Heimatliebe

Bürostuhlrennrekordmann

d'Lëtzebuerger Land du 28.04.2011

Heute loben wir die wahre Heimatliebe. Ein Luxemburger hat die deutsche Meisterschaft im Bürostuhlrennen gewonnen. Halt! Jetzt keine überflüssigen Fragen! Es ist völlig unerheblich, um welche Sportdisziplin es hier eigentlich geht. Warum sollte ein junger, dynamischer Mensch nicht das Recht haben, sich martialisch verkleidet auf einen Bürostuhl zu setzen und auf abschüssiger Bahn 200 Meter weit nur einen einzigen Gedanken zu verfolgen: Noch ein paar Sekunden, und die gesamte deutsche Corona wird schrecklich alt aussehen!

Denn genau hier liegt die historische Bedeutung seiner Bürostuhlsensa-tion. Der frühere SPD-Minister Steinbrück wollte die Kavallerie gegen unsere Heimat aufmarschieren lassen. Eine typisch deutsche Absicht, nicht wahr, immer gleich mit den Waffen rasseln, immer gleich mit dem militärischen Überfall drohen. Der auftrumpfende Goliath war noch nie wählerisch, wenn es darum ging, andere von seiner Überlegenheit zu überzeugen. Jetzt haben wir einen einzigen Bürostuhl in die Schlacht geschickt und Deutschland besiegt. Ausgerechnet das Mutterland der Bürokratie haben wir völlig gewaltfrei niedergekämpft. Es gibt also eine Gerechtigkeit in Europa.

Wir sollten es dem rollenden Heimatretter danken und endlich unsere schäbige Roude Léiw-Farce beenden. Auf unser Wappen gehört ein Bürostuhl und nicht ein Zirkustier mit knallfarbenem Fell. Im Ernst: wir sind das leistungsfreudigste Einwanderungsland für Bürostühle. Überall sprießen gigantische Büroräume aus dem Boden. Alle Bürostühle der Welt haben prinzipiell die Aussicht, im Großherzogtum einen fruchtbaren Asylantrag zu stellen. Im Umgang mit Bürostühlen sind wir weder kleinkariert, noch nationalistisch borniert. Wir fragen nicht nach Farbe und nicht nach Format. In Luxemburg gibt es längst mehr Bürostühle als Einwohner.

Dem kreativen Umgang mit Bürostühlen sind übrigens keine Grenzen gesetzt. Das hat unser verdienstvoller Bürostuhlrennmeister eindrucksvoll bewiesen. Seine Idee, den Bürostuhl straßenverkehrstauglich zu machen, ist ausbaufähig. Alle Bürostuhlbenutzer könnten ihre Privatautos locker verschrotten. Man kann nämlich auch mit dem Bürostuhl zur Arbeit rasen. Technisch dürfte es kein Problem sein, den Bürostuhl ein bisschen umzurüsten und zum Beispiel mit einem unverwüstlichen Fünf-Gang-Schaltgetriebe ausstatten. Selbst ein komplett motorisierter Bürostuhl pustet immer noch weit weniger Schadstoffe in die Atmosphäre als das allerkleinste Auto. Auch über die Sicherheit der Bürostühle müssen wir uns nicht streiten. Der Bürostuhl hat fünf Räder und ist somit allen vierräderigen Fortbewegungsmitteln weit überlegen. Den Elchtest muss er nicht fürchten.

Die Bürokratie, also der Stammplatz der Bürostühle, macht neuerdings auch in Luxemburg gewaltige Fortschritte. Im Nachhaltigkeitsministerium auf Kirchberg wurden alle Lichtschalter abgeschafft (Achtung, keine Satire!). Die revolutionäre Philosophie der Beamtenbeleuchtung lautet: Das Licht schaltet sich automatisch ein, wenn sich der Beamte bewegt. Die cleveren Bürokratieplaner haben hier die Lichtquelle quasi als Bewegungsmelder angelegt. Skeptische Beamte haben das Konzept getestet: es klappt. Fünf Minuten gezielte Reglosigkeit, und alle Lichter gehen aus.

Irgendwie ist das System aber nicht ganz gerecht. Der Bürokrat zeichnet sich ja nicht durch spektakuläre physische Aktivitäten aus. Er hampelt nicht rum, er fuchtelt nicht mit den Armen, er springt nicht hyperaktiv von einem Ordnerschrank zum nächsten, sondern: er denkt. Das Denken ist immer eine bewegungstechnisch sehr diskrete Angelegenheit. Wer denkt, muss still und ruhig sitzen. Der Bürokrat im Nachhaltigkeitsministerium riskiert also, dass seine Arbeitsstätte ständig in tiefes Dunkel getaucht ist. Warum wird die Lichtregulierung denn nicht so geplant, dass vor allem auch das heftige Vibrieren der Hirnwindungen erfasst wird? Im Kopf des Bürokraten brummt und stürmt es, aber das Licht bleibt aus. Hier muss unbedingt nachgebessert werden.

Wobei wir nicht unterschlagen möchten, dass leistungsstarke Bürokraten gar nicht auf Lichtquellen angewiesen sind. Die Beamten im Unterrichtsministerium etwa sind locker in der Lage, sich beim Arbeiten vollends von ihrer Außenwelt und allem technischen Brimborium abzuschotten. Die Texte, die sie ausbrüten, zum Beispiel die rezente Circulaire ministérielle aux administrations communales, sind in einem Stil geschrieben, der nie auch nur das geringste Fünkchen Licht genossen hat. Diese Bürokraten schaffen es, in völliger Finsternis zu arbeiten. Wir sollten sie belohnen für die dauerhafte Energieersparnis, die sie dem Staat bescheren.

Aber solche Spitzenfunktionäre bleiben die Ausnahme. Für alle anderen Bürokraten gilt: Die Lampe leuchtet, wenn du dich bewegst. Wie wird der Bürokrat denn zum Athleten? Unser Vorschlag: Wenigstens der Bürostuhl sollte sich alle fünf Minuten kurz regen. Ein kleiner Zusatzmotor genügt. Der Bürostuhl ruckelt automatisch, und es wird hell.

Guy Rewenig
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