Auf dem Etikett steht es in knallrot: 30 Prozent nein, 50 Prozent Preisnachlass. Wer sich dieser Tage in den Kaufhäusern des Landes umschaut, sieht Berge von unverkauften Kalendern, die noch schnell an den Mann, an die Frau gebracht werden sollen. Die, die keine Kalender mehr sehen können, weil sie mehr als genug davon daheim haben oder, hallo Digitalisierung, sowieso keine mehr nutzen, gehen achselzuckend weiter ...
... nur um dann wenige Tage später herrenlose Kalender daheim oder auf der Arbeit wiederzufinden. Denn wie es scheint, sind unbekannte Gestalten nicht nur dabei, in Luxemburger Häuser einzubrechen und dabei Dinge mitgehen zu lassen: Andere sind in umgekehrter Mission unterwegs und versuchen, bei ahnungslosen Kollegen oder Mitbewohnerinnen ungefragt unbeliebte Geschenke zu entsorgen.
Die sind so praktisch, wird dann meist als Rechtfertigung behauptet, damit die Jahresblattsammlung noch vor Juni einen Abnehmer findet. Das mag sogar stimmen – für diejenigen, die weiterhin auf den analogen, statt digitalen Überblick setzen. Aber zum einen hat die Regierung alle Unternehmen des Landes aufgefordert, sich doch ein Herz zu fassen und den Sprung ins digitale Zeitalter zu wagen. Die analogen Abreißkalender stellen da einen Anachronismus dar, der peinlich ist, sich allerdings als ziemlich hartnäckig erweist.
Zum anderen ist der analoge Kalender eine echte Beleidigung fürs Auge. Denn als wäre es ein ungeschriebenes Gesetz der Branche haben sich deren Macherinnen und Macher offenbar darauf verschrieben, immer stets die hässlichsten Exemplare zu drucken. Für Tierfreunde gibt es je nach Vorliebe die Katze für jeden Monat mit verträumtem Blick und Samtpfoten. Dabei weiß jede/r Katzenfreund/in, wie eigensinnig die meisten Exemplare sind und dass sich Katzen selbst niemals als Schmusetiger inszenieren würden. Oder das stolze Pferd, wahlweise mit wehender Mähne am Strand galoppierend oder von jungen Frauen mit Blümchenkranz im Haar geherzt. Andere verstehen ihre Kundenkalender eher als uninspirierte Druckunterlage für ihr Firmen-Maskottchen. Woher kommen bloß die altbackenen Motive? Merkt denn niemand, dass keine/r sie will?
Wer es lieber sachlich mag, für den wurde der Jahreskalender mit integriertem Wochenplaner entworfen: wahlweise in Trauergrau (Éditions Saint-Paul) oder in kämpferischem Rot (OGBL). Aber zum einen sind diese monströsen DIN-A2-Ungetüme auf jeder Bürowand, und sei sie noch so hipsterbunt, einfach deprimierend anzuschauen: All die Arbeit, die noch zu tun bleibt! Und zum anderen: Wer denkt in Kalenderwochen? Die Betriebe mit Lieferketten, erklärt der Kollege aus dem Wirtschaftsressort geduldig – und die Chefredaktion hält darauf, die Unterteilung in Kalenderwochen sei für eine Wochenzeitung „total praktisch“. Aber erklären Sie das einmal dem Excel-Programm, wenn Sie wohl die Kalenderwoche kennen, aber den ersten Tag in Ihrem Excel-Programm herausfinden wollen. Das klingt einfach, ist es aber nicht: Laut Iso-Norm 8601 (ja, die gibt es wirklich!) ist die erste Kalenderwoche eines Jahres diejenige, in der der erste Januar-Donnerstag liegt. Infolgedessen kann es passieren, dass der 1. Januar nicht in der KW 1 liegt, sondern in der KW 52 oder 53 des Vorjahres (Wer’s nachschauen will: für den 1.01.2012 oder den 1.01.2016). In Tutorials erklären Tabellenexperten, wie das Kunststück dennoch gelingt.
Die heimlichen und nicht so heimlichen Machos haben derweil das Nachsehen, seitdem Pirelli vor einigen Jahren die leichtbekleideten Damen als Motive abgeschafft hat und sich neuerdings in politisch korrekter Fotografie übt. Noch ist sie etwas ungelenk: Wohl zieren im Jahreskalender 2020 erklärte Feministinnen wie Emma Watson („Harry Potter“) oder die offen bisexuell lebende Kirsten Stewart („Twilight“) die Monate; sogar das Transgender-Model Indya Moore hat es in den Kalender des italienischen Reifenherstellers geschafft. Aber den Ausknopf für seinen schummerig-verklärenden David-Hamilton-Filter hat Fotograf Paolo Roversi noch immer nicht gefunden. Vielleicht dann im nächsten Jahr?