Boy meets girl: So simpel und zugleich vage ist der Plot des neuen Romans von Julia Holbe. Doch bevor wir in die Geschichte eintauchen, müssen wir vielleicht zuerst mit zwei Tatsachen aufräumen, die dazu geführt haben könnten, dass eine der erfolgreichsten luxemburgischen AutorInnen bisher kaum in der Luxemburger Literaturszene wahrgenommen wurde, geschweige denn zu sehen war. Erst mit einem ins Digitale verlegten Gespräch auf dem Blauen ZDF-Sofa mit Susanne Biedenkopf, das eigentlich im Rahmen der Leipziger Buchmesser geplant war, tauchte sie in der luxemburgischen Bubble auf.
Ob sich die KritikerInnen hierzulande am liebsten mit schwerer, ernsthafter und komplexer Literatur auseinandersetzen und darüber hinaus das Buch als Ort für Geschichten, die tatsächlich gelesen werden, vergessen? In Holbes Fall wird ihr Buch von Tausenden LeserInnen gelesen, schaffte sie es doch mit ihrem ersten Roman Unsere glücklichen Tage auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Das sprengt den Rahmen einer für einen luxemburgischen Verlag erdenklichen Auflage. Müsste man zweitens vielleicht endlich mit dem lieblosen, wenn auch oftmals naheliegenden Oberbegriff der „Frauenromane“ aufräumen, dem stets ein naserümpfendes Von-Oben-Herab anhängt? Und differenzieren zwischen guten Liebesgeschichten und lieblos hingeklatschten, unreflektierten und immer auf ein Happy-End zustürzenden Geschichten ohne Sinn und Verstand; mit Figuren, die nichts mit der Realität zu tun haben? Diese Bücher mit Covern voller Lavendel oder bunten Fischerbooten vor gleißend blauem Meer, die die Büchertische fluten und die so austauschbar wirken wie die Pseudonyme ihrer AutorInnen? In denen alle Frauen liebesbereit, liebestoll und liebessuchend und alle Männer gutaussehend sind, die Frauen 0815-romantische Dates ausführen und dabei stets erwähnt wird, wer die Rechnung zahlt.
Aber wenn nun eine Liebesgeschichte anders geschrieben ist – bei allem Kitsch und aller Romantik – mit Figuren und Dialogen, die echt klingen (und natürlich oft allzu perfekt sind) –, wenn dabei ernste Fragen gestellt werden und sie auch ernst beantwortet werden, wird selbst aus einem romantischen Buch viel mehr als bloße Strandlektüre. (Übrigens ein weiteres Klischee über Bücher, die Frauen und Beziehungen zum Thema haben. Liest der Mann am Strand denn etwa nichts? Wir wissen natürlich, dass tendenziell mehr Frauen Bücher lesen als Männer – aber wieso werden dann ausgerechnet Krimis, zahlentechnisch die tatsächlich am meisten von Frauen gelesenen Bücher, nicht auch als solche vermarktet?)
Das Set-Up in Holbes boy meets girl ist denkbar einfach und erwartbar: Nora findet nach einer Dienstreise ihres Mannes in seiner Schmutzwäsche einen Schlüpfer, der nicht ihr gehört. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und sie nach Jahrzehnten der Ehe, des Durchhaltens und Verdrängens dazu bringt, sich die große Frage zu stellen, was sie eigentlich vom Leben und von der Liebe noch erwartet. Sie ist zwar erfolgreiche Paartherapeutin, aber in ihrer eigenen Beziehung war sie nicht sonderlich erfolgreich. Sie beschließt, ihr Leben zu ändern. Aber was will sie, wohin soll es gehen? Und mit wem? Zwischen kleinen Dates, alten Freundschaften und neuen Bekanntschaften stehen vor allem ihre Fragen über das Leben, die Bedeutung der Zeit und der Nähe zu Mitmenschen im Fokus. Und ja, natürlich greift der Roman auch auf einige Stegreif-Versatzstücke zurück, denn: boy meets girl, Nora meets Männer. Mit den Worten ihres alten Freundes Yann, der sich auf eine Anekdote von Alfred Hitchcock bezieht: „Aus ein und derselben Geschichte kann man immer beides machen, eine romantische Komödie und ein Drama. Der Ausgangspunkt ist immer derselbe: Boy meets Girl.“
Doch diese Geschichte ist anders. Wieso? Weil hier nicht eine zielstrebig auf Happy-End zulaufende platte Liebesgeschichte erzählt wird, ohne dass es eine Fast-Forward-Taste gäbe. Weil es trotzdem um Liebe geht, die Suche nach ihrer Definition, den eigenen Wünschen und Erwartungen. Weil bei aller Romantik und Liebesgeschichte auch Lebenserfahrung gilt und die Figuren nahbar und trotz Coolness irgendwie echt sind. Weil hier vor allem eine Suche nach sich selbst beschrieben wird, die Fragen über das Leben stellt. Weißwein gibt es dabei trotzdem, Reisen nach Paris, Märkte und Käsetheken, Flanieren und kitschigen warmen Sommerregen, der sich gut anfühlt auf der Haut. Aber wenn Sie keine Scheu haben vor Liebesgeschichten, dann finden Sie in boy meets girl eine kluge, liebevoll geschriebene Lektüre für den Sommer.