Ehe Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) vergangenen Freitag in Sachen Weltraumtechnologien und Asteroidenbergbau nach Tokio aufbrach, überbrachte er der Luxemburger Öffentlichkeit am Tag vorher noch eine frohe Kunde, die weniger nach Sciencefiction klang: Die Selbstversorgung mit Strom werde demnächst möglich und das „Energie-Internet“ entwickelt. Dazu habe der Regierungsrat am 21. Februar einen Gesetzentwurf angenommen.
Allerdings teilte Etienne Schneider nur die wichtigsten Punkte der Neuerung mit: Dass der „Selbstversorger“ definiert werde und „Energie-Gemeinschaften“ auch. Die entsprächen dem, was sich der US-amerikanische Ökonom und Welterklärer Jeremy Rifkin in seinem vor anderthalb Jahren veröffentlichten Bericht über die „dritte Industrielle Revolution“ als Akteure einer „Sharing Economy“ in Luxemburg vorstellt. Dass auf Selbstversorgung und Sharing von Strom keine Steuern erhoben werden sollen, sagte Etienne Schneider auch. Viel mehr sagte er nicht – um alles nicht unnötig kompliziert zu machen, erklärt das Ministerium im Nachhinein. Hinzu kommt, dass noch nicht alle Bedingungen, unter denen Selbstversorgung und Sharing stattfinden sollen, klar sind. Und: Der Ansatz lautet, Schritt für Schritt vorzugehen.
Man kann das für erstaunlich halten, wenn man bedenkt, dass Jeremy Rifkin bei seinem Vortrag im November 2016 meinte, die „dritte Industrielle Revolution“, angetrieben durch Digitalisierung und Vernetzung, stehe nicht vor der Tür, sondern habe schon begonnen. Der Strom-Gesetzentwurf ist der erste konkrete legislative Schritt aus dem „Rifkin-Prozess“. Und nun soll alles Zeit haben?
Es soll, weil das Wirtschaftsministerium sich Selbstversorgung und Sharing „volkswirtschaftlich“ vorstellt und nicht will, dass es den klassischen Stromversorgern zu schnell an den Kragen geht. Zweitens soll vermieden werden, dass dadurch die Stromnetze destabilisiert und ihre Finanzierung gefährdet werden könnte. Drittens soll nicht behauptet werden können, durch Selbstversorgung und Sharing würden manche gegenüber anderen bevorteilt. Viertens schließlich können die Neuerungen erst zu funktionieren beginnen, wenn landesweit „intelligente Stromzähler“ (Smart Meters) eingebaut sind. Der Einbau läuft, 107 000 Zähler sind installiert. Weitere 150 000 sollen bis 2020 folgen, die Aktion dann abgeschlossen sein.
Streng genommen, ist Selbstversorgung mit Strom bereits möglich. Die geltenden Regeln verlangen aber, dass ein Selbstversorger autark würde und sich aus dem Stromnetz ausklinkt. Das wäre riskant: Mit zum Beispiel einer Solarstromanlage autark sein zu wollen, würde voraussetzen, für die Nächte und sonnenarme Tage über einen Puffer zu verfügen, der groß genug wäre. Akkus zur Stromspeicherung aber sind teuer und werden vom Staat nicht bezuschusst. Weshalb Eurosolar Luxemburg schätzt, eine autarke Solarstromversorgung für einen Vierpersonenhaushalt würde 30 000 bis 50 000 Euro kosten und müsste 40 Jahre in Betrieb sein, um die Investition über eingesparte Ausgaben für Strom vom Versorger zu amortisieren. In der Regel aber hält eine Solaranlage nur 30 Jahre durch.
Hinzu kommt, dass es finanziell lukrativer ist, am Netz zu bleiben und den produzierten grünen Strom an den Netzbetreiber zu verkaufen. Jedenfalls in den 15 Jahren nach Inbetriebnahme einer neuen Anlage, in denen ein Einspeisetarif garantiert ist, der ein Vielfaches über dem Marktpreis liegt. Höher als die Haushalts-Strompreise liegen die garantierten Tarife auch. Damit ist Selbstversorgung nur etwas für Leute mit zu viel Geld.
