Der Buet sorgt für Vereins- und Polit-Gossip. Einige Publikationen vermitteln den Eindruck, sie würden für Werbezwecke instrumentalisiert

Die ultralokale Berichterstattung

Foto: SM
d'Lëtzebuerger Land vom 09.06.2023

Wer bis Seite acht der letzten Ausgabe des Gemengebuet Mamer, Cap, Holzem blättert, hat Bürgermeister Gilles Roth (CSV) bereits auf acht Fotos gesehen. Man sieht ihn zu Beginn einer Fotoserie am Rednerpult im Festsaal des Mamer Schlosses, in dem die Autoren Guy Rosseljong und Romain Thielen ihr Buch Das Luxemburger Papiergeld 1856-2023 vorstellten. Zwei Seiten später überreicht er den Autoren ein Geschenk – mit Blick in die Kamera. Blättert man zwei Seiten weiter, steht er wieder am Rednerpult und ehrt die Freiwillige Feuerwehr. Daneben befindet sich ein Foto des Schöffenrats – mit Bürgermeister Gilles Roth sowie den Schöffen Roger Negri (LSAP) und Luc Feller (CSV). Überhaupt ist nur der Schöffenrat auf den Titelseiten der letzten sieben Ausgaben zu sehen – vor einem Weihnachtsbaum, dem Gemeindepark oder, wie im neuesten Gemengebuet, neben Finanzministerin Yuriko Backes (DP). Damit die Einwohner die Gesichter der Politiker klar identifizieren, werden ihre Namen sogar auf der Aufmacherseite in einer Bildzeile erwähnt. In der Herbstausgabe klebt der Schöffenrat abermals auf jeder zweiten Seite; beispielsweise unter der Unterschrift „Lateinamerikanische Lebensfreude“. Alle drei sind sommerlich hellblau gekleidet, nach lateinamerikanischen Sounds tanzen sie allerdings nicht; ihre Gesichter lassen die Kamera nicht aus den Augen – sie wollen gut erkennbar sein.

Auf telefonische Nachfrage bei den Mitarbeitern der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, wer für den Inhalt des Buet verantwortlich sei, wird das Land gebeten, seine Fragen zunächst schriftlich einzureichen. Eine Mitarbeiterin antwortet: „Ausgeschafft gëtt de Buet vum Departement vun den Relations publiques vun der Gemeng an d’Mise en page gëtt vun enger Agence assuréiert.“ Gegenüber Reporter hatte Gilles Roth darauf verwiesen, dass zwangsläufig bei jeder Veranstaltung der Schöffenrat fotografiert wird, weil er als Gemeindeverantwortlicher zugegen sei. Während einer Kontaktaufnahme des Land mit der Oppositionspartei déi Gréng, bestägt die Gemeinderätin Adèle Schaaf, bis auf die Zusammenfassungen der Sitzungen würde vor dessen Veröffentlichung nicht bekannt, welche Themen der Buet abdeckt. Dass der Schöffenrat, wie es die Kommunikationsabteilung darstellt, sich nicht konsequent in die Ausarbeitung einmische, könne sie sich nicht vorstellen – „so naiv bin ich nicht“, erwidert Schaaf.

Gesichterreduziert kommt hingegen das Gemeindeblatt aus Walferdingen daher. Die Mai-Ausgabe zeigt zunächst auf fünf Seiten Feuerwehrfahrzeuge, -schläuche, -helme und nicht identifizierbare Kisten. „Gewappnet für den Ernstfall“ sei die Kommune. Mit Agenturfotos startet auch die Aprilausgabe; unter dem Titel „Schlaganfall – es kann jeden treffen“ werden die Bürger/innen über einen Infotag zu diesem Gesundheitsthema in Kenntnis gesetzt. Es folgt ein Kurzbericht über eine Gemeinderatssitzung. Nach 18 Seiten Infokästchen und eingekauften Füllfotos tauchen auf den letzten Seiten vereinzelt Politiker/innen auf; zumeist lächelnd vor einem Gemälde, das gerade in den Räumlichkeiten der Gemeinde ausgestellt wird. Der Aufbau des Gemeindeblatts wurde von dem PR-Unternehmen Binsfeld mitentschieden, der Inhalt wird in Zusammenarbeit zwischen den Kommunikationsbeauftragten und dem Schöffenrat bespielt. Mamer und Walferdingen teilen ein ähnliches sozio-demographisches Profil: Erstere zählt 10 600 Einwohner/innen, letztere 8 600. Davon ist in beiden Gemeinden die Hälfte ausländischer Nationalität, allen voran leben dort Franzosen, sie kommen auf jeweils circa zehn Prozent.

In der Gemeinde Clerf hingegen ist die ultralokale Publikation mit Reportagen über Vereine und das Kulturleben gefüllt. Sie berichtet über den „Wettberwerb der besten Posaunisten“, Wanderwege, „Großzügige Spenden der Schulkinder“, die luxemburgische „Stock-Car Meisterschaft“, oder ob man sich ein Fahrrad oder Pedelec anschaffen soll. Nach vielen Unterhaltungsseiten wird es auf den letzten fünf ernst: Hier werden die Beschlüsse des Gemeinderats öffentlich. Das Gemeindeblatt nimmt im Briefkasten viel Platz ein: Um die 100 Seiten werden in der Nordspitze gefüllt. Dafür aber erscheint der Cliärrwer Reider nur viermal im Jahr und nicht monatlich wie in Walferdingen. Je nach Ausgabe sieht man überdies einen Emile Eicher in unterschiedlichen Posen: Zunächst neben seinem Leitartikel lässig an einer Schiefermauer angelehnt. Dann neben dem Botschafter aus Taiwan, der die Family of Man-Ausstellung besuchte, oder dem US-amerikanischen Botschafter anlässlich des Besuchs einer Ausstellung über die Ardennenschlacht. Ein Emile Eicher am Rednerpult steht neben einem Emil Eicher, der neue Infrastrukturen einweiht oder Preise überreicht.

Ähnlich umfangreich fallen im Merscher-Buet Mitteilungen und Fotos über das Vereinsleben aus. Seit über 20 Jahren koordiniert, layoutet und verfasst Henri Krier (DP) ohne Bezahlung den Gemengebuet. Mittlerweile ist Henri Krier Schöffe, sorgt das nicht für Reibungen mit der Opposition? „Ich war Mitarbeiter in der Druckerei Faber und hatte um die Jahrtausendwende herum Ideen, wie man das Gemeindeblatt anders gestalten könnte. Für manche Ausgaben brauche ich mehr als 40 Stunden. Viel Zeit in Anspruch nimmt es, unterschiedliche Beiträge einzutreiben. Es gibt eine Person, die mittlerweile gestorben ist – ihren Text wird sie nicht mehr einreichen“, beschreibt Henri Krier seine Herausforderungen. „Mich beneidet niemand um den Arbeitsaufwand, deshalb wurde bisher nicht moniert, dass ich die Gemeindezeitung gestalte“. Tatsächlich schafft es Krier, die wichtigen Informationen an erster Stelle zu bringen: Berichte über Gemeinderatssitzungen, Baugenehmigungen und öffentliche Bekanntmachungen. In den letzten zwei Ausgaben des Merscher Gemengebuets wird sein Parteikollege und Bürgermeister, Michel Malherbe (DP), lediglich vier Mal auf 48 Seiten abgedruckt. Das Buergbrennen, die Schüler/innen des Musikkonservatoriums bei ihren Proben und der Seniorennachmittag stehen im Vordergrund. Auf 35 000 Euro belaufen sich die Kosten für den Druck und das Lektorat für vier Ausgaben.

Der Kommunikationsbeauftragte der Gemeinde Mersch, Christian Mohr, versichert zudem, Kommissionsbeauftragte achteten darauf, dass auf den Fotos ebenfalls Oppositionsräte abgebildet sind. Und die Opposition habe Zeit, um vor dem Druck mit dem roten Stift über die Texte zu lesen. „Als ich für den Kommunikationsposten kandidierte, sagte ich damals im Vorstellungsgespräch, ich würde keine Publikationen gestalten wollen, in denen auf jeder Seite Werbung für die Hauptköpfe abgedruckt wird“, erläutert Christian Mohr. Nach diesen Gemeindewahlen wird seine Abteilung den Buet verstärkt koordinieren, da Henri Krier diese zeitintensive ehrenamtliche Tätigkeit zurüchschrauben möchte.

Unter dem neu gewählten Gemeinderat muss sich die Merscher Kommunikationsabteilung der Frage nach der Mehrsprachigkeit stellen: Bisher dominierte das Deutsche im Buet. Allerdings ist Mersch eine sich im demographischen Wandel befindende Gemeinde. Mittlerweile zählt sie 10 372 Einwohner/innen und einen 40-prozentigen Ausländer-Anteil. Auf eine 75- bis 80-jährige Person, kommen etwa vier 35- bis 40-jährige. Die berufstätige Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen prägen zunehmend die Bedürfnisse der Ortschaft; eine Entwicklung, die jener in den Gemeinden Walferdingen und Mamer nicht unähnlich ist. Mit der Anbindung an den Kirchberg durch die Schnellstraße A7 sowie den Funiculaire im Pfaffental könnten sich vermehrt am Englischen orientierte Ausländer, die für internationale Unternehmen arbeiten, sich in der Mitte des Landes niederlassen. Diese Frage beschäftigte die Kommunikationsabteilung. Aber eine Umfrage ergab: „Die gewünschte Kommunikationssprache ist laut unserer Erhebung Französisch. Wir waren selber vom Resultat überrascht, wir dachten, das Englische hätte an Bedeutung gewonnen, aber das ist nicht der Fall. Derzeit ist es schwierig einzuschätzen, wie sich der Sprachen-Mix in Mersch entwickeln wird. Ab Sommer wird das Infomaterial für zugezogene Einwohner ebenfalls auf Englisch erhältlich sein.“ Die Gemeindepublikationen aus Clerf und Walferdingen erscheinen jeweils auf Deutsch und Französisch; der Mamerbuet ist in dem Punkt sogar avantgardistisch, bei den Zusammenfassungen der Ratssitzungen fehlt die englische Übersetzung nicht.

Alle zwei Wochen schaltet Mersch-TV zudem eine 15-minütige Sendung frei. Diese wird von Frank Kuffer produziert und anmoderiert. Nachdem Kuffer seinen RTL-Posten für eine CSV-Kandidatur im Nord-Bezirk aufgegeben hatte und mit 8 528 Stimmen Listen-Letzter wurde, lancierte er die Produktionsfirma LuxTv. „Politisch kaum relevante Themen darf der ehemalige Journalist ohne Absprache mit dem Schöffenrat produzieren“, erklärt Christian Mohr. Neben Mersch, betreiben ebenfalls die Gemeinden Esch, Düdelingen, Petingen, Mamer, Steinsel, Diekirch, Steinfort, Hespringen und Mamer einen eigenen TV-Kanal. Dem Luxemburger Wort ist dabei aufgefallen, dass in Mamer auch auf dieser Plattform die Schöffenräte „in fast allen Videos die Hauptrolle einnehmen und neue Projekte einweihen sowie Reden halten“. Gleiches gilt für den Bürgermeister aus Hesperingen, Marc Lies (CSV), auf Hesper-TV liest er, an einem Schreibtisch sitzend, seine Nachrichten vor.

In Esch/Alzette wird kein Gemengebuet mehr an alle Haushalte verteilt; wer mehr über das in Gemeinderatssitzungen Verhandelte erfahren will, könne Esch-TV einschalten, meint Luc Schlösser, Leiter der Kommunikationsabteilung der Gemeinde Esch. Die letzten im Internet schriftlich veröffentlichten Sitzungsberichte stammen aus dem Jahr 2021. „Wir hatten seitdem Schwierigkeiten, eine Person zu finden, die die Aufnahmen der Sitzungen in Textform wiedergeben kann“, erklärt Schlösser. Darüber hinaus werde Den Escher 18 000 Mal gedruckt und an die Escher Einwohner/innen verteilt; es handele sich bei diesem Format um ein Stadtmagazin, so der Gemeindemitarbeiter. Ob Den Escher dieser Definition gerecht wird, ist jedoch unklar: Ein Stadtmagazin hat zumeist das Kernanliegen, auf kommende Verantstaltungen hinzuweisen, im Escher aber befinden sich zuvorderst Berichte über Einweihungen, Pop-up-Fahrradwege und Infrastrukturprojekte. Der Leitartikel ist von Bürgermeister Goerges Micho unterzeichnet, er bewirbt im Stadtmagazin seine Stadt und freut sich in der neuesten Ausgabe: die Mitarbeiter /innen „der Stadt bereiten die Spielplätze vor, Blumenbeete werden angelegt und die Stadt wird herausgeputzt“. Gegen die nationale Gesetzgebung verstößt die Gemeinde Esch nicht, denn Sitzungsprotokolle müssen nicht öffentlich bekannt gemacht werden – in welcher Form auch immer. Falls ein Gesetzentwurf von Mitte Mai 2023 durchkommt, wird sich dies ändern. Der von Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) vorgelegte Text sieht vor, dass Berichte über Gemeinderatssitzungen spätestens nach einem Monat schriftlich oder audiovisuell auf der Gemeinde-Website zugänglich sind.

Durch ihr Foto-Gewimmele sind Gemeindezeitungen beliebte Publikationen, sie sorgen für Vereins- und Politik-Gossip und ihr Veranstaltungs- oder Müllabfuhrkalender strukturieren den Monat. In einer Umfrage vor drei Jahren konnte die Gemeinde Mersch ermitteln, dass 33 Prozent der 400 befragten Haushalte sich über die Gemeindezeitung informieren. Damit lag der Buet neben der Internetseite auf Platz eins, knapp dahinter folgte Facebook. Dabei verschwinden ehrenamtlich gestaltete Formate zugunsten von professionnellen Polit-Inszenierungen, gar halbherzig kaschierter Werbung, zusehends. Nach den Wahlen werden die Kommunikationsabteilungen in den Gemeinden und die Budgets für PR-Unternehmen womöglich weiter anschwellen. In Mamer und Walferdingen besetzen bereits drei Personen die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. In Walferdingen kümmern sich ebenso viele um städteplanerische Angelegenheiten und nur eine Person um Umweltfragen.

Stéphanie Majerus
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