Griechenland bekommt wieder Geld

Whatever it takes

d'Lëtzebuerger Land vom 21.08.2015

Der Deutsche Bundestag hatte wieder einmal das letzte Wort. Am Mittwochmittag befürwortete eine große Mehrheit das neue Milliardenpaket für Griechenland, am Mittwochabend beschloss der Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) die Freigabe der ersten Tranche von 26 Milliarden Euro. Das niederländische Parlament stimmte zwar später als der Bundestag ab, allerdings nur über eine Resolution, ein Mitbestimmungsrecht hat es nicht. Premierminister Mark Rutte wollte sich lediglich innenpolitisch absichern. Die Parlamente Lettlands, Litauens, Estlands und Finnlands, alles Länder, die zu den stärksten Kritikern Griechenlands zählten, hatten dem neuen Rettungspaket schon vorher zugestimmt.

Wer jetzt glaubt, Griechenland hätte damit viel Geld an die Hand bekommen, um seine wirtschaftlichen Probleme zukunftsweisend zu lösen, täuscht sich. Das Geld ist praktisch sofort wieder weg. Mit 16 Milliarden Euro werden die Brückenfinanzierung abgelöst, die nötig war, damit Griechenland im Juli und August nicht zahlungsunfähig wurde, die Kredite des Internationalen Währungsfonds zurückgezahlt und unbezahlte Rechnungen des griechischen Staates beglichen. Zehn Milliarden Euro fließen sofort in die griechischen Banken, die dafür Anteile an den ESM abgeben müssen. Im Oktober wird zum ersten Mal geprüft, ob sich Griechenland an die beschlossenen Auflagen hält, wenn ja sollen noch einmal zehn Milliarden Euro in die stark gefährdeten Banken fließen. Die Gelder der Euroländer sind wieder nur Erstversorgung auf der Intensivstation, um einen totkranken Patienten am Leben zu erhalten. Genesung sollen die erzwungenen Reformen bringen. Alle drei Monate wird es eine Überprüfung geben.

Wolfgang Schäuble, deutscher Finanzminister und deshalb auch der erste Redner der Bundestagsdebatte, brachte das Problem und warum es nicht definitiv gelöst werden kann, schon mit seinen ersten Sätzen auf den Punkt. Die ökonomisch und politisch mangelhafte Konstruktion der europäischen Währungsunion habe es möglich gemacht, dass einige Länder Entscheidungen auf Kosten von anderen hätten treffen können. Dieses Problem sei immer noch nicht definitiv gelöst, aber die seit 2010 beschlossenen Maßnahmen hätten Verantwortung und Haftung zumindest angenähert. Wolfgang Schäuble tat so, als könne man damit im Moment leben. Ohne es auszusprechen gab er zu verstehen, dass mehr, sprich eine echte Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialunion auf absehbare Zeit nicht möglich sei.

Die abermalige Rettung Griechenlands bleibt deshalb ebenso eine Momentaufnahme wie der Zusammenhalt der Eurozone. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, hat mit seiner Pressekonferenz am 26. Juli 2012 mit dem inzwischen berühmten Satz „Whatever it takes“ die Eurozone vor dem drohenden Zusammenbruch gerettet. Whatever it takes kann auch als Leitspruch für die Rettung Griechenland angesehen werden. Es scheint schon keine Rolle mehr zu spielen, wie viele Milliarden das Land bekommt, Hauptsache, es bleibt im Euro. Daran wird vor allem eines deutlich: Die Rettung Griechenlands ist in erster Linie eine politische Maßnahme, keine wirtschaftliche. Warum, zeigt exemplarisch Jean-Claude Junckers Bemerkung in einem Interview mit der belgischen Zeitung Le Soir nach der Marathon-Ratssitzung im Juli, bei der es beinahe zum Grexit gekommen wäre. In Le Soir sagte er offen, dass sich der Rat vor allem aus Angst vor einem Grexit für das Herauspauken Griechenlands entschlossen hatte.

Wirtschaftspolitisch sind die Hilfsmaßnahmen für Griechenland weiterhin angreifbar. Die sogenannten kleinen Leute werden noch viele Jahre bluten müssen, denn sie müssen ausbaden, was Wolfgang Schäuble in seiner Rede „notwendige Anpassungsleistungen“ genannt hat. Das Wort Opfer ging ihm nicht über die Lippen. Außerhalb der Währungsunion hätte ein großer Teil dieser Anpassungsleistungen über eine Währungsabwertung erfolgen können. Mit dem dritten Hilfspaket wird Ministerpräsident Alexis Tsipras noch enger an die Kandare genommen als die Vorgängerregierungen, Ausgabenkürzungen erfolgen zum Beispiel zukünftig automatisch, wenn die Sparziele verfehlt werden. Alexis Tsipras, der Vorname bedeutet Helfer oder Verteidiger, hat sich so lange gegen die europäische Dressur gewehrt, wie es möglich war. Er kann sich halten, weil eine sehr große Mehrheit seiner Landsleute im Euro bleiben will, koste es, was es wolle.

Das letzte Kapitel ist dennoch nicht geschrieben. Die faktische Neugründung eines modernen griechischen Staates muss noch über viele Jahre innenpolitisch durchgesetzt werden. Es ist weiterhin offen, ob das gelingt. Den Euroländern ist es vor allem wichtig, sich das griechische Problem wenigstens für drei Jahre vom Hals zu schaffen. Über längere Kreditlaufzeiten und einen nur symbolischen Zins werden sie de facto auch einen Schuldenschnitt vollziehen. Notwendige Reformen der Eurozone müssen warten, bis sich die Lage beruhigt hat. Vor dem britischen Referendum über den Verbleib in der EU sowie den Wahlen in Deutschland und Frankreich im Jahr 2017 ist damit nicht zu rechnen.

Christoph Nick
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