Regierungsantritt der rechtspopulistischen Koalition in Wien

Alles ganz normal?

d'Lëtzebuerger Land vom 22.12.2017

„Wer irritiert sein will, ist halt irritiert“. Alexander Höferl selbst scheint durchaus zufrieden mit seinem Rollenwechsel vom Kommunikationschef der Freiheitlichen Partei Österreichs zum Kommunikationschef im Innenministerium. Sein unmittelbarer Chef ist und bleibt Herbert Kickl, vordem Generalsekretär der Blauen und als solcher für Wahlslogans wie „Daham statt Islam“ oder „Abendland in Christenhand“ verantwortlich. Kickl ist im neuen Kabinett der neuen Koalition aus Volkspartei und Freiheitlichen unter dem neuen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz neuer Innenminister.

Höferl wird Kickls Büro leiten. Dafür musste der 39-Jährige ein Ehrenamt aufgeben, war er doch federführend beim Internet-Medium unzensuriert.at tätig, das mit Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien Stimmung für die Rechten macht. Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ordnet das Portal „dem rechten, nationalistischen Lager“ zu und sieht dort „zum Teil äußerst fremdenfeindlich Inhalte“ sowie antisemitische Tendenzen. Das BVT untersteht dem Innenministerium, das Kanzler Kurz nun in blaue Hände legte. Wer irritiert sein will….

Und das ist nur eine der Irritationen, mit der Überraschungskünstler Kurz mit seinem neuen Kabinett aufwartet. Eine andere ist die Tatsache, dass er den Blauen sowohl Innen- als auch Verteidigungsministerium überlassen und damit alle Sicherheitsthemen den erklärten Rechten in die Hände gelegt hat. Seine Regierung besteht aus 14 Ministern, acht stellt die ÖVP, sechs die FPÖ. Dazu kommen noch zwei Staatssekretäre. Das Gesamtbild spiegelt das Prinzip, politische Erfahrung und Usancen durch Loyalität zu ersetzen.

Denn auf türkiser Seite setzt sich das neue Kabinett fast durchwegs aus Überraschungen zusammen: Vom Finanzminister Hartwig Löger, einem Selfmade-Mann, der als Versicherungsmanager Karriere machte, über die Chemikerin Juliane Bogner-Strauß, die für Frauen und Familie zuständig ist, bis zur Telekommunikations-Managerin Margarete Schramböck, der ersten Frau im österreichischen Wirtschaftsministerium. Dabei ist Kurz durchaus gelungen, mit Quereinsteigern wie dem bisherigen Vizerektor der Universität Wien Heinz Faßmann als Bildungsminister ausgewiesene Experten in ein politisches Amt zu holen.

Auf freiheitlicher Seite schart Vizekanzler Heinz-Christian Strache dagegen alte Weggefährten um sich, von Kickl über den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (Infrastruktur), bis zum Verteidigungsminister Mario Kunasek. Einzig die neue Frau im Außenamt, die frühere Diplomatin und Journalistin Karin Kneissl, die als Nahost-Expertin ihrer Analyse des arabischen Frühlings den Titel „Testosteron macht Politik“ gab, kommt von außen und ist offiziell parteilos.

Der große Aufschrei bei Amtsantritt des konservativ-freiheitlichen Bündnisses ist ausgeblieben. Selbst Bundespräsident Alexander van der Bellen, der im Jahr 2000 als Parlamentarier einen Misstrauensantrag gegen den damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel in Koalition mit Jörg Haiders FPÖ eingebracht hatte, blieben nur mahnende Worte: Als Präsident sei er dem Wohl aller Österreicher, „besser noch: allen Menschen in Österreich“, verpflichtet. Dies gelte im Übrigen auch für die Regierung, betonte er. Und in Kenntnis des Regierungsprogrammes, das Sozialorganisationen bereits Einschnitte im sozialen Netz befürchten lässt, sagte er: „Am Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft zeigt sich, was unsere Werte wirklich wert sind“.

Auch international blieben die Reaktionen verhalten. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici gab zu Bedenken: „Die Situation ist vielleicht anders als im Jahr 2000. Aber die Tatsache, dass eine extrem rechte Partei an die Macht kommt, ist nie trivial.“ Der Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten, Gianni Pittella, sieht eine „rechtsextreme Regierung in Österreich“. Der UN-Kommissar für Menschenrechte, Zaid Raad al-Hussein, der die Rechtspopulisten in Europa ohnehin mit Argwohn betrachtet, kritisierte Kurz für seine Übernahme von Positionen einer deklariert rechten Partei und sprach von einer „gefährlichen Entwicklung im politischen Leben Europas“. Er fürchtet vor allem eine Verschärfung der Migrationspolitik in Österreich.

Rechts ist die neue Mitte – unter diesem Titel scheint Kurz, mit 31 Jahren jüngster Regierungschef im Kreise, kein Exot mehr. Gegenüber Polen oder Ungarn, deren national-konservative Regierungen den Rechtsspielraum der EU permanent herausfordern, nimmt sich die ÖVP-FPÖ-Regierung noch vergleichsweise moderat aus. Dass Kurz noch vor seiner Regierungserklärung nach Brüssel reiste, zu Gesprächen mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, sollte Vorbehalten nehmen und Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Österreich werde seinen Beitrag für ein starkes Europa leisten, ließ Kurz wissen, der sich als „Brückenbauer zwischen West und Ost“ sieht. Beobachter fürchten indes, die neue rechtspopulistische Koalition in Wien könnte bei der Flüchtlingspolitik einen ähnlich rigiden abschottenden Kurs einschlagen, wie die Visegrad-Staaten. Wie ernst Wien es mit seinem im Regierungsprogramm verankerten „klaren Bekenntnis zu Europa“ in der politischen Realität meint, wird sich spätestens im zweiten Halbjahr 2018 zeigen. Dann übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft.

Irmgard Rieger
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