Post-moderne Quacksalberei

d'Lëtzebuerger Land du 07.02.2020

Alles wird verboten außer das Verbieten, hört man häufig und meistens gucken die, die diesen Vorwurf erheben, dabei gar nicht amüsiert drein, sondern äußerst verdrossen. Ans Zigarettenverbot in Restaurants und Cafés wurde sich – mit mehr und mit weniger Murren – inzwischen gewöhnt. Aber jetzt will der Staat auch noch das Alter für den Kauf von hartem Alkohol von 16 auf 18 Jahre heraufsetzen.

Und nicht nur das! Umweltverbände fordern, nachdem sie bereits erfolgreich gegen die praktische Gratis-Plastiktüte an der Supermarktkasse zu Felde gezogen waren, Abgaben auf Coffee-to-go-Becher, Strohhalme und anderes Einwegplastik. Parallel diskutiert die blau-rot-grüne Regierung, nach der verpflichtenden 40-Prozent-Geschlechterquote für kommunale Kandidatenlisten, das Prinzip womöglich auf die Chef-Etagen der Wirtschaft zu übertragen. Überall mische sich der Staat ein, schnauben die Kritiker. Nichts darf man mehr selbst entscheiden. Sogar die Monarchie bleibe von der staatlichen Regulierungswut nicht länger verschont.

Doch dieselben, die sich über einen entmündigenden Staat und über die Beschneidung der persönlichen Freiheit durch immer mehr Verbote erzürnen, scheinen nichts dagegen zu haben, wenn sie sich selbst entmündigen. Privat und ganz freiwillig. Denn mittlerweile wird jede Tätigkeit, und sei sie noch so profan, an bezahlte Dienstleister ausgelagert, muss für jede Entwicklungsphase ein Coaching daher, um das Beste, das Optimale daraus zu machen.

Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil Sie mit 27 Jahren keine Führungskompetenzen und Berufserfahrung und auch keine eigene Firma aufgebaut (und wieder in den Sand gesetzt) haben? Nehmen Sie einen Karriere-Coach! Der berät Sie, wie den beruflichen Aufstieg am besten planen. So gefragt sind die persönlichen Job-Berater, dass allein in Deutschland der Jahresumsatz der Branche bei mehr als einer halben Milliarde Euro liegen soll. Dafür gibt’s Bronze nach den USA und Großbritannien (dort steht der Brexit-Coach sicher schon in den Startlöchern).

Neben dem Job ist da die Freizeit. Auch die will optimal genutzt sein. Während der Dog Sitter sich stellvertretend mit dem Köter abrackert, läuft Herrchen oder Frauchen angeleitet (nicht angeleint) zu neuen Höchstleistungen und Bestzeiten auf: Der Personal Trainer (die Trainerin) oder Fitness Coach hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden und erstellt ein Sportprogramm auf Maß. Für einen Waschbrettbauch und den knackigen Po, garantiert in weniger als sechs Wochen. Die englische Bezichnung für den persönlichen Peitschenschwinger ist übrigens bewusst gewählt: Das klingt chic und trendy. Wahlweise gibt es zum Quälprogramm eine Ernährungsberatung – vegan und low carb – und ein Wellness-Angebot dazu. Natürlich gegen Aufpreis. Manche nehmen sich einen Lauftrainer, um im Bambësch für den nächsten Marathon zu trainieren. Oder auch nur, um den gekauften Jogging-Partner all jene Geschichten zu erzählen, die die Freundin oder der Freund nicht mehr hören mag.

Apropos Wald: Nicht einmal mehr das Spazieren geht alleine. Dafür ist jetzt der Baum-Coach zuständig. Der nimmt gestresste, von Burn-out bedrohte Seelen mit in den Wald, wo sie wieder einmal richtig durchatmen lernen und echte Natur spüren. Wer will, kann sogar einen Baum mit Borke umarmen. Wer es kuscheliger mag, kann im Katzen-Café bei Chai Latte und Cheese Cake auf Fellfühlung gehen. Das freundliche Angebot der Huggy Bears, kräftige Kerle, die auf Demos Hugs for free wie Sauerbier anpreisen, hat sich hierzulande bisher nicht durchgesetzt. Vielleicht, weil zu wenig demonstriert wird? Oder weil die Umarmung gratis ist?

Überforderung und Optimierungswahn grassieren nicht nur in der Freizeitgestaltung. Der Coaching-Kult hat längst den Alltag erreicht: Sie haben zu viel angehäuft beim Online-Einkauf? Und möchten sich sich trennen? Sie plagt ein schlechtes Gewissen. Sie wollen mit weniger auskommen, aber wissen nicht wie? Nicht verzweifeln, Hilfe naht! Mieten Sie eine Ordnungs-Coachin. Die berät beim De-Cluttering, wie Unnützes loswerden. Erster Akt: Schrank auf und alles, was nicht passt oder eh nie getragen wurde, raus. Zweiter Akt: Macht 80 Euro die Stunde. Auch Downsizing hat seinen Preis.

Für besonders komplexe Fälle gibt es den Life Coach. Nicht zu verwechseln mit jenen sportlichen, Sicherheit ausstrahlenden Life Guards von Baywatch, aber, glaubt man der Internetwerbung, fast genauso wichtig: Er oder sie klopft mit Ihnen alle Aspekte Ihrer armseligen Existenz ab, schaut nach Ihrer Work-Life-Balance, sieht, womit oder mit wem Sie Ihre kostbare Zeit verbringen (vergeuden), wie Sie Ihre Freizeit gestalten, wer Ihre Freunde sind – und plant dann die nächsten Schritte, um Ihr verkorkstes Leben auf die Reihe und Sie auf Erfolgskurs zu bringen. Es sei denn, so Coaching wird vorher verboten. Oder Sie kommen ohne Verbot zur Einsicht, dass es die ganze Optimierungs-Quacksalberei nicht braucht.

Ines Kurschat
© 2024 d’Lëtzebuerger Land