben“, berichtet Andreas. „Also haben wir auf eigene Rechnung eingekauft. Vor allem Luxusgüter, die nicht so eilig sind. Rum wird sogar besser, wenn er im Eichenfass herumschippert.“ Mittlerweile wird die Rum-Eigenmarke in ganz Mitteleuropa von mehr als 100 Verkaufsstellen vertrieben. In Amsterdam soll Fairtransport einen dauerhaften Landeplatz bekommen: bei der ehemaligen NDSM-Werft, heute ein quirliges Kreativ-Viertel. „In einer alten Fähre machen wir einen Zero-Waste-Shop auf und eine Rösterei für unseren Kaffee aus Kolumbien“, kündigt Andreas an. „Das wird das Kap der Grünen Hoffnung.“ Nebenan ist das Forschungszentrum von Shell.
Jorne zeichnet noch größere Pläne: „Nächstes Jahr wollen wir den Bau eines neuen Frachtschiffs anfangen. Ein Clipper – das war um 1870 die höchste und schnellste Stufe des Segelschiffbaus.“ Die Kabinen werden bequem, verspricht Jorne, denn außer 14 Crew-Mitgliedern und 24 Trainees sollen auch zwölf Passagiere mitsegeln können. Zwei Mal so lang wie die Tres Hombres soll der Dreimaster werden, aber zehn Mal so viel laden können. „500 Tonnen ist für uns das Maximum. Darüber gibt es andere internationale Vorschriften. Mehr Bioware wäre auch schwer in einem Hafen zu bekommen – wir wären auf Monokulturen angewiesen. Wir wollen aber mit Bio und Fair-
trade weiter wachsen.“