Die Mitbegründerin der Luxembourg Tech School, Anush Manukyan, über die digitalen Herausforderungen im Bildungsbereich, menschliche Kreativität und die Faszination von Robotern

„Künstliche Intelligenz ist eine Art Halluzination“

Anush Manukyan am Mittwoch im Garten der LTS
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 02.06.2023

d’Land: Was ist die Luxembourg Tech School (LTS) und wie würden Sie ihre Mission definieren?

Anush Manukyan: Gegründet wurde die LTS 2016 von Sergio Coronado. Wir begannen mit einem einjährigen außerschulischen Programm für Jugendliche, es entstand auch aus einer Sorge heraus, dass nicht genug Menschen im Bereich der Technologie arbeiten. Nach diesem einen Jahr, wo die Schüler/innen sich auf Spieleentwicklung, Big Data und Fintech fokussierten, kamen viele Student/innen zurück und haben uns gefragt, wie es denn nun weitergehe. Sie wollten weitermachen, und deswegen haben wir weiterführende Module und Programme entwickelt, damit sie ihre Kenntnisse in der Robotik oder Künstlichen Intelligenz (KI) vertiefen können. Jedes Modul beinhaltet ein Event oder einen Wettbewerb, die Schüler/innen können ihr eigenes Projekt entwickeln, vielleicht ein Spiel, was sie schon als Kind entwickeln wollten. All das stärkt die Motivation – und wir fördern Teamarbeit. Mittlerweile kann man die LTS in manchen Lyzeen auch als Optionsfach wählen, und außerhalb der Schule gibt es sie für Jugendliche ab zwölf Jahren. Es geht uns aber nicht vorrangig darum, Menschen, die codieren können, hervorzubringen – sondern eher die digitalen Leader der Zukunft zu formieren, die Technologie nutzen können, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Deshalb spielt die Industrie auch eine Rolle, die Jugendlichen können später mit CEOs aus der Branche netzwerken und von ihnen lernen. Wir sagen den Schülern immer, dass wir nicht ihre Lehrer, sondern ihre Coachs sind. Sie wissen, dass sie uns immer erreichen können.

Sie sind „Head of Innovation“. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich kümmere mich um unsere Events, mache Coaching, reise durchs Land zu den verschiedenen Schulen, beantworte eine ganze Menge Mails und denke viel über Ideen für unsere Hackathons nach. Ein anderer Teil meiner Arbeit liegt in der Schaffung von neuen Inhalten – auch wir müssen uns schnell an die Entwicklung der Technologien anpassen. Und die Grundfrage lautet natürlich: Wie können wir diese Themen in die Bildung integrieren?

Wenn es um Technologie und Bildung geht, ist oft von I-Pads in Schulen die Rede. Auch scheinen eine Reihe junger Menschen Technologie mit Unterhaltung gleichzusetzen. Wo liegt der Schlüssel zu erfolgreicher Bildung, was digitale Technologien anbelangt?

Es ist wichtig, früh anzufangen, damit Kinder die unterhaltsame Seite der Technologie kennenlernen, und damit sie anfangen können, ihre eigenes Entertainment zu entwickeln. Anstatt das zu konsumieren, was existiert, werden sie zu Schöpfern. Indem sie Spiele und Roboter entwickeln, lernen sie, ihr Gehirn entwickelt sich. Als ich klein war, war es mein Traum, einen Roboter zu entwickeln, der mit mir sprechen kann, eine Art digitaler Freund. Aber damals hatte ich keinen Zugang zu solchen Dingen. Vielleicht erklärt das meine Liebe zu Humanoiden, und dass ich später Robotik studiert habe. Das wurde zu meiner Leidenschaft. Heute gibt es so viele Möglichkeiten, Schüler/innen sind fasziniert davon, was sie alles erschaffen können. Wir arbeiten mit Astro Pi (ein Programmiertool, Anm.d.Red), das auf der ISS benutzt wird. Die Jugendlichen sind so stolz, dass ihre Arbeit dann im Weltall Nutzung findet. Wir sollten sie inspirieren, indem wir ihnen solche Dinge zeigen. Wir verlieren Schüler/innen, wenn wir sie zu früh mit zu komplexen Dingen konfrontieren. Wichtig ist, Schritt für Schritt vorzugehen. Wenn man eine Sprache lernt, fängt man mit den Worten an.

Das Fach Digital Sciences wird seit dem laufenden Schuljahr am Lyzeum unterrichtet und bald noch weiter ausgeweitet. Sollte es als Fach schon in der Grundschule existieren?

Wenn es auf spielerische Weise passiert, warum nicht. Ab zwölf, wie in der LTS, finde ich gut, die Kinder lernen schnell. Die jüngere Gruppe wird schneller müde und langweilt sich eher, wir müssen da schon sehr kreativ sein. Gleichzeitig sind sie auch sehr wissbegierig.

Warum tun sich politische Entscheidungsträger und Bildungseinrichtungen so schwer, Veränderungen anzustoßen, was Technologie in der Schule betrifft?

Schwer zu sagen. Einerseits gibt es nicht genug Experten in der Branche, andererseits ist es schwierig, gestandene Systeme zu verändern. Das passiert meistens langsam, und das ist normal. Auch deshalb sind außerschulische Aktivitäten wichtig. Die LTS sieht sich als parallel zur Schule, und kann hoffentlich auch dazu beitragen, genug Menschen für diese Berufe auszubilden.

Eigentlich ist es aufgrund der Geschwindigkeit der Entwicklungen schwieriger denn je, diese Generation auf ihr Arbeitsleben „vorzubereiten“.

Sich selbst zu bilden, war immer schon sehr wichtig. Wenn jemand lernt, wie er an Informationen gelangt, kann diese Person auch besser mit neuen Entwicklungen umgehen.

Die Technologien und gleichzeitig einen kritischen Umgang damit zu lehren, stellt das nicht eine besonders große Herausforderung dar? ChatGPT ist ein gutes Beispiel.

Ja. Nehmen wir das Beispiel der Rechenmaschine, die Lehrer haben uns den Umgang damit früher verboten. Manche Schüler haben sie trotzdem benutzt – die können bis heute keine grundlegenden mathematischen Übungen lösen, die anderen schon. Heute hat jeder eine Rechenmaschine in der Tasche – und das ist in Ordnung. Was ich damit sagen will: Den Schülern sollte man beibringen, in welchem Umfang man diese Tools benutzen soll; nicht um ihr eigenes Gehirn und ihre eigene Kreativität zu ersetzen, sondern als Assistent. Wir müssen ihnen beibringen, dass sie einzigartig sind und KI sie nicht ersetzen kann. KI arbeitet immer noch mit Statistik, sie produziert derzeit Dinge, die nicht existieren, deshalb nennt man sie auch eine Halluzination. Menschliche Kreativität ist so einzigartig, dass sie nicht mit anderen Dingen vergleichbar ist. Und natürlich muss jeder immer noch herausfinden, was er mit seinem Leben machen will. Beim Hackathon haben die Schüler/innen uns gefragt, ob sie ChatGPT benutzen könnten; wir haben es ihnen erlaubt. Solange es für eine tolle Erfindung benutzt wird, ist das in Ordnung.

Inwiefern ist KI eine Halluzination?

ChatGPT ist ein statistisches Modell. Bei manchen Problemlösungen hat es Bibliotheken erschaffen, die nicht existieren. Es agiert dann als Programm sehr selbstbewusst, besteht darauf, dass seine Antwort korrekt ist und sucht weiter nach Beweisen dafür. Das nennen wir eine Halluzination, weil es mit hundertprozentiger Sicherheit Dinge angibt, die nicht stimmen. Im Moment können wir dem Programm nicht gänzlich vertrauen.

In der EU wird zunehhmend eine Regulierung von KI gefordert,

Ich würde das befürworten. Es ist sehr kompliziert, eine gewisse Angst, wie die nächste Generation von KI aussehen könnte, besteht. Da wir Menschen die KI programmieren, kann das Ganze auch ausarten. Das Training liegt an uns, wir müssen aufpassen.

Gibt es keinen Tech-Overkill, was Bildung angeht, vor allem bei kleineren Kindern?

Viele Schüler/innen spielen schon sehr gerne auf den I-Pads herum. Auf der anderen Seite kann es förderlich sein, den Umgang mit den Technologien früh zu lehren, damit später kreativer Nutzen daraus geschlagen werden kann.

Das Bildungsministerium subventioniert das Material der LTS, die Kurse sind umsonst. Hat das geholfen, auch Schüler aus sozial weniger privilegierten Schichten zu erreichen?

Ja, wir engagieren uns auch für Flüchtlingskinder und Kinder mit Förderbedarf. Manche von ihnen haben noch nie mit einem Laptop gearbeitet.

Gibt es noch Barrieren für Frauen, die eine Karriere in der Tech-Branche anstreben?

In Armenien, wo ich herkomme, war das eigentlich im Studium und in der Arbeit nie ein Thema und ziemlich 50/50. Ich habe davon erst gehört, als ich nach Luxemburg kam. Wir haben mittlerweile sehr viele Mädchen in der LTS, die äußerst talentiert sind. Die Herausforderung verstehe ich also nur bedingt. Die Eltern aufzuklären, scheint mir wichtig, da sie ihre Töchter vielleicht noch weniger motivieren, auf diesem Weg weiterzumachen.

Sie sagten vorhin, Sie hätten als Kind davon geträumt, einen Roboter zu bauen. Woher kam diese Faszination?

Meine Eltern haben beide Informatik studiert. Obwohl sie nach einer Zeit nicht mehr in der Branche gearbeitet haben, habe ich von klein auf viel über das Programmieren gehört. Ich habe schon als kleines Kind immer gesagt, ich wolle Programmiererin werden, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das überhaupt ist. Mein Traum war es, mit Robotern zu arbeiten, was ich hier in Luxemburg zum ersten Mal machen konnte, genauer genommen mit Drohnen. Wenn ich die Freude in den Augen der Schüler sehe, wenn ein Roboter sich plötzlich autonom bewegt, freue ich mich genauso.

Zur Person:

Die Luxembourg Tech School ist eine Initiative des Bildungsministeriums, in Zusammenarbeit mit Digital Luxembourg, Script, CGIE und privaten Sponsoren. Anush Manukyan ist Mitbegründerin und Head of Innovation der LTS. Nach einem Master in Angewandter Informatik an der Yerevan State University und einem Master in Computer Science an der Universität Luxemburg führte sie ihre Studien im Rahmen einer Doktorarbeit in Robotik und Künstlicher Intelligenz an der Uni.lu fort. Ihr Fokus liegt auf dem sogenannten Bestärkenden Lernen für Drohnen.

Sarah Pepin
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