„Auspacken, Aufstellen und Einstecken“, wirbt die Wiener Firma Oekostrom: „So einfach kann ein Kraftwerk sein.“ Die Mini-Photovoltaik-Anlage „Simon“ sei eine Lösung für Menschen, die selbst Strom produzieren wollen, aber statt einer großen Dachfläche nur einen Balkon oder eine Terrasse haben: „Mit einer Spitzenleistung von 150 Watt gewinnt Simon genug Strom, um ein Mittagessen für zwei Personen zu kochen.“ Oder um ein Jahr lang die Waschmaschine zu betreiben.
Mittlerweile gibt es in Europa rund zwei Dutzend Anbieter von Mini-Solaranlagen. Ein oder zwei kleine Solarmodule, in der Regel aus China oder Deutschland, werden dabei mit einem eingebauten Wechselrichter kombiniert, der den Gleichstrom des Panels umwandelt in Wechselstrom, wie er für Haushaltsgeräte gebraucht wird. Mit einem gewöhnlichen Schuko-Stecker wird das Heimkraftwerk an eine Steckdose der Wohnung angeschlossen – in der Folge muss weniger Strom gekauft werden, der Zähler dreht sich langsamer. Die meisten Modelle funktionieren nicht ohne Netzanschluss, nützen also nichts bei Stromausfall; es gibt aber auch Systeme mit Stromspeicher. Die einfachsten Stecker-Solar-Geräte sind ab 300 Euro zu haben; die meisten Sets kosten samt Haltern, Kabeln und Versand um die 600 Euro.
Kaufen und auspacken darf man Mini-Solaranlagen überall. Das Einstecken und Anschließen aber ist von Ort zu Ort höchst unterschiedlich geregelt. In Portugal etwa kann man ohne Anmeldung oder andere Umtriebe einstöpseln, was man will – sofern das CE-Zeichen darauf ist und die Spitzenleistung nicht 200 Wp überschreitet. Wer mehr Platz hat, wird sich wahrscheinlich ohnehin eine große Solar-Dachanlage zulegen, für die es eine Einspeisevergütung gibt.
In der Schweiz wollten die Behörden kleine Balkon-Kraftwerke zunächst kurzerhand verbieten. Dann fand das Starkstrom-Inspektorat ESTI aber, der Internet-Handel könne nicht verhindert werden. Um „Wildwuchs“ zu vermeiden, wurden deshalb vereinfachte Vorschriften für Plug-In-Solaranlagen erlassen: Bis zur Bagatellgrenze von 600 Wp müssen sich Schweizer Solarstrom-Produzenten lediglich einen Personenschutz-Stecker aus dem Baumarkt besorgen. Allerdings wird ihnen ausdrücklich nahegelegt, auf Sicherheit zu achten und nicht etwa mehrere Module und Steckerleisten zusammenzubasteln.
Die österreichische Regulierungsbehörde E-Control beauftragte das Freiburger Fraunhofer-Institut ISE mit einer Studie zu Kleinst-PV-Anlagen. Darin ist zu lesen, dass in den Niederlanden seit 1995 schätzungsweise 200 000 Heim-Solaranlagen mit Leistungen bis 500 Wp installiert worden seien – ohne dass man etwas von „sicherheitsrelevanten Zwischenfällen“ gehört habe. Bei einer vergleichbaren Marktdurchdringung in Österreich könnten Balkon-Kraftwerke 0,2 bis 3 Prozent der Elektrizität liefern, was die etablierten Strom-Konzerne vielleicht 4 Millionen Euro ihres Umsatzes von derzeit 2,4 Milliarden Euro kosten würde. Darauf führte im vergangenen Jahr auch Österreich eine Bagatellgrenze von 600 Wp ein: Ein Haushalt darf nun bis zu vier „Simons“ anschließen. Die Netzbetreiber, die informiert werden müssen, können den Einbau von Stromzählern mit Rücklaufhemmung verlangen.
Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen PV-Kleinanlagen für den Eigenbedarf auch in Luxemburg betrieben werden können, wollen
Enovos, Creos und Luxemburg Energy Office bislang nicht beantworten. Hoffen sie vielleicht, von Gadgets für Strom-Prosumer verschont zu bleiben? Grundsätzlich dürfen aber elektrische Geräte mit der Zulassung eines EU-Staates in ganz Europa verkauft werden, also zum Beispiel „Simon“ aus Österreich oder das holländische „Plug-In-Zonnepaneel Zo Simpel“. Für Anschluss und Inbetriebnahme sind jedoch örtliche Vorschriften zu beachten, etwa Meldepflichten oder Vorgaben zu bestimmten Steckern und Leitungsquerschnitten.
In Deutschland wird die Zahl der Mini-Solaranlagen bereits auf 20 000 geschätzt. Da es dafür noch keine spezifischen Normen gibt, bewegt sich „Guerilla-Photovoltaik“ in einer rechtlichen Grauzone, und Versicherungen können die Übernahme von Schäden verweigern.
Deutsche Netzbetreiber verschrecken Mini-PV-Interessenten mit einschüchternden Briefen. Sie verweisen auf alte Vorschriften für große Dach-Solaranlagen, die allerdings nicht bloß ein paar hundert Watt, sondern mehrere Kilowattstunden Spitzenleistung bringen sollen: separater Stromkreis, besonders gesicherte Industrie-Stecker, Installation nur durch anerkannte Fachleute. Die Verbände VDE und BDEW warnten im Jahr 2013 vor „erheblichen gesundheitlichen und technischen Risiken“ von Plug-In-Anlagen: Es drohten Stromschläge, Überlastung der Leitungen und Brände. Die Zeitung Welt barmte gar: „Das eigene Mini-Solarkraftwerk kann tödlich sein.“ Das kann ein Staubsauger allerdings auch.
Wegen möglicher Gefahren untersagte die RWE-Tochter Westnetz, der größte deutsche Verteilnetz-Betreiber, einer Kundin den Anschluss eines „Simon“. Darauf unterstützte Greenpeace-Energy ein Missbrauchsverfahren vor der Bundesnetzagentur, in dem die Kundin Recht erhielt und ihr Modul anschließend in Betrieb nehmen konnte. Die von der gleichnamigen Umweltorganisation gegründete Ökoenergie-Genossenschaft hatte vor zwei Jahren das Crowdfunding für die Serienproduktion von „Simon“ begleitet und promotet jetzt den Verkauf.
„Wir sind sicher, dass Simon in einem ordnungsgemäßen Hausnetz rundum sicher ist“, sagt Michael Friedrich, der Pressesprecher von Greenpeace Energy: „Damit bekommen Millionen Mieter endlich die Chance, selbst sauberen Strom zu erzeugen. Selbst energetisch optimierte Haushalte können ihren Strombezug so noch um bis zu fünf Prozent senken.“ Bei massenhafter Verbreitung könnten Balkon-Solaranlagen einen sinnvollen und spürbaren Beitrag zur dezentralen Energiewende leisten. Mit elektrischen Einrichtungen auf dem technischen Stand von zumindest Mitte der 1960er-Jahre drohe keine Gefahr: „Problematisch wären höchstens unsanierte Altbauten mit textilummantelten Kabeln – die es aber nicht mehr geben sollte.“ Greenpeace-Energy hat „Simon“ auch auf dem eigenen Bürodach in Betrieb, ohne Zustimmung von Stromnetz Hamburg – weshalb Ökostromer und Netzbetreiber dazu gerade ein Verfahren vor dem Landgericht Hamburg führen.
Westnetz musste gegenüber der deutschen Bundesnetzagentur einräumen, dass Mini-Solaranlagen keine störenden Rückwirkungen auf das Versorgungsnetz haben – und dass die Netzbetreiber für das Hausnetz jenseits des Stromzählers gar nicht zuständig sind. Im März 2017 schrieb Westnetz einem Kunden in Trier, der Anschluss eines „Simons“ sei grundsätzlich möglich, bis 300 Wp verzichte man sogar auf die Installation eines Stromzählers mit Rücklaufsperre. Die norddeutsche Firma GP-Joule, die eigene Do-It-Yourself-Solaranlagen vertreibt, jubelte: „Jetzt endlich legal!“
Noch sind aber nicht alle Hürden genommen. In einem Arbeitskreis der Deutschen Kommission Elektrotechnik ringen derzeit Komponentenhersteller, Netzbetreiber, Versicherungen, Elektrohandwerk, Lobbyisten und Wissenschaftler um die Anforderungen für „eigenständige Niederspannungsstromerzeugungseinrichtungen“. Seit Mai wurden über 300 Eingaben bearbeitet. Nach einem Schlichtungsverfahren soll nun im September die Vornorm zu „DIN VDE 0100-551“ veröffentlicht werden, die voraussichtlich auch entsprechende EU-Normen stark beeinflussen wird. Davon hängt ab, ob steckerfertige Solarmodule den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ entsprechen oder in einer Schmuddelecke für heimwerkende Strom-Piraten bleiben.
Sobald es eine VDE-Norm für Mini-Solaranlagen gibt, werden Stromkonzerne und Netzbetreiber wohl in ganz Europa keinen technischen Vorwand mehr finden, Heimkraftwerke zu verhindern. Als letzte Abwehr bleiben dann nur noch Hausverwaltungen und die lieben Nachbarn. Eingespielte Neid- und Hassgemeinschaften, die sich in Wohnblöcken traditionell zu Themen der Fassadengestaltung zusammenfinden, etwa Satellitenschüsseln, Blumenkästen oder Markisen, bekommen bald ein neues Anliegen: „Die Schmits haben Solarzellen am Balkon – was sagt die Hausordnung dazu?!“