Die Diva

d'Lëtzebuerger Land vom 14.02.2025

Die Kamera umfährt langsam den Eingangsbereich zu einem prächtigen Salon, es ist der 16. September 1977 in Paris, Polizeibeamte stehen umher, schreiben akribisch in Notizbücher, eine Trage steht bereit, am Boden liegt die Leiche von Maria Callas.

So eröffnet Maria, der neue Film des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín. Mit Angelina Jolie prominent besetzt, beleuchtet dieser Film den letzten Lebensabschnitt der ehemaligen griechischen Opernsängerin Maria Callas, dabei verwischen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, die Problematik und Komplexität von Künstlerbiographien herausstellend. Dezidiert und konsequent aus der Frauenperspektive geschildert, ist dieser Film ein neuer, dekonstruktivistischer Blick auf das Biopic: Neben Jackie (2016) und Spencer (2021) ist dies der abschließende dritte Teil von Larraíns großen Frauenporträts. Maria zeigt die letzten Monate im Leben der Diva, der Entrückten, der Göttlichen – in denen sie mit ekstatischem Trotz ihrer muskulären Krankheit und letztlich der Einsamkeit erliegt. Nur in Erinnerungen kann sie an die Hochphase ihres künstlerischen Weges anknüpfen. Maria entwickelt zu ihren Medikamenten ein krankhaftes Suchtverhalten, sie vernachlässigt ihre Mahlzeiten. Ihren Bediensteten, der Haushälterin Bruna (Alba Rohrwacher) und dem Kammerdiener Ferruccio (Pierfrancesco Favino), die entsetzte aber überwiegend stumme Zeugen ihres Verfalls sind, fällt der Umgang mit ihr immer schwerer. Hinter ihr liegt eine große Karriere, ihre Stimme war einzigartig, ihr Repertoire an Auftritten facettenreich. An ihr nagt die leise Ahnung, dass sie niemals wieder singen wird. Das Ganze ist durchsetzt mit pharmazeutischen Halluzinationen und Rückblenden in die Zeit ihres Ruhmes, der toxischen Beziehung zu dem erfolgreichen Reeder Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer), die viel Aufmerksamkeit in den Medien auf sich zog, aber auch in ihre traumatisierte Kindheit in dem von den Nazis besetzten Griechenland.

Pablo Larraín geht es in seinen Filmen über historische Frauenfiguren des 20. Jahrhunderts um die Verdichtung, die Verschachtlung, immer einen klar umrissenen Zeitabschnitt festhaltend. Es sind Frauen im Schatten mächtiger Männer, die ihre eigene Stimme beanspruchen – in Maria ist dies im Wortsinne gemeint. In Jackie fokussierte Larraín die unmittelbare Erlebniswelt von Jackie Kennedy (Natalie Portman) nach dem Attentat auf ihren Mann in Dallas. So sehr die Witwe engagiert ist, das Vermächtnis des US-Präsidenten John F. Kennedy zu wahren, so sehr sucht sie darin nach ihrem Eigenwert. Spencer schaute auf die letzten, schwierigen Jahre der Ehe zwischen Diana Spencer (Kristen Stewart) und dem Duke of Whales, Prinz Charles (Jack Farthing) in denen das Paar sich vollständig entfremdet hat. In beiden Filmen erlaubte sich Larraín eine willentlich-provokative Einbindung frei erfundener Szenen, die mit den realen Begebenheiten ironisch brechen und den Blick freigeben sollen auf ein größeres Diskursfeld zwischen‚ wahrer Geschichtsschreibung und dem Fiktionsstatus filmischer Biographien.

Larraín setzt auch in Maria einmal mehr, eindringlicher und zynischer als noch zuvor, auf eine metareflexive Ebene: Da gibt es zunächst die einleitende Szene der Tatortsicherstellung, gefolgt von einer längeren Montagesequenz aus dokumentarischen Originalaufnahmen, Schwarz-Weiß-Großaufnahmen von Angelina Jolie und nachgestellten Opernauftritten. Dann setzt Larrain die Einstellung einer Filmklappe, kurz bevor die eigentliche Handlung einsetzt, den Fiktionsstatus der Bilder anmoderierend. Damit nicht genug, Larraín schaltet eine weitere Ebene hinzu: Callas glaubt noch an den neu entflammbaren Glanz der Karriere, an ein großes Comeback, das ihre persönliche, eigene Stimme hervorheben soll. Dafür will sie einem Reportageteam ein längeres Interview geben. Das Team indes existiert gar nicht, es ist eine Wahnvorstellung, bei der nie ganz klar ist, ob sie durch die Tablettensucht der Opernsängerin hervorgerufen wird – ihr Gesprächspartner (Kodi Smit-McPhee) trägt den Namen ihres Medikaments ‚Mandrax‘ – oder ob sie aus dem unendlichen Sehnsuchtsgefühl nach neuem Ruhm entspringt. Die Bilder, die Maria zeigt, sind überaus trügerisch, so sehr vermischen sich hier kontinuierlich die Ebenen von Traum und Realität, Vergangenheit und Gegenwart, der Oper als Raum „erhabener Kunst“ und den Alltagsräumen als Schauplätze des „gewöhnlichen Lebens“.

Der Schluss den Larraín nahelegt könnte indes nicht klarsichtiger sein: Den Bildern ist nicht zu trauen, auch den Filmbildern Larraíns nicht. Der Callas ist nicht beizukommen, so sehr geht eine Idee von ‚tatsächlicher Wahrheit‘ hinter den Ebenen aus Öffentlichkeitsbild, Privatperson, medialem Interesse und Mythos verloren. Darin liegt ein stückweit die triumphale Note – bei aller Öffentlichkeitswahrnehmung und den Schlagzeilen in der Klatschpresse, die Maria Callas zeitlebens begleiteten, bleibt in ihr und um sie herum die Aura des Unergründbaren bestehen, denn letztlich ist Maria auch ein Film über den Kontrollwahn, über die Illusion, Herrin der eigenen Lebensgeschichte sein zu wollen – sogar der Tod ist in dem Willen nach Deutungshoheit selbstbestimmt. Es ist Ausdruck eines verzweifelten Emanzipationsgedanken, den Larraíns Trilogie innerlich bindet.

Jackie erzählte von dem Bestreben, die Erinnerung an den US-Präsidenten aufrechtzuerhalten, den Platz in der Geschichtsschreibung zu sichern, indem besonders minutiös ein großes Beerdigungszeremoniell geplant werden soll. In einem längeren Interview versucht Jackie die Erinnerungsarbeit an ihren Mann zu fördern, dabei stellt der Film sie reflexiv ins Zentrum der Befragung – Jackie Kennedy, die First Lady, als reine Inszenierung, eine undurchsichtige Projektionsfläche, die innerhalb dieses formal sehr streng arrangierten Films niemals greifbar wird. Spencer schildert den Lebensweg von Prinzessin Diana als Abfolge von Ausbeutung und Verschleierung des Individuums, die zu einer Doppelpersönlichkeit führt und so nicht tragbar ist: Die Aufhebung von Gefühlen durch ein regelspezifisches Programm, das da steht, wie ein Gesetz; die Zerstörung des Einzelnen durch die Gesellschaft, dies ist es, wogegen sie sich wehrt: Die Frauenfiguren unternehmen bei Larraín den Versuch einer Weigerung, sie weigern sich Besitz zu sein, kollektiv beansprucht und verallgemeinert zu werden – und in Spencer besteht Larraíns Kunstgriff darin, dieses weibliche Aufbegehren, den Weg zur Selbstbestimmung zuzulassen. Zu lauter Popmusik fährt Diana mit ihren beiden Söhnen im Cabrio davon – ihr Unfalltod in Paris wird dabei freilich gedanklich mitgeführt, das hier gesetzte Happy-End, das Märchenhafte der Erzählung als Fiktion, nahezu überbetonend. Es ist ein ganz unbeschwerter, heiterer Moment. Seine Diva, die die Callas war, begleitet Larraín in ihrem Aufbegehren in den letzten Tagen, gönnt ihr indes kaum Momente des Märchenhaften, des Aufatmens, da ist kein wahres Freiheitsgefühl: Der anfänglichen Kamerabewegung liegt das Fatalistische inne, am Anfang steht das Ende, der Tod als Gewissheit. Nur Angelina Jolie kann sich mit Maria ein stückweit von ihrem früheren Rollenimage als Objektfantasie der Männerwelt lösen, ferner liegen die Parallelen zum Interesse des Boulevardblatts in Bezug auf das Phänomen ‚Brangelina‘ sehr nahe. Angelina Jolie bietet hier eine reife und eindringliche Schauspielleistung – es gibt so doch eine Befreiung, zumindest für die Schauspielerin, wenn schon nicht für die Figur der Callas.

Marc Trappendreher
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