Heute loben wir die Lesekultur. Eigentlich könnte die Suche nach geeigneten „Maisons de la Laïcité“ längst beendet sein. Die öffentlichen Bibliotheken erfüllen nämlich alle Voraussetzungen, die eine von religiöser Bevormundung befreite Wissensvermittlung erfordert. Das luxemburgische Bibliothekennetz wäre ein ideales Gegengewicht zum klerikalen Wahrheitsreservat. Wo immer eine Bibliothek neueröffnet wird – wie jetzt eben das Bücherhaus Tony Bourg in Ulflingen-, werden die Grundlagen freien Denkens verstärkt. Schön wär’s. Wer’s glaubt, wird nicht selig.
In Ulflingen geistert nämlich ein Bischof durch die Bibliothek. Führen wir uns mal kurz zu Gemüt, was das Luxemburger Wort unter dem Titel „Im Bücherregal des Bischofs“ über die neue öffentliche Bibliothek zu melden hat: im Beisein zahlreicher Ehrengäste „überreichte Pfarrer Michel Meyer der Bibliothek ‚Tony Bourg‘ anschließend mit dem bislang in der Ulflinger Kirche aufbewahrten Bischofsring von Mgr. Adames ein ganz besonderes Einstandsgeschenk, ehe er das Haus und all seine Besucher dem Segen Gottes anvertraute.“ Wir lernen also: weil die Bibliothek im Geburtshaus eines ehemaligen Bischofs untergebracht ist, glauben die klerikalen Herrschaften, sie dürften in den neuen Räumlichkeiten ungehindert ihren alten Zauber verankern.
Soweit wir wissen, ist in Ulflingen keine Pfarrbibliothek eingeweiht worden. Also eine jener streng kontrollierten Stätten, wo die Besucher nur Lesefutter vorfinden, das zuvor die pfäffische Zensur überstanden hat. Uns will daher nicht einleuchten, was zum Teufel ein Bischofsring in einer öffentlichen Bibliothek verloren hat. Kann man das Ding etwa als Lesezeichen verwenden? Oder geht es hier um eine versteckte Anspielung auf die wuchernde Fantasy-Literatur? „Episcopus – der schwarze Ritter im Ardennerwald“? Nein, diese Möglichkeit müssen wir ausschließen. Denn der Vatikan bekämpft sogar Joanne K. Rowlings Harry Potter-Saga, wegen „Verführung Jugendlicher zum Irrglauben“. Es kann sich daher eigentlich nur um eine Spielanleitung für die Kleinen aus der Maison Relais handeln: Hey kids, wir suchen den Bischofsring, wer ihn findet, darf ein ganzes Jahr lang gratis die Bibliothek besuchen! Vielleicht wird der Vorstoß des Pfarrers ja noch ausgebaut. Wie wäre es – ganz im Stil von Madame Tussaud’s – mit einer mannshohen Adames-Puppe, die den vorsorglich gesegneten Besuchern des Hauses putzmunter den Ringfinger entgegenstreckt?
In klerikalen Kreisen wird mit den Bibliotheken offenbar immer noch Schindluder getrieben. Vor kurzem hat die Kulturministerin ein neues Bibliothekengesetz durchgeboxt, das keiner will, keiner einsieht und keiner nachvollziehen kann. Es treibt die Bibliothekare landesweit auf die Palme, weil es ihre Arbeit nicht nur unnötig erschwert, sondern fast schon sabotiert. Trotzdem traut sich die Ministerin ganz selbstverständlich zur Einweihungsfeier in Ulflingen und plappert ihre legendären Nichtigkeitssätze: sie hob „vor allem die Rolle der Landbibliotheken als Orte der sozialen Kohäsion, der Fortbildung und des dezentralen Kulturangebots hervor.“ Große Klappe, kann man da nur sagen. Leider folgen dem farbigen Geschwätz einmal mehr keine Taten.
Auch der Agrarminister Schneider ließ einen wohlfeilen Satz vom Stapel. Er betonte „die Bedeutung der Bi-bliothek Tony Bourg für die Stärkung des ländlichen Raums.“ Ist denn hier ein hypermoderner Stall für Ardennerpferde eingerichtet worden?
Das Beste am bischöflich aufgemotzten Wort-Bericht über die neue Bibliothek ist ein verräterisches Foto. Auf diesem Bild sieht man drei Würdenträger, darunter die Minister Modert und Schneider, wie sie brav der Aufforderung des Fotografen folgen: „Greift euch doch einfach mal irgendein Buch aus dem Bücherregal des Bischofs, klappt es auf und schaut rein, das wird ein tolles Foto.“ Genau so treiben’s dann die Herrschaften. Sie tun ergeben, was sie am allerbesten können: vortäuschen. Ihren Mienen sieht man an, dass ihnen nicht ganz geheuer ist bei ihrem Simulantenspielchen. Huch! Ein Buch, das unbekannte Wesen! Macht nichts, das Foto ist tatsächlich umwerfend gut. Unter dem Bild steht: „Liebe Leser, wir halten euch für ausgeprochen blöd, denn eure Blödheit ist unsere Geschäftsgrundlage.“ Nein, das war jetzt ein kleiner Scherz. Richtig lesen wir: „Lesegenuss für jeden Geschmack“.
Wir möchten es nicht versäumen, endlich auch ein paar Worte zur neuen Bibliothek Tony Bourg zu sagen. Die Renovierung des vorher baufälligen Hauses ist prachtvoll gelungen. Unter uns Laizisten gesagt: es ist ein Juwel geworden. Nur möchten wir in diesen atmosphärisch stimmigen Räumen nicht von Bischofsgespenstern belästigt werden. Schließlich wurde hier kein maroder Kirchenfürstenpalast für den „ländlichen Raum“ flottgemacht. Auch vom Segen Gottes möchten wir keinen einzigen Spritzer abbekommen. Bücher sind keine Glaubensfrage, sondern eine Angelegenheit des Verstandes und der Vernunft. Auch für die Bücher ist Weihwasser gar nicht gut. Sie schimmeln.