Durch die Änderung am Stromgesetz soll das künftig nicht mehr so sein. Selbstversorgung soll nicht mehr heißen, vom Netz gehen zu müssen, so dass dieses als Backup für sonnenarme Zeiten genutzt werden könnte. Oder für windarme Zeiten: Für Kleinwindanlagen, die man sich in den Garten stellen kann, sollen die neuen Regeln ebenfalls gelten, und überhaupt für jegliche Nutzung erneuerbarer Quellen.
Vor allem aber sollen die Anlagenbetreiber entscheiden können, welchen Anteil ihrer Eigenproduktion sie selber nutzen und welchen sie an den Netzbetreiber verkaufen. Für den letzteren Fall wären wie bisher 15 Jahre Einspeisevergünstigung garantiert.
Was sich daraus vor allem ergibt, ist Flexibilität: Jeder wird entscheiden können, was er will. Aber eigentlich hätten private Produzenten grünen Stroms, die wirtschaftlich denken, auch weiterhin Grund, ihren Eigenbedarf komplett von einem Stromversorger zu beziehen und die gesamte Eigenproduktion zum vergünstigten Tarif ins Netz zu geben. Es sei denn, die Preise für die Anlagen fallen noch weiter, und vor allem die für Akkus auch. Akkus zu bezuschussen, ist mit dem Gesetzentwurf nicht geplant. In den Augen des Wirtschaftsministeriums wäre das nicht „netzdienlich“. Bei der Selbstversorgung, die die Regierung sich vorstellt, blieben möglichst viele im Stromnetz.
Grund dafür ist, dass Energienetze eine Art Service public darstellen. Netzbetreiber müssen dafür sorgen, dass unter allen Umständen genug Strom (oder Gas im Falle von Gasnetzen) im Netz verfügbar ist, um auch Nachfragespitzen decken zu können. Speichert jemand privat Strom, hilft das dem Netz nicht.
Eine weitere Überlegung ist gerechtigkeitspolitisch: Jeder Stromverbraucher trägt Netzkosten. Sie sind in Luxemburg ziemlich hoch, auch der Gehälter der bei den Netzbetreibern Beschäftigten wegen. Die Netzkosten sind an die aus dem Netz bezogene Strommenge gekoppelt, bei Haushaltskunden machen sie 40 Prozent vom Gesamt-Strompreis aus. Würden Selbstversorger nur für den Teil des Stroms, den sie aus dem Netz beziehen, Gebühren entrichten, könnte das Stromverbraucher benachteiligen, die sich keine eigene Stromproduktion leisten können, so die Überlegung. Ebenso die, deren Anwesen ungünstig liegt und wenig Sonne abbekommt. Oder Leute, die im „geschützten Sektor“ ihrer Gemeinde wohnen, wo Solaranlagen auf Hausdächern nicht erlaubt sind.
Wer ganz aus dem Netz ginge, weil ein staatlich bezuschusster Akku es erlaubt, würde noch stärker bevorteilt, geht die Überlegung weiter, denn die Nicht-Selbstversorger würden mit ihren Steuergeldern die Akku-Beihilfe mitfinanzieren. Auch deshalb will die Regierung, dass möglichst alle am Netz bleiben. Und die Regulierungsbehörde ILR arbeitet an einem Modell, bei dem die Netzgebühren nicht mehr allein an die Strommenge gekoppelt wären. Das ist eines der Details zur Stromzukunft, die noch nicht feststehen.
Wie unter diesen Bedingungen von einer „Sharing Economy“ gesprochen werden könnte, ist eine spannende Frage. Der Gesetzentwurf beantwortet sie mit den „Energie-Gemeinschaften“. Zu ihnen könnten Stromproduzenten sich zusammentun. Die Gemeinschaften stellt die Regierung sich als „Prosumers“ im Sinne Jeremy Rifkins vor.
Gemeint soll damit aber nicht sein, dass eine Energie-Gemeinschaft ihre Produktion zusammenlegt und Strom, den ihre Mitglieder selber nicht brauchen, verkauft. Wer mit Strom Handel treiben will, benötigt auch in Zukunft eine Energieversorger-Konzession vom Staat. Vielmehr sollen die Gemeinschaften Strom teilen, „sharen“. Das neue Gesetz soll dazu zum einen „lokale“ Energie-Gemeinschaften definieren, zum anderen „virtuelle“. Lokal zusammenschließen könnten Teilnehmer sich in einer Ortschaft oder in einem Stadtviertel; technisch gesehen, immer hinter einem Trafo, der Mittelspannung auf Niederspannung umsetzt. Die Teilnehmer an einer virtuellen Gemeinschaft hingegen könnten an beliebigen Orten im Land wohnen. Das würde am ehesten dem von Rifkin propagierten „Energie-Internet“ gerecht.
Funktionieren sollen die lokalen wie die virtuellen Energie-Gemeinschaften so, dass die Teilnehmer einerseits einen Vertrag unter sich abschließen, andererseits mit einem externen Stromversorger. Unter sich würden die Gemeinschaftsmitglieder abmachen, wer wie viel von seinem selbst produzierten Strom auch selber verbraucht und welcher Anteil in der Gemeinschaft geteilt würde. Bleibt ein Restbedarf, würde er vom Stromversorger bezogen. Doch weil nicht jedes Gemeinschaftsmitglied für sich aufträte, sondern die Gemeinschaft, könnte sie, so sieht es das Wirtschaftsministerium, „ihren Strombezug vom Versorger optimieren“. Soll heißen: Will die Gemeinschaft für zugekauften Strom weniger zahlen, müssten die Mitglieder sich einigen, untereinander von der Eigenproduktion mehr zu teilen.
Es ist nicht gerade eine Revolution, die das Wirtschaftsministerium auslösen will, aber ein Vorstoß in eine neue Richtung. Ein regulatorischer Rahmen entsteht, und in diesem Rahmen würden die Vorteile für Eigenverbrauch und Sharing umso größer, je kleiner der Investitionsaufwand für die Anlagen wird. Die Regierung setzt auf die „Zeitschiene“. Ob der regulatorische Rahmen angepasst werden müsste, soll sich ebenfalls mit der Zeit klären.
Im Moment enthält der Rahmen im Gesetzentwurf einen Schutz der etablierten Stromversorger. Dass sie durch Selbstversorgung und Sharing zu schnell überflüssig werden könnten, soll vermieden werden. Das Signal an sie lautet: Gebt Acht und passt euch an. Das ist die „volkswirtschaftliche“ Sicht auf das neue Szenario – die Rollenverteilung zwischen Selbstversorgern, Sharing und klassischen Lieferanten soll sich nach und nach ergeben. Was auch daran liegt, dass „intelligente Netze“, in denen die Rolle „dezentraler“ Produzenten potenziell groß wäre und die der klassischen Versorger kleiner, noch Zukunftsmusik sind. Ihre Verknüpfung mit „intelligenten Häusern“ und „nachhaltigen Quartiers“ ist es auch, aber vielleicht nicht mehr lange: Ob lokale Energie-Gemeinschaften einen Rabatt auf ihre Netzgebühren erhalten können, wenn sie „netzdienliche Ausrüstungen“ betreiben, die dem Netz lokal nützen, wird im Wirtschaftsministerium schon diskutiert. Noch aber steht nicht fest, was als „netzdienlich“ gelten soll.
Eine wichtige Botschaft enthält der Gesetzentwurf an die Adresse von Selbstversorgern mit Elektro-Auto: In Selbstversorgung und Sharing wäre das Aufladen von Elektro-Autos inbegriffen. Das ist von Belang, weil für selbstverbrauchten Strom und beim Sharing in Gemeinschaften keine Stromtaxe erhoben werden soll. Die Taxe ist momentan zwar niedrig und liegt nur bei einem Zehntel Cent pro Kilowattstunde. Doch wer als Besitzer einer Solaranlage derzeit gezwungen ist, seine gesamte Produktion ins Netz einzuspeisen und zu verkaufen, um sich im Gegenzug von einem Stromversorger beliefern zu lassen, zahlt Stromsteuer beim Aufladen daheim von Tesla, Zoé und wie die Elektromobile alle heißen. Künftig entfiele das und würde die Besitzer solcher Autos, wenn sie auch eigenen Strom erzeugen, ein Stück besser stellen gegenüber Besitzern von Diesel- und Benzinfahrzeugen. Die Rifkin-Arbeitsgruppe „Energie“ und die Regierung haben darüber lange diskutiert. Und sich auf die Antwort geeinigt, man könne die Sonne nicht besteuern